Wenn die Sonne den Strom abdreht
Die Sonne ist ein äußerst aktiver Himmelskörper, der die Planeten des Sonnensystems auf viele unterschiedliche Arten beeinflusst. Einer der augenscheinlichsten Effekte sind Polarlichter. Diese werden durch Sonnenwind hervorgerufen, das heißt, durch einen stetigen Strom von Protonen und Elektronen von der Sonne, der mit dem Erdmagnetfeld wechselwirkt und so bunte Lichteffekte verursacht. Im Normalfall schirmt das Magnetfeld der Erde den Sonnenwind weitgehend ab, doch manchmal kommt es auf der Sonne zu riesigen Eruptionen, bei denen in relativ kurzer Zeit viel heißes Material ins All hinausgeschleudert wird. Dieses trifft Tage später als Sonnensturm auf die Erde, wobei es zur Beschädigung von Satelliten, Störung der GPS-Navigation oder sogar zu Stromausfällen kommen kann. Was dabei genau passiert, ist immer noch weitgehend unverstanden, weshalb gleich mehrere verschiedene Raumsonden Instrumente an Bord haben, um Sonnenstürme vom All aus aufzuzeichnen. Eine Forschungsgruppe um den Astrophysiker Christian Möstl vom Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Graz arbeitet in einer Reihe von vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekten daran, Sonnenstürme und ihre Effekte auf der Erde in Echtzeit zu modellieren und so eine präzisere Vorhersage solcher Extremereignisse zu ermöglichen. In einem 2019 abgeschlossenen Projekt entwickelte ein Team um Möstl nun ein besonders detailliertes Modell zur Ausbreitung von Sonnenstürmen.
Elliptische Form
„Das Ziel ist klar, wir wollen Sonnenstürme vorhersagen“, sagt Christian Möstl. „Es gibt gleich mehrere Raumsonden, die Sonnenstürme aus einiger Entfernung zur Erde verfolgen können. In den Neunzigern machte die Sonde SOHO erstmals solche Aufnahmen, heute sind es zusätzlich zwei Sonden namens STEREO und die Parker Solar Probe.“ All diese Sonden bewegen sich in oder in unmittelbarer Nähe der Ekliptik – jener Ebene, in der die Planeten um die Sonne kreisen. Wie die Stürme von außerhalb dieser Ebene aussehen, lässt sich mit den derzeitigen Sonden nicht klären. Die Modelle müssen mit möglichst realistischen Annahmen arbeiten. „Ältere Modelle nahmen eine punktförmige oder kreisförmige Struktur an, doch das ist unrealistisch“, sagt Möstl. „Wir haben bereits in einem früheren Projekt die Kreise durch Kreisbögen ersetzt. In diesem Projekt haben wir nun den nächsten Schritt gemacht und sind zu einer elliptischen Form übergegangen.“ Um die Genauigkeit weiter zu steigern, erweiterte Möstls Team das Modell um eine Reihe von Effekten. Der Sonnenwind hat in der Regel eine geringere Geschwindigkeit als die Sonnenstürme und bremst diese. „Sonnenstürme reagieren stark auf den Sonnenwind“, erklärt Möstl. „Unser neues Modell ist das erste, das die Weitwinkelbeobachtungen von STEREO und den Strömungswiderstand durch den Sonnenwind kombiniert.“
Simulation in Echtzeit
Das Besondere an dem Modell ist, dass es Echtzeitvorhersagen produzieren kann, sobald geeignete Daten zur Verfügung stehen. Dies könnte Mitte der 2020er durch eine geplante ESA Satellitenmission der Fall sein, wie Projektmitarbeiterin Tanja Amerstorfer betont: „Es geht nicht darum, im Nachhinein die Effekte nachzubilden, sondern darum, ein Tool zu haben, das wir in Echtzeit benutzen können.“ Sonnenstürme brauchen in der Regel vier oder fünf Tage, bis sie die Erde erreichen. „Der Rekord liegt bei 14 Stunden“, so Amerstorfer – genug Zeit für ein Frühwarnsystem. Eine offizielle Stelle zur Vorhersage, wann Sonnenstürme die Erde treffen, gibt es aber bislang nicht. „Es gibt eine Seite, wo Forschungsgruppen wie wir Wetten über die Ankunftszeit abschließen können“, sagt Möstl. 2011 habe man mitgemacht und auch gewonnen, aber ein ernst zu nehmendes Warnsystem sei das nicht.
Ein funktionierendes Frühwarnsystem fehlt also nach wie vor. „Es hat in der Geschichte mehrmals Sonnenstürme gegeben, die heutzutage großen Schaden anrichten würden“, sagt Amerstorfer. Das letzte große Ereignis dieser Art war 1989 in Quebec, wo es zu Stromausfällen kam. 1859 und 1921 trafen noch deutlich größere Sonnenstürme die Erde. Damals waren auch in mittleren Breiten Polarlichter zu sehen, etwa in Rom. Telegrafenleitungen wurden beschädigt. Solche Ereignisse hätten bei der heutigen Infrastruktur verheerende Auswirkungen. „Die USA und Großbritannien haben dieses Szenario in ihre nationalen Katastrophenpläne aufgenommen“, berichtet Amerstorfer. 2012 verfehlte übrigens ein Sonnensturm von der Größe des Ereignisses von 1859 nur knapp die Erde.
Magnetfeld als Problem
Möstl und Amerstorfer betonen, dass noch viel zu tun ist, bis ein verlässliches Warnsystem etabliert werden kann. Der Fehler bei der Abschätzung der Ankunftszeit liegt derzeit im besten Fall bei etwa zehn Stunden. Das größte ungelöste Problem ist laut Möstl das Magnetfeld in Sonnenstürmen. „Man weiß, dass es sich um große, gebogene sogenannte Flussröhren handelt. Aber wie das Magnetfeld darin genau konfiguriert ist, darüber gibt es nur Vermutungen. Es wird wichtig sein, das Magnetfeld in einem Sonnensturm zu kennen.“ Dieses sei genauso wichtig wie die Größe des Sturms, so der Astrophysiker: „Die Richtung des Magnetfeldes fungiert wie ein Schalter. Hat das Magnetfeld des Sturms die entgegengesetzte Orientierung wie jenes der Erde, wird er viel mehr Energie auf das Erdmagnetfeld übertragen, als wenn es die gleiche Ausrichtung hat.“ Auch die Geschwindigkeit spielt eine große Rolle: Ein kurzer, schneller Sturm hat einen stärkeren Effekt als ein langsamerer, lang anhaltender. Sonnenstürme treten außerdem oft nicht allein auf, sondern unmittelbar hintereinander und interagieren miteinander.
Die ganze Kette an Effekten simulieren
Die Grazer Forschergruppe arbeitet nun in weiteren FWF-Projekten an unterschiedlichen Aspekten des Problems, um so eine ganze Kette von Simulationen aufzubauen. „Wir wollen vom Ausbruch des Sonnensturms bis hin zu den Effekten auf der Erde, Polarlichter und Ströme im Erdboden in einem einzigen Modell zusammenfassen. Das ist das Ziel“, sagt Möstl.
Zu den Personen Christian Möstl ist Astrophysiker am Institut für Weltraumforschung der österreichischen Akademie der Wissenschaften (IWF) in Graz. Er interessiert sich für Masseneruptionen von der Sonne, „Weltraum-Wetter“ und dessen Simulation in Echtzeit, sowie für die Magnetfelder von Planeten. Tanja Amerstorfer ist Astrophysikerin am IWF in Graz. Sie interessiert sich für die Form und Kinematik von Sonnenstürmen, insbesondere für ihre Wechselwirkung mit dem Sonnenwind und anderen Sonnenstürmen.
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