âWir besitzen ein unglaubliches Potenzialâ
FWF: Sie haben bei Ihrem Amtsantritt vor zwei Jahren dafĂŒr plĂ€diert, den Forschungsturbo einzuschalten. Ist Ăsterreich im Bereich Forschung und Entwicklung auf dem richtigen Weg?
Klement Tockner: Die Richtung stimmt auf jeden Fall, jedoch ist Ăsterreich in der Grundlagenforschung mit angezogener Handbremse unterwegs. Mehr finanzielle Planungssicherheit wĂŒrde sie lösen und könnte noch mehr Forschende in die Lage versetzen, sich an der Weltspitze zu etablieren. Das neue Forschungsfinanzierungsgesetz wird einen Anschub bringen.
FWF: Eine aktuelle Analyse der OECD hat einmal mehr bestÀtigt, was lÀngst bekannt ist: Die knappe budgetÀre Ausstattung der FWF-Fördermittel bremst wissenschaftliche Exzellenz im Land. Was muss passieren, damit diese Botschaft in der Politik ankommt?
Tockner: Die Botschaft ist in der Politik angekommen. Es gibt gute GesprĂ€che und Bewegung, wenn auch noch immer eine Skepsis, mehr Forschungsmittel im Wettbewerb an Forschende zu vergeben. Dieser Anteil muss wachsen, um die QualitĂ€t insgesamt zu erhöhen und Kooperationen zwischen Forscherteams auszubauen. Der Pakt fĂŒr Forschung und Innovation in Deutschland zeigt, wie es gehen könnte. Die Mittel fĂŒr auĂeruniversitĂ€re Forschungseinrichtungen wurden von 2005 bis 2015 jĂ€hrlich um fĂŒnf Prozent angehoben. Davon wurde etwa in der Leibniz-Gemeinschaft die HĂ€lfte im Wettbewerb vergeben. Das hat einen riesigen QualitĂ€tsschub bewirkt.
âEs gibt noch immer eine Skepsis, mehr Forschungsmittel im Wettbewerb zu vergeben. â
FWF: Die UniversitĂ€ten wĂŒnschen sich eine Verdreifachung der Mittel des FWF. Was könnte das bewirken?
Tockner: Um Forschenden in Ăsterreich in Zukunft exzellente Rahmenbedingungen bieten zu können, sind drei Schritte nötig: Erstens eine Konsolidierung der FWF-Fördermittel. Wir werden dieses Jahr eine Bewilligungssumme von rund 270 Millionen Euro zur VerfĂŒgung haben, das ist ein Plus von knapp 90 Millionen seit 2016. Zweitens brauchen wir einen prĂ€gnanten Wachstumspfad fĂŒr die nĂ€chsten fĂŒnf bis zehn Jahre mit etwa 10 Prozent Anstieg pro Jahr, um dadurch nĂ€her an das Niveau fĂŒhrender ForschungslĂ€nder heranzurĂŒcken. Drittens bemĂŒhen wir uns gemeinsam mit den Forschungseinrichtungen fĂŒr eine einheitliche Regelung der Overheads (indirekte Projektkosten, Anm.), um neben den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch die Institutionen ĂŒber den qualitĂ€tsgetriebenen Wettbewerb zu stĂ€rken. Wir sehen, dass unser Förderbedarf von Jahr zu Jahr wĂ€chst: An den Unis werden 360 neue Professuren und Laufbahnstellen geschaffen, die CEU (Central European University) kommt nach Wien und das IST Austria wĂ€chst. Wenn wir exzellente AntrĂ€ge nicht mehr fördern können, nimmt die Frustration zu, und Topforscherinnen und -forscher werden nicht im Land bleiben.
FWF: Die Politik bekennt sich zur StĂ€rkung der Grundlagenforschung. Im FrĂŒhjahr steht ein Forschungsgipfel an. Die Chancen stehen also gut?
Tockner: Die Regierung verfolgt das Ziel, zu den innovativsten ForschungslĂ€ndern Europas zu zĂ€hlen. Die Rezepte sind bekannt, beim Forschungsgipfel geht es darum, groĂ zu denken und mehr als nur an einzelnen Schrauben zu drehen. Und ja, ich denke die Chancen dafĂŒr stehen wirklich gut.
FWF: Das Strategiepapier des FWF fĂŒr die Jahre 2019 bis 2021 enthĂ€lt zahlreiche Vorhaben, die sich mit den Empfehlungen des OECD-Berichtes decken. Der FWF stellt darin die Weichen, die kommende Exzellenzinitiative umsetzen zu können. Was sind die Eckpfeiler der Initiative?
Tockner: Die Exzellenzinitiative hat das Potenzial, Forschungsprofile in ganz Ăsterreich zu schĂ€rfen, um in etablierten Bereichen weltweit fĂŒhrend zu bleiben. Andererseits ermöglicht eine solche Initiative, neue Forschungsfelder zu erschlieĂen, um auch dort globale Vorreiterrollen einnehmen zu können. Das bedeutet wiederum, fĂŒr die besten Forschenden der Welt attraktiv zu sein. Dazu braucht es hervorragende Rahmenbedingungen insbesondere auch in der Karriereförderung, etwa in Form der Doktoratsausbildung oder durch klare Laufbahnmodelle. Eine Exzellenzinitiative ermöglicht daher nachhaltige VerĂ€nderungen im Forschungssystem, die sich mittel- und langfristig vielfach bezahlt machen werden.
FWF: Im Vorfeld zum Forschungsgipfel der Regierung im FrĂŒhjahr dieses Jahres arbeitet eine Expertengruppe, der auch Sie angehören, im Auftrag des Wissenschaftsministeriums an einem Entwurf zur Exzellenzinitiative. Wie verlaufen die GesprĂ€che?
âEine Exzellenzinitiative wird sich mittel- und langfristig bezahlt machen.â
Tockner: Wir kommen gut voran, die Expertengruppe arbeitet reibungslos und sehr ambitioniert an einem Konzept, das sich an internationalen Erfolgsbeispielen orientiert und die Grundlage fĂŒr politische Entscheidungen bildet. In der Gruppe besteht ĂŒber die Ausrichtung ein Konsens. Wir sind auch in Austausch mit dem Ministerium. Und wir sehen, dass es in der Grundkonzeption eine Ăbereinstimmung zwischen den Empfehlungen des Teams und dem generellen politischen Willen gibt.
FWF: Wie wird Ăsterreich davon profitieren?
Tockner: Ăsterreich kann einen groĂen Schritt nĂ€her an die weltweit fĂŒhrenden Forschungsnationen machen. Langfristig entsteht ein Forschungsumfeld, das die besten Forschenden hervorbringt und aus aller Welt anzieht. UniversitĂ€ten und Forschungsinstitutionen werden international stĂ€rker den Ton angeben. Und Unternehmen werden nach Ăsterreich ziehen, um von der wachsenden Innovationskraft zu profitieren. Exzellenz zieht Exzellenz an, nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Wirtschaft.
âExzellenz zieht Exzellenz an, nicht nur in der Wissenschaft, auch in der Wirtschaft.â
FWF: Was, wenn die Exzellenzinitiative nicht kommt?
Tockner: Die Rahmenbedingungen fĂŒr Forschende wĂŒrden kritisch bleiben. Wenn die Initiative jetzt nicht umgesetzt wird, dann ist der Zug fĂŒr die nĂ€chsten zehn Jahre abgefahren, das ist allen Beteiligten klar. Alle forschungsstarken LĂ€nder haben solche Förderprogramme und Ăsterreich kann nur mit einer ambitionierten Exzellenzinitiative nĂ€her an die weltweit fĂŒhrenden Wissenschafts- und Zukunftsnationen heranrĂŒcken.
FWF: Sie haben vorab das Ziel formuliert, mindestens zwei UniversitÀten unter die Top-100 weltweit zu bringen. Die Initiative soll ab 2020 starten. Wie lange wird es dauern, bis dieses Ziel erreicht ist?
Tockner: Ich bin ĂŒberzeugt, dass das in weniger als zehn Jahren möglich ist. Die Forscherinnen und Forscher an den UniversitĂ€ten und ForschungsstĂ€tten besitzen ein unglaubliches Potenzial, sie leisten exzellente Arbeit und bringen den wissenschaftlichen Fortschritt in Ăsterreich voran.
FWF: Der Aufholbedarf ist groĂ, wenn man sich an den Rankings orientiert. Weltweit gesehen ist keine österreichische UniversitĂ€t unter den hundert Besten, europaweit ist es eine. In den wettbewerbsorientierten Niederlanden gibt es 13 Unis, alle davon zĂ€hlen zu den Spitzenunis.
Tockner: Da sind auch Unis dabei, die man kaum kennt, wie etwa die Uni Tilburg. Zugleich sind die TU Delft oder die Uni Wageningen weltweit fĂŒhrend; von ihrer Ausrichtung sind sie vergleichbar mit einer österreichischen Technischen UniversitĂ€t oder der UniversitĂ€t fĂŒr Bodenkultur in Wien. Das heiĂt, wir können das schaffen. Vielfalt muss ja nicht bedeuten, dass man nicht zur Spitze zĂ€hlen kann, aber man muss diese nutzen, sonst fĂŒhrt sie zu Fragmentierung und Isolation â das ist dann eine typische AbwĂ€rtsspirale.
FWF: Neuerungen stehen auch im Programmportfolio des FWF an, die unter anderem den Bereich der Karriereförderung betreffen. Auffallend ist, dass die Programme zur Frauenförderung wegfallen. Braucht es Förderung speziell fĂŒr Frauen nicht mehr?
Tockner: Ganz im Gegenteil, wir stĂ€rken die Karriereprogramme insgesamt und besonders die Förderung von Frauen, sowohl finanziell als auch reputationsmĂ€Ăig. KĂŒnftig können junge Wissenschaftlerinnen laufend einreichen. Das entsprechende Firnberg-Programm wurde bis dato nur einmal jĂ€hrlich ausgeschrieben. Das darauf aufbauende Richter-Programm fĂŒr Frauen, die eine nachhaltige UniversitĂ€tslaufbahn anstreben, soll ab 2020 die gleichen Chancen eröffnen, wie der START-Preis, der ĂŒblicherweise eine Laufbahnstelle mit sich bringt. In dieser neuen Programmschiene fĂŒr âAdvanced-Stage-Postdocsâ sind mindestens 50 Prozent der Ressourcen fĂŒr Frauen vorgesehen. Wir gehen davon aus, dass wir Frauen so noch stĂ€rker ins Zentrum setzen und fördern können.
FWF: Das VerhĂ€ltnis von Frauen zu MĂ€nnern bei der Antragstellung ist 1:3. Die Förderchancen hingegen sind fĂŒr Frauen fast gleich hoch wie fĂŒr MĂ€nner. Muss man das deutlicher kommunizieren?
Tockner: Es ist schwer, das alleine zu bewĂ€ltigen. Die Forschungseinrichtungen sind hier genauso in der Pflicht wie wir als Förderorganisation. Ich bin jedoch ĂŒberzeugt, dass wir durch die StĂ€rkung der Karriereprogramme ein wichtiges Signal in die wissenschaftliche Gemeinschaft senden.
FWF: Neu im Förderprogramm sind auch Kooperationsformate, um innovative und interdisziplinÀre Forschung zu stÀrken. Gibt es hier Vorbilder aus anderen LÀndern?
Tockner: Die gibt es, aber wenige. Wir sind hier Vorreiter. Viele der groĂen Fragen sind mittlerweile so komplex, dass sie nur in inter- und transdisziplinĂ€ren Teams erörtert und bearbeitet werden können. Die disziplinĂ€ren Grenzen, so wie wir sie kennen, sind teils kĂŒnstlich gewachsen, haben aber nichts mehr mit der Dynamik der Wissenschaftslandschaft zu tun. Wir wollen diese Strukturen aufbrechen und neue Disziplinen unterstĂŒtzen, die etwa an den RĂ€ndern der traditionellen entstehen. Ein weiteres Ziel ist die Ăffnung der Wissensproduktion in die Gesellschaft hinein. Wir erleben hier faszinierende Impulse und neue Sichtweisen.
âWir wollen Strukturen aufbrechen und neue Disziplinen unterstĂŒtzen.â
FWF: Sich fĂŒr ein solches Programm zu bewerben, stimuliert kreatives Denken.
Tockner: Solche AntrĂ€ge zu stellen ist tatsĂ€chlich eine enorme intellektuelle Herausforderung. Dabei entstehen jedenfalls neue Ideen, die GroĂartiges und völlig Unerwartetes ermöglichen. Und schlieĂlich kommen in solchen Teams besonders kreative Köpfe zusammen. Das hat eine Dynamik zur Folge, von denen auch die Institutionen profitieren, und die es daher zu unterstĂŒtzen gilt.
FWF: Um die Bedeutung der Grundlagenforschung bei Stakeholdern und in der Gesellschaft zu heben, ist unter anderem die GrĂŒndung einer Stiftung geplant. Wieso will der FWF Gelder aus dem privaten Sektor?
Tockner: Die Stiftung sendet auf bundesweiter Ebene ein wichtiges Signal und wird Science Fundraising in Ăsterreich weiter beleben. Wissenschaftsnahe Stiftungen, wie es sie in vielen LĂ€ndern bereits gibt, schaffen ein neues Bewusstsein fĂŒr den Stellenwert von Forschung in der Ăffentlichkeit. Wir möchten diese Kulturwandel auch in Ăsterreich vorantreiben. Stiftungen können zudem in der Förderung deutlich mutiger und experimenteller sein.
FWF: Setzt sich der Fonds damit nicht dem Einfluss von Partikularinteressen aus?
Tockner: Die Stiftung unterliegt einem strikten Code of Conduct. Die UnabhĂ€ngigkeit im Entscheidungsverfahren und der Vergabe bleibt garantiert, so wie wir das schon jetzt mit mehreren gemeinnĂŒtzigen Stiftungen umsetzen. Zuwendungen werden zu 100 Prozent auĂergewöhnlichen Forscherinnen und Forschern zugutekommen.
FWF: Sie wurden vor Kurzem bis 2024 als PrĂ€sident des FWF bestĂ€tigt. Auf welche Errungenschaft möchten Sie nach der zweiten Amtsperiode zurĂŒckblicken können?
Tockner: Wenn es uns gelingt, geografische, disziplinĂ€re und institutionelle Grenzen zu ĂŒberwinden, haben wir viel erreicht. Das heiĂt wir mĂŒssen in der Lage sein, Ăffnung voranzutreiben â auch in Richtung Anwendung â und weiterhin hohe QualitĂ€tsstandards setzen, die uns zum Vorbild fĂŒr andere machen. Und wenn wir es schaffen, die ĂŒber den FWF vergebenen Mittel zu verdoppeln â und zugleich das ambitionierte Exzellenzprogramm volle Fahrt aufgenommen hat â, dann können wir den besten Forscherinnen und Forschern jene UnterstĂŒtzung gewĂ€hren, die sie so dringend benötigen.
âEs braucht grundsĂ€tzlich viel mehr Mut! â
FWF: Was sind bis jetzt Ihre gröĂten Learnings als Manager einer Forschungsförderungsinstitution?
Tockner: Es ist wichtig zu Politik und zu den Forschungseinrichtungen eine Vertrauensbasis aufzubauen, aber eine auf ArmlĂ€nge. Ich erfahre zudem tagtĂ€glich, welches unglaubliche Potenzial es in Ăsterreich gibt. Es tut manchmal fast weh zu sehen, wie viel machbar wĂ€re, aber dann doch nicht umgesetzt wird. Es muss einfach klar sein, dass eine starke Forschungslandschaft eine Grundvoraussetzung ist, um auch ökonomisch erfolgreich zu sein. Die erfolgreichen Unternehmen siedeln sich dort an, wo die besten Forschungseinrichtungen sind und nicht umgekehrt. Die Politik muss das entsprechend an die Ăffentlichkeit kommunizieren. Und es braucht grundsĂ€tzlich viel mehr Mut!
Klement Tockner ist seit 2016 PrĂ€sident des Wissenschaftsfonds FWF. Im Dezember 2018 wurde er vom Aufsichtsrat des FWF vorzeitig fĂŒr eine weitere Funktionsperiode bis 2024 wiederbestellt. Tockner ist GewĂ€sserökologe und hat eine Professur fĂŒr aquatische Ăkologie an der Freien UniversitĂ€t Berlin inne. Er leitete viele Jahre eine Forschungsgruppe an der ETH ZĂŒrich und zuletzt neun Jahre lang als Direktor das Leibniz-Institut fĂŒr GewĂ€sserökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin.