Durch das Fluoreszenzmikroskop beobachtet Corina Madreiter-Sokolowski, wie Zellen altern. Dieses Wissen hilft ihr bei der Suche nach natürlichen Wirkstoffen für ein gesundes, langes Leben. Erste Versuche mit Grüntee und Rotwein lassen hoffen. © Medizinische Universität Graz

Wer aufmerksam Forschungsberichte oder auch Boulevardmedien liest, wird schon von den Substanzen Resveratrol (enthalten in Rotwein) und Katechinen aus Grüntee gelesen haben. Je nach Seriosität der Publikation wird ihnen eine positive Rolle bei Alterungsprozessen zugeschrieben oder sie werden gar als Jungbrunnen gepriesen. Corina Madreiter-Sokolowski, Assistenzprofessorin an der Medizinischen Universität Graz, hat das Potenzial der beiden Substanzen als Senolytika bzw. Senomorphika ganz nüchtern ausgelotet. Senolytika nennt man therapeutische Mittel, die alternde Zellen gezielt absterben lassen, während Senomorphika die Zellen auf Alterungsprozesse besser vorbereiten.

Als Modellorganismus diente ihr neben einem zellulären Alterungsmodell der Fadenwurm Caenorhabditis elegans, der mit dem Menschen den Großteil der funktionellen Proteine und Signalkaskaden gemeinsam hat, vor allem was Alterungsprozesse betrifft. Der Fadenwurm lebt aber nicht 80 Jahre, sondern nur 30 Tage, was Wirkstofftests erheblich beschleunigt. Konkret sah sich die Biochemikerin, die gefördert durch ein Schrödinger-Stipendium des Wissenschaftsfonds FWF drei Jahre an der ETH Zürich forschte, die Rolle von Mitochondrien als Signalgeber im Alterungsprozess an. Nach ihrer Rückkehr aus der Schweiz baute Madreiter-Sokolowski ein Fadenwurm-Labor an der Medizinischen Universität Graz auf, wo sie auf die etablierten Ressourcen der Fluoreszenzmikroskopie zurückgreift und diese in der Forschung am Fadenwurm weiterentwickelt.

Modellorganismen in der Alterungsforschung

Mitochondrien werden plakativ als Kraftwerke der Zelle bezeichnet, weil in diesen Zellorganellen der universelle Energieträger ATP (Adenosintriphosphat) regeneriert wird. Sie verändern ihre Aktivität jedoch abhängig vom Alter der Zelle und der Kalziumzufuhr, weiß Corina Madreiter-Sokolowski: „Zum einen liefern Mitochondrien mithilfe von Kalzium die Energie für quicklebendige Zellen, andererseits exekutieren sie auch den Zelltod, wenn der Kalziumgehalt im Rahmen der Zellalterung ansteigt.“ Während der Arbeit an ihrer Dissertation in Graz entwickelte die Biochemikerin ein Zellkultur-Modell, in dem sich die Kalziumbalance und die beteiligten Prozesse in den Mitochondrien genauer untersuchen lassen. Für ihre Postdoc-Zeit wechselte sie als Schrödinger-Stipendiatin an die ETH-Zürich, wo sie ihr Methodenset mit dem Modellorganismus Caenorhabditis elegans ergänzte. Der Vorteil des Fadenwurms liegt neben dem vergleichsweise flotten Alterungsprozess auch in seiner Transparenz. Man kann unter dem Mikroskop den einen Millimeter langen Wurm und darin enthaltene markierte Proteine bei der Arbeit beobachten.

Kalziumbalance im Zellkraftwerk

In Kooperation mit der Medizinischen Universität Graz gelang der Nachweis, dass Mitochondrien im Alter näher an das Endoplasmatische Retikulum (ER), ein anderes Zellorganell, heranrücken und stärker interagieren. Das ER faltet Proteine zum Einsatz in der Zelle, ist aber auch der größte intrazelluläre Kalziumspeicher. Kalzium treibt als Botenstoff den Stoffwechsel im Zellkraftwerk an, damit genug von dem Energieträger ATP hergestellt wird. Für alternde Zellen kann die Nähe zwischen ER und Mitochondrien aber auch gefährlich werden. „Resveratrol, ein Inhaltsstoff des Rotweins, erhöht die Kalziumaufnahme der Mitochondrien, was die alten Zellen in den Zelltod treibt“, bestätigt die Forscherin. Es wirke daher als Senolytikum, sodass alternde Zellen, wenn sie noch mehr Kalzium aufnehmen, gezielt absterben.

Warum ist es wichtig, dass alte Zellen absterben? Sie schädigen ihr Umfeld durch Entzündungsprozesse und geben vermehrt Sauerstoffradikale ab. „Besser altern mit Rotwein“ klingt nach einem angenehmen Lebensabend. Mit ihren Ratschlägen ist Madreiter-Sokolowski aber noch zurückhaltend. „Viel Rotwein trinken führt wohl eher zu Leberzirrhose als zur Lebensverlängerung“, scherzt die Forscherin. Es werde aber mit Nachdruck daran geforscht, Substanzen mit ähnlichem Wirkmechanismus tatsächlich zur Anwendung am Menschen zu bringen.

Regulierung der Sauerstoffradikale

Was hat es nun mit dem Grüntee als Jungbrunnen auf sich? An der ETH Zürich konnte die Nachwuchsforscherin in diesem Zusammenhang das volle Potenzial der Sauerstoffradikale erforschen. Radikale haben einen schlechten Ruf, weil sie DNA, RNA, Proteine und Fette angreifen. Andererseits entstehen sie regulär in den Mitochondrien im Rahmen der ATP-Produktion und sind in geringer Dosis essenzielle Signalmoleküle: „Wenn wir kurzzeitig mittels Inhaltsstoffen aus dem Grüntee das Level an Sauerstoffradikalen durch Veränderung der mitochondrialen Prozesse im Wurm erhöhen, wird der ganze Organismus auf deren Abwehr trainiert, ähnlich wie bei einer Impfung. Proteine, die Radikale abbauen, werden so zeitgerecht hochreguliert.“ Tatsächlich zeigten sich Fadenwürmer mittleren Alters, denen Grüntee-Katechine verabreicht wurden, im Alter fitter als ihre Artgenossen.

Für Dosis-Empfehlungen ist es aber noch zu früh. Für die Wirkstoffstudien an den Würmern musste sich das Team langsam an die richtige Dosis herantasten. Zudem ist die Bioverfügbarkeit der untersuchten Pflanzeninhaltsstoffe niedrig. Es kommt also wenig Wirkstoff tatsächlich am Zielort an. Basierend auf ihren Forschungsergebnissen sucht Madreiter-Sokolowski nun mit ihrer eigenen Forschungsgruppe an der Medizinischen Universität Graz nach neuen Substanzen, welche die beschriebenen lebensverlängernden Mechanismen noch besser aktivieren können. Erstmals kann mit Forschungsergebnissen nun aber belegt werden, was landläufig diskutiert wurde und als beliebtes Nahrungsergänzungsmittel in der Hoffnung auf ein langes Leben zirkuliert.


Zur Person

Corina Madreiter-Sokolowski studierte Pharmazie an der Universität Graz und forschte in ihrer Postdoc-Zeit mit einem Schrödinger-Stipendium des Wissenschaftsfonds FWF im Labor von Michael Ristow am Department of Health Sciences and Technology der ETH Zürich sowie bei Wolfgang Graier am Gottfried Schatz Forschungszentrum der Medizinischen Universität Graz. Seit Dezember 2020 ist sie Assistenzprofessorin für Molekularbiologie und Biochemie an der Medizinischen Universität Graz. Für ihre Leistungen erhielt die Forscherin im Mai 2022 den Elisabeth-Lutz-Preis, den höchstdotieren Nachwuchspreis der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.


Publikationen

Tawfik I., Gottschalk B., Jarc A., Bresilla D. et al.: T3-induced enhancement of mitochondrial Ca2+ uptake as a boost for mitochondrial metabolism, in: Free Radical Biology and Medicine Vol. 181, 2022

Madreiter-Sokolowski CT, Gottschalk B., Sokolowski AA, Malli R., Graier W.F.: Dynamic Control of Mitochondrial Ca2+ Levels as a Survival Strategy of Cancer Cells, in: Frontiers in Cell and Developmental Biology, 2021

Tian J., Geiss C., Zarse K., Madreiter-Sokolowski CT, Ristow M.: Green tea catechins EGCG and ECG enhance the fitness and lifespan of Caenorhabditis elegans by complex I inhibition, in: Aging, Vol. 13, 2021