Wie verschiedene Antibiotika gemeinsam wirken

Antibiotika sind in der heutigen Medizin ebenso wichtig wie problematisch. Einerseits stellen sie fĂŒr viele Erkrankungen nach wie vor die einzige effektive Therapiemöglichkeit dar, andererseits steigt die Zahl der resistenten Krankheitserreger, wovor die WHO bereits vor einigen Jahren eindringlich warnte. Zuletzt geriet die Entwicklung neuer Antibiotika aufgrund wirtschaftlicher Ăberlegungen ins Stocken. Das Problem wird durch den groĂflĂ€chigen Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung noch verschĂ€rft. Einen Ausweg aus dem Dilemma könnte ein genaueres VerstĂ€ndnis der bestehenden Antibiotika darstellen. Eine Gruppe um den Biophysiker Tobias Bollenbach entwickelt in einem laufenden, vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Grundlagenprojekt neue Methoden, um die Wirkung von Kombinationen verschiedener Antibiotika genauer zu verstehen.
Wirkung ohne genaues VerstÀndnis
âKombinationen von Medikamenten werden in der klinischen Anwendung seit langer Zeit genutzt, etwa bei der Behandlung von HIV oder Krebs. Das gilt auch fĂŒr Antibiotika. Manche haben gemeinsam eine deutlich stĂ€rkere Wirkung als man erwarten wĂŒrde. Warum das so ist, ist in den allermeisten FĂ€llen sehr schlecht verstandenâ, sagt Tobias Bollenbach. Das liege daran, wie Medikamente entwickelt wĂŒrden. Wichtig sei vor allem die Wirkung selbst und nicht das genaue VerstĂ€ndnis, wie diese zustande kommt. âHĂ€ufig weiĂ man, wo das Medikament in der Zelle primĂ€r wirkt, es ist aber oft unklar, ob es noch andere relevante Mechanismen gibtâ, so Bollenbach. Der Forscher und sein Team haben daher die Grundlagen genauer unter die Lupe genommen: Statt Antibiotika an bekannten Krankheitserregern zu testen, haben sie fĂŒr ihre Studie ein einfaches Modell-Bakterium verwendet. Die Rede ist von Escherichia coli, kurz âE. coliâ, das im Darm von Mensch und Tier vorkommt und im Normalfall kein Krankheitserreger ist. Antibiotika hemmen aber das Wachstum verschiedenster Bakterien, weshalb E. coli als Modell-Organismus geeignet ist. âBakterien können wir im Labor einfach unter kontrollierten Bedingungen wachsen lassenâ, sagt der Forscher. âDas erleichtert es uns, systematisch Untersuchungen zu machen.â
Zehntausende Kombinationen
Bollenbachs Ziel ist, systematisch möglichst viele verschiedene Kombinationen von zwei, aber auch drei Antibiotika zu testen. Dazu legte man Kulturen mit E. coli in einem Raster von âTrögenâ an â kleinen GefĂ€Ăen, in denen die Bakterien wachsen können. âWir verwendeten eine Platte mit 96 Trögen und testeten in jedem davon eine andere Kombination von Antibiotikaâ, erklĂ€rt Bollenbach. Seine Gruppe arbeitete mit bis zu 40 dieser Platten parallel. Die VorgĂ€nge wurden zum Teil automatisiert und die Aufgaben auf Roboter ĂŒbertragen â etwa das ĂberfĂŒhren der Platten aus dem Brutkasten in ein DiagnosegerĂ€t. So sind gröĂere Experimente möglich. Wichtig sei die verbesserte Systematik, sagt Bollenbach: âMit Trial and Error kommt man hier schnell an die Grenzen. Bei Antibiotika gibt es ungefĂ€hr zehn verschiedene Wirkungsmechanismen. Alle unterschiedlichen Varianten mitgezĂ€hlt, gibt es einige hundert verschiedene Antibiotika. Diese paarweise zu kombinieren ist gerade noch möglich, wir sprechen von zehntausenden Experimenten. Sobald aber ein dritter Wirkungsmechanismus dazukommt, explodiert die Zahl.â Darum sei es wichtig, ein genaueres VerstĂ€ndnis der Mechanismen zu bekommen. âErst dann lĂ€sst sich realistisch vorhersagen, welche Kombination besonders gut funktionieren wirdâ, erklĂ€rt der Forscher.
Welche Gene fĂŒr Antibiotika relevant sind
EC hat als Modellorganismus einen weiteren Vorteil, den Bollenbach nutzten konnte: Jedes der rund 4500 Gene von E. coli lĂ€sst sich einzeln ein- oder ausschalten. Es gibt Sammlungen von E. coli-StĂ€mmen, wo bei jedem Stamm ein anderes Gen ausgeschaltet wurde. Bollenbachs Gruppe untersuchte, welche dieser Gene die Bakterien sensibler oder robuster gegen bestimmte Antibiotika machen. âWir haben systematisch nach diesen Genen gesuchtâ, sagt der Forscher. Das sei fĂŒr Antibiotika-Kombinationen besonders schwierig gewesen. Eine neu entwickelte Systematik wurde publiziert und kann als Startpunkt fĂŒr weitere Experimente dienen.
Das Resistenzproblem entschÀrfen
âDas Problem mit den Antibiotika-Resistenzen ist sehr ernstâ, bestĂ€tigt Bollenbach, der betont, dass es sich trotz der gesellschaftlichen Relevanz des Themas um Grundlagenforschung handelt, die das VerstĂ€ndnis verbessern soll. Antrieb dafĂŒr ist die Aussicht, Kombinationen zu finden, die auch gegen resistente Bakterien wirken. Bakterien können zudem daran gehindert werden, ĂŒberhaupt Resistenzen zu entwickeln. So gibt es Arbeiten, die zeigen, dass Wirkstoffe, die eigentlich âantagonistischâ sind, also gemeinsam schwĂ€cher wirken als einzeln, es Bakterien schwerer machen, Resistenzen zu entwickeln. âDas Potenzial von Kombinationen verschiedener Antibiotika ist in dieser Hinsicht riesigâ, so der Forscher. âDas Resistenzproblem wird sich auf diesem Weg entschĂ€rfen lassen. Und auch kurzfristige Lösungen auf bestimmte Probleme sind absehbar.â
Zur Person Tobias Bollenbach ist Biophysiker an der UniversitĂ€t Köln. Er interessiert sich besonders fĂŒr die Dynamik von Bakterienwachstum unter Stressfaktoren, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung von Resistenzen gegenĂŒber Medikamenten. FĂŒr die Untersuchung kombiniert er Methoden aus Mikrobiologie und Physik.
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