Menschen am Strand mit riesigem Hotelgebäude im Hintergrund aus der Zeit des Kalten Krieges
Es war eine spannungsgeladene Zeit: An der Adriaküste des ehemaligen Jugoslawien boomte der Tourismus, während geheime Verteidigungsanlagen errichtet wurden. (Bild: militärische Tourismusanlage Kupari, bei Dubrovnik) © Spomenik Database Postcard Archive

„Als wir in den 80er-Jahren Urlaub auf Lastovo gemacht haben, waren viele Teile der Insel Militärsperrzonen“, erzählt Antonia Dika aus ihrer Kindheit in Kroatien. „Ausländische Staatsbürger durften gar nicht auf die Insel. Bis heute erinnere ich mich daran, wie mein Vater und Onkel das als besondere Sache angesehen haben, da es dadurch ja so viele Fische gegeben habe“, so die Architekturwissenschaftlerin von der Kunstuniversität Linz. Heute ist die kroatische Insel Lastovo eine von sechs Fallstudien, die Dika gemeinsam mit der Kulturwissenschaftlerin Anamarija Batista im Zuge des Projekts „Kollektive Utopien der Nachkriegsmoderne“ untersucht hat.

Lastovo, Vis, Brijuni, Lošinj, Šepurine und Kumbor haben schließlich eines gemeinsam: Militäranlagen aus dem Kalten Krieg zur Küstenverteidigung trafen dort auf den aufkommenden Massentourismus, in den Jugoslawien entlang derselben ostadriatischen Küste mit massiven Hotelanlagen und Kulturzentren investierte – ein skurriles Bild, das für mehrere Jahrzehnte Normalität war. Und eine Geschichte, die der Vergessenheit anheimgefallen ist.

Wenn Militär auf Tourismus trifft

„Unser Fokus lag auf der Frage, welchen Einfluss die militärische und touristische Nutzung auf die lokale Bevölkerung und die Ortschaften hatte“, sagt Antonia Dika. Die Vermengung der beiden Strukturen war in den dokumentierten Fallstudien unterschiedlich. Während auf Lastovo und Vis nur Einheimische Zutritt hatten, lagen auf Lošinj die Militäranlagen nah bei den Tourismusresorts. „Dort war es normal, dass Yachten neben Kriegsschiffen zu sehen waren“, erklärt die Forscherin. Die Widersprüche dieser Parallelität sind für die Projektleiterinnen besonders interessant.

In nur wenigen Jahren entwickelte sich die Küstenregion Jugoslawiens zu einer beliebten Tourismusregion der Nachkriegszeit. Gleichzeitig rüstete sich das Land gegen einen potenziellen Angriff der NATO. Die in Rijeka geborene Architektin und Forscherin Antonia Dika verfolgte die Spuren eines Landes zwischen Bunker und Badestrand und was davon blieb.

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Einerseits sollte die jugoslawische Bevölkerung das Militärgeheimnis wahren. Andererseits musste sie entlang der Adriaküste als Gastgeber auftreten, um Jugoslawien gut zu repräsentieren. Das führte zu einer paradoxen Situation: „Man hatte Verteidigungsstrukturen gegen den Westen, und dann kamen Touristen aus eben diesen NATO-Ländern, um vor den Anlagen Wasserski zu fahren“, so Dika. Der Blick auf den Horizont wird zum Sinnbild für Krieg und Frieden: „Während die einen also auf den Feind warteten und sich schützen wollten, entspannten sich die anderen und verloren sich im Moment.“

Einen Kanonenanlage in den Fels gebaut an der Küste von Kroatien
Kanonenanlage zur Verteidigung gegen mögliche Schiffsangriffe, Vis 2024 © Antonia Dika

Bauwerke der Ideale

Bauwerke wie das Hotel Haludovo auf der Insel Krk sind heute bekannte „Lost Places“, vergessene Gebäude, die im Jetzt an die Vergangenheit erinnern. Doch ihre Geschichte spiegelt auch eine Chronik der Ideale wider. Anfang der 1950er-Jahre wurden im damaligen Jugoslawien die ersten Strukturen für einen Tourismus geschaffen, der von sozialistischen Idealen geprägt war. Es war ein Tourismus, der für die Leute vor Ort gemacht wurde, die damals hauptsächlich von Fischfang und Landwirtschaft lebten. Mit dem Bau einer Straße entlang der ostadriatischen Küste Ende der 1960er-Jahre wurde die Anbindung an den Westen und damit der Massentourismus möglich. Plötzlich wurden bekannte Architekten beauftragt, innovative Resorts zu bauen: „Diese pompösen Hotelanlagen fungierten als Visitenkarten Jugoslawiens“, so Dika. Sie sollten zeigen, wie gut die blockfreie Lösung im damaligen Jugoslawien während des Kalten Krieges funktionierte.

Der aufkommende Tourismus hatte also politisches Kalkül. Gleichzeitig gab es vom Militär eingerichtete Kulturzentren mit Veranstaltungen von Konzerten bis Kinovorführungen: „Dort trafen Touristen auf die Zivilbevölkerung“, so die Forscherin. Die Privatisierung touristischer Gebiete hat wegen dieser Ideale eine andere Tradition als in Österreich. Massenprivatisierungen wie an diversen österreichischen Seen wären im heutigen Kroatien undenkbar und werden durch die Zivilbevölkerung sanktioniert. Auch ein Badetuch, das Antonia Dika und Anamarija Batista als interventionistischen Teil des Forschungsprojektes entworfen haben, fand großen Anklang in der Bevölkerung. Darauf steht: „Die Meeresküste ist Allgemeingut – und Allgemeingut ist Jedermannsgut.“

Jugendlicher in roter Badehose steigt an leiter aus dem Meer auf einen alten Badesteg aus der Zeit des ehemaligen Jugoslawien
Spuren aus der Vergangenheit: Am Badeort Kumbor in Montenegro wurde eine ehemalige Militäranlage in ein Luxus-Tourismusressort umgewandelt. (2022) © Zara Pfeifer

Von der Vergangenheit lernen

Der Bruch mit der sozialistischen Tourismusvergangenheit ist eng verknüpft mit dem Jugoslawienkrieg und dem Aufschwung des Kapitalismus. Viele der einstigen Ferienanlagen standen während des Krieges leer oder wurden für Flüchtlinge genutzt. „Warum sie teils immer noch leerstehen, hat meist mit ungeregelten Eigentumsverhältnissen zu tun. Das gilt auch für die Militäranlagen“, so Dika. Durch die Profitgier weniger seien viele dieser Gebiete zu Streitzonen geworden. Die Bevölkerung trauere eher den Tourismusanlagen nach, weil sie die touristischen Orte als ihre eigenen wahrgenommen habe.

Durch die Recherche in Archiven und Internetforen bekam Dika Zugang zu Zeitzeugen, die die damalige Atmosphäre rekapitulieren konnten. „Ehemalige Grundwehrdiener erwiesen sich als die größte Informationsquelle, da sie von ganz Jugoslawien an diese Ferienorte kamen, aber nach dem Krieg in alle Welt verstreut wurden und sich nun durch soziale Netzwerke darüber austauschen“, so Dika. Als die Wissenschaftlerinnen 2023 ihre Forschungsergebnisse bei der Ausstellung „The Distance View“ in Sarajewo präsentierten, konnten sie schließlich viele Fragmente durch räumliche Verortung zusammenfügen: „Das ermöglichte uns, ein Bild über das Früher und Jetzt zu erhalten, das all diese widersprüchlichen Perspektiven vereint.“ Gleichzeitig arbeiteten Dika und Batista in Kooperation mit Fotografin Zara Pfeifer, den Künstlern Goran Škofić und Olaf Osten, Musiker Emir Kulačić sowie Filmemacher Arthur Summereder auch künstlerisch zu dem Thema. Die daraus entstandenen Arbeiten wurden ebenfalls bei der Ausstellung in Sarajewo gezeigt.

Zur Person

Antonia Dika arbeitet als Architektin, Stadtplanerin und Forscherin in Wien. Als Senior Scientist leitet sie an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz das kunstbasierte Forschungsprojekt „Kollektive Utopien der Nachkriegsmoderne“ (2018–2024), das vom Wissenschaftsfonds FWF mit 397.000 Euro gefördert wurde. Dika lehrte an mehreren Universitäten und wurde mehrfach ausgezeichnet. Nebenbei arbeitet sie auch für die Gebietsbetreuung Stadterneuerung in Wien.