Junge Talente fördern, disziplinäre Grenzen öffnen und mehr Exzellenz. FWF-Präsident Klement Tockner erläutert die nächsten Schritte, um Österreichs Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. © Martin Lusser/FWF

FWF: Sie haben bei Ihrem Amtsantritt vor zwei Jahren dafür plädiert, den Forschungsturbo einzuschalten. Ist Österreich im Bereich Forschung und Entwicklung auf dem richtigen Weg?

Klement Tockner: Die Richtung stimmt auf jeden Fall, jedoch ist Österreich in der Grundlagenforschung mit angezogener Handbremse unterwegs. Mehr finanzielle Planungssicherheit würde sie lösen und könnte noch mehr Forschende in die Lage versetzen, sich an der Weltspitze zu etablieren. Das neue Forschungsfinanzierungsgesetz wird einen Anschub bringen.

FWF: Eine aktuelle Analyse der OECD hat einmal mehr bestätigt, was längst bekannt ist: Die knappe budgetäre Ausstattung der FWF-Fördermittel bremst wissenschaftliche Exzellenz im Land. Was muss passieren, damit diese Botschaft in der Politik ankommt?

Tockner: Die Botschaft ist in der Politik angekommen. Es gibt gute Gespräche und Bewegung, wenn auch noch immer eine  Skepsis, mehr Forschungsmittel im Wettbewerb an Forschende zu vergeben. Dieser Anteil muss wachsen, um die Qualität insgesamt zu erhöhen und Kooperationen zwischen Forscherteams auszubauen. Der Pakt für Forschung und Innovation in Deutschland zeigt, wie es gehen könnte. Die Mittel für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen wurden von 2005 bis 2015 jährlich um fünf Prozent angehoben. Davon wurde etwa in der Leibniz-Gemeinschaft die Hälfte im Wettbewerb vergeben. Das hat einen riesigen Qualitätsschub bewirkt.

„Es gibt noch immer eine Skepsis, mehr Forschungsmittel im Wettbewerb zu vergeben. “ Klement Tockner

FWF: Die Universitäten wünschen sich eine Verdreifachung der Mittel des FWF. Was könnte das bewirken?

Tockner: Um Forschenden in Österreich in Zukunft exzellente Rahmenbedingungen bieten zu können, sind drei Schritte nötig: Erstens eine Konsolidierung der FWF-Fördermittel. Wir werden dieses Jahr eine Bewilligungssumme von rund 270 Millionen Euro zur Verfügung haben, das ist ein Plus von knapp 90 Millionen seit 2016. Zweitens brauchen wir einen prägnanten Wachstumspfad für die nächsten fünf bis zehn Jahre mit etwa 10 Prozent Anstieg pro Jahr, um dadurch näher an das Niveau führender Forschungsländer heranzurücken. Drittens bemühen wir uns gemeinsam mit den Forschungseinrichtungen für eine einheitliche Regelung der Overheads (indirekte Projektkosten, Anm.), um neben den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch die Institutionen über den qualitätsgetriebenen Wettbewerb zu stärken. Wir sehen, dass unser Förderbedarf von Jahr zu Jahr wächst: An den Unis werden 360 neue Professuren und Laufbahnstellen geschaffen, die CEU (Central European University) kommt nach Wien und das IST Austria wächst. Wenn wir exzellente Anträge nicht mehr fördern können, nimmt die Frustration zu, und Topforscherinnen und -forscher werden nicht im Land bleiben.

FWF: Die Politik bekennt sich zur Stärkung der Grundlagenforschung. Im Frühjahr steht ein Forschungsgipfel an. Die Chancen stehen also gut?

Tockner: Die Regierung verfolgt das Ziel, zu den innovativsten Forschungsländern Europas zu zählen. Die Rezepte sind bekannt, beim Forschungsgipfel geht es darum, groß zu denken und mehr als nur an einzelnen Schrauben zu drehen. Und ja, ich denke die Chancen dafür stehen wirklich gut.

FWF: Das Strategiepapier des FWF für die Jahre 2019 bis 2021 enthält zahlreiche Vorhaben, die sich mit den Empfehlungen des OECD-Berichtes decken. Der FWF stellt darin die Weichen, die kommende Exzellenzinitiative umsetzen zu können. Was sind die Eckpfeiler der Initiative?

Tockner: Die Exzellenzinitiative hat das Potenzial, Forschungsprofile in ganz Österreich zu schärfen, um in etablierten Bereichen weltweit führend zu bleiben. Andererseits ermöglicht eine solche Initiative, neue Forschungsfelder zu erschließen, um auch dort globale Vorreiterrollen einnehmen zu können. Das bedeutet wiederum, für die besten Forschenden der Welt attraktiv zu sein. Dazu braucht es hervorragende Rahmenbedingungen insbesondere auch in der Karriereförderung, etwa in Form der Doktoratsausbildung oder durch klare Laufbahnmodelle. Eine Exzellenzinitiative ermöglicht daher nachhaltige Veränderungen im Forschungssystem, die sich mittel- und langfristig vielfach bezahlt machen werden.

FWF: Im Vorfeld zum Forschungsgipfel der Regierung im Frühjahr dieses Jahres arbeitet eine Expertengruppe, der auch Sie angehören, im Auftrag des Wissenschaftsministeriums an einem Entwurf zur Exzellenzinitiative. Wie verlaufen die Gespräche?

„Eine Exzellenzinitiative wird sich mittel- und langfristig bezahlt machen.“ Klement Tockner

Tockner: Wir kommen gut voran, die Expertengruppe arbeitet reibungslos und sehr ambitioniert an einem Konzept, das sich an internationalen Erfolgsbeispielen orientiert und die Grundlage für politische Entscheidungen bildet. In der Gruppe besteht über die Ausrichtung ein Konsens. Wir sind auch in Austausch mit dem Ministerium. Und wir sehen, dass es in der Grundkonzeption eine Übereinstimmung zwischen den Empfehlungen des Teams und dem generellen politischen Willen gibt.

FWF: Wie wird Österreich davon profitieren?

Tockner: Österreich kann einen großen Schritt näher an die weltweit führenden Forschungsnationen machen. Langfristig entsteht ein Forschungsumfeld, das die besten Forschenden hervorbringt und aus aller Welt anzieht. Universitäten und Forschungsinstitutionen werden international stärker den Ton angeben. Und Unternehmen werden nach Österreich ziehen, um von der wachsenden Innovationskraft zu profitieren. Exzellenz zieht Exzellenz an, nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Wirtschaft.

„Exzellenz zieht Exzellenz an, nicht nur in der Wissenschaft, auch in der Wirtschaft.“ Klement Tockner

FWF: Was, wenn die Exzellenzinitiative nicht kommt?

Tockner: Die Rahmenbedingungen für Forschende würden kritisch bleiben. Wenn die Initiative jetzt nicht umgesetzt wird, dann ist der Zug für die nächsten zehn Jahre abgefahren, das ist allen Beteiligten klar. Alle forschungsstarken Länder haben solche Förderprogramme und Österreich kann nur mit einer ambitionierten Exzellenzinitiative näher an die weltweit führenden Wissenschafts- und Zukunftsnationen heranrücken.

FWF: Sie haben vorab das Ziel formuliert, mindestens zwei Universitäten unter die Top-100 weltweit zu bringen. Die Initiative soll ab 2020 starten. Wie lange wird es dauern, bis dieses Ziel erreicht ist?

Tockner: Ich bin überzeugt, dass das in weniger als zehn Jahren möglich ist.  Die Forscherinnen und Forscher an den Universitäten und Forschungsstätten besitzen ein unglaubliches Potenzial, sie leisten exzellente Arbeit und bringen den wissenschaftlichen Fortschritt in Österreich voran.

FWF: Der Aufholbedarf ist groß, wenn man sich an den Rankings orientiert. Weltweit gesehen ist keine österreichische Universität unter den hundert Besten, europaweit ist es eine. In den wettbewerbsorientierten Niederlanden gibt es 13 Unis, alle davon zählen zu den Spitzenunis.

Tockner: Da sind auch Unis dabei, die man kaum kennt, wie etwa die Uni Tilburg. Zugleich sind die TU Delft oder die Uni Wageningen weltweit führend; von ihrer Ausrichtung sind sie vergleichbar mit einer österreichischen Technischen Universität oder der Universität für Bodenkultur in Wien. Das heißt, wir können das schaffen. Vielfalt muss ja nicht bedeuten, dass man nicht zur Spitze zählen kann, aber man muss diese nutzen, sonst führt sie zu Fragmentierung und Isolation – das ist dann eine typische Abwärtsspirale.

Der Wissenschaftsfonds will dort ansetzen, wo es nachhaltig wirkt, sagt FWF-Präsident Tockner, und stärkt daher seine Karriereprogramme. © Martin Lusser/FWF

FWF: Neuerungen stehen auch im Programmportfolio des FWF an, die unter anderem den Bereich der Karriereförderung betreffen. Auffallend ist, dass die Programme zur Frauenförderung wegfallen. Braucht es Förderung speziell für Frauen nicht mehr?

Tockner: Ganz im Gegenteil, wir stärken die Karriereprogramme insgesamt und besonders die Förderung von Frauen, sowohl finanziell als auch reputationsmäßig. Künftig können junge Wissenschaftlerinnen laufend einreichen. Das entsprechende Firnberg-Programm wurde bis dato nur einmal jährlich ausgeschrieben. Das darauf aufbauende Richter-Programm für Frauen, die eine nachhaltige Universitätslaufbahn anstreben, soll ab 2020 die gleichen Chancen eröffnen, wie der START-Preis, der üblicherweise eine Laufbahnstelle mit sich bringt. In dieser neuen Programmschiene für „Advanced-Stage-Postdocs“ sind mindestens 50 Prozent der Ressourcen für Frauen vorgesehen. Wir gehen davon aus, dass wir Frauen so noch stärker ins Zentrum setzen und fördern können.

FWF: Das Verhältnis von Frauen zu Männern bei der Antragstellung ist 1:3. Die Förderchancen hingegen sind für Frauen fast gleich hoch wie für Männer. Muss man das deutlicher kommunizieren?

Tockner: Es ist schwer, das alleine zu bewältigen. Die Forschungseinrichtungen sind hier genauso in der Pflicht wie wir als Förderorganisation. Ich bin jedoch überzeugt, dass wir durch die Stärkung der Karriereprogramme ein wichtiges Signal in die wissenschaftliche Gemeinschaft senden.

FWF: Neu im Förderprogramm sind auch Kooperationsformate, um innovative und interdisziplinäre Forschung zu stärken. Gibt es hier Vorbilder aus anderen Ländern?

Tockner: Die gibt es, aber wenige. Wir sind hier Vorreiter. Viele der großen Fragen sind mittlerweile so komplex, dass sie nur in inter- und transdisziplinären Teams erörtert und bearbeitet werden können. Die disziplinären Grenzen, so wie wir sie kennen, sind teils künstlich gewachsen, haben aber nichts mehr mit der Dynamik der Wissenschaftslandschaft zu tun. Wir wollen diese Strukturen aufbrechen und neue Disziplinen unterstützen, die etwa an den Rändern der traditionellen entstehen. Ein weiteres Ziel ist die Öffnung der Wissensproduktion in die Gesellschaft hinein. Wir erleben hier faszinierende Impulse und neue Sichtweisen.

„Wir wollen Strukturen aufbrechen und neue Disziplinen unterstützen.“ Klement Tockner

FWF: Sich für ein solches Programm zu bewerben, stimuliert kreatives Denken.

Tockner: Solche Anträge zu stellen ist tatsächlich eine enorme intellektuelle Herausforderung. Dabei entstehen jedenfalls neue Ideen, die Großartiges und völlig Unerwartetes ermöglichen. Und schließlich kommen in solchen Teams besonders kreative Köpfe zusammen. Das hat eine Dynamik zur Folge, von denen auch die Institutionen profitieren, und die es daher zu unterstützen gilt.

FWF: Um die Bedeutung der Grundlagenforschung bei Stakeholdern und in der Gesellschaft zu heben, ist unter anderem die Gründung einer Stiftung geplant. Wieso will der FWF Gelder aus dem privaten Sektor?

Tockner: Die Stiftung sendet auf bundesweiter Ebene ein wichtiges Signal und wird Science Fundraising in Österreich weiter beleben. Wissenschaftsnahe Stiftungen, wie es sie in vielen Ländern bereits gibt, schaffen ein neues Bewusstsein für den Stellenwert von Forschung in der Öffentlichkeit. Wir möchten diese Kulturwandel auch in Österreich vorantreiben. Stiftungen können zudem in der Förderung deutlich mutiger und experimenteller sein.

Der FWF plant die Gründung einer eigenen Stiftung, um ein intensiveres Engagement von Privaten zu ermöglichen. © Martin Lusser/FWF

FWF: Setzt sich der Fonds damit nicht dem Einfluss von Partikularinteressen aus?

Tockner: Die Stiftung unterliegt einem strikten Code of Conduct. Die Unabhängigkeit im Entscheidungsverfahren und der Vergabe bleibt garantiert, so wie wir das schon jetzt mit mehreren gemeinnützigen Stiftungen umsetzen. Zuwendungen werden zu 100 Prozent außergewöhnlichen Forscherinnen und Forschern zugutekommen.

FWF: Sie wurden vor Kurzem bis 2024 als Präsident des FWF bestätigt. Auf welche Errungenschaft möchten Sie nach der zweiten Amtsperiode zurückblicken können?

Tockner: Wenn es uns gelingt, geografische, disziplinäre und institutionelle Grenzen zu überwinden, haben wir viel erreicht. Das heißt wir müssen in der Lage sein, Öffnung voranzutreiben – auch in Richtung Anwendung – und weiterhin hohe Qualitätsstandards setzen, die uns zum Vorbild für andere machen. Und wenn wir es schaffen, die über den FWF vergebenen Mittel zu verdoppeln – und zugleich das ambitionierte Exzellenzprogramm volle Fahrt aufgenommen hat –, dann können wir den besten Forscherinnen und Forschern jene Unterstützung gewähren, die sie so dringend benötigen.

„Es braucht grundsätzlich viel mehr Mut! “ Klement Tockner

FWF: Was sind bis jetzt Ihre größten Learnings als Manager einer Forschungsförderungsinstitution?

Tockner: Es ist wichtig zu Politik und zu den Forschungseinrichtungen eine Vertrauensbasis aufzubauen, aber eine auf Armlänge. Ich erfahre zudem tagtäglich, welches unglaubliche Potenzial es in Österreich gibt. Es tut manchmal fast weh zu sehen, wie viel machbar wäre, aber dann doch nicht umgesetzt wird. Es muss einfach klar sein, dass eine starke Forschungslandschaft eine Grundvoraussetzung ist, um auch ökonomisch erfolgreich zu sein. Die erfolgreichen Unternehmen siedeln sich dort an, wo die besten Forschungseinrichtungen sind und nicht umgekehrt. Die Politik muss das entsprechend an die Öffentlichkeit kommunizieren. Und es braucht grundsätzlich viel mehr Mut!
 

Klement Tockner ist seit 2016 Präsident des Wissenschaftsfonds FWF. Im Dezember 2018 wurde er vom Aufsichtsrat des FWF vorzeitig für eine weitere Funktionsperiode bis 2024 wiederbestellt. Tockner ist Gewässerökologe und hat eine Professur für aquatische Ökologie an der Freien Universität Berlin inne. Er leitete viele Jahre eine Forschungsgruppe an der ETH Zürich und zuletzt neun Jahre lang als Direktor das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin.