Über die erstaunliche Einfachheit der Komplexität
FWF: Welche Antworten soll Ihr Projekt geben? Gemma De las Cuevas: Ich frage danach, warum es so einfach ist, Komplexität zu erschaffen. Wir sehen das in der Physik, in der Biologie, in fast allen wissenschaftlichen Bereichen: Man startet zwar mit ganz simplen Systemen und simplen Regeln, doch die daraus resultierenden Phänomene werden sehr schnell extrem kompliziert. Beispielsweise basiert die Arithmetik mit all ihrer Komplexität nur auf wenigen Axiomen. Die Antwort auf die Frage, warum das so ist, liegt im Phänomen der Universalität: Ein System ist universell, wenn es für seinen Bereich jede mögliche Komplexität annehmen kann – und gerade sehr einfach aufgebaute Systeme sind universell. Ein Beispiel für universelle Systeme sind universelle Spinmodelle wie das sogenannte Ising-Modell. FWF: Was versteht man darunter? De las Cuevas: Spinmodelle kommen ursprünglich aus der Festkörperphysik, in der man mit ihnen den Drehimpuls – den „Spin“ – von Teilchen beschrieb. Nun werden in Spinmodellen die Spins benutzt, um allgemeine Freiheitsgrade zu beschreiben. Universelle Spinmodelle beinhalten nun also bereits die Komplexität aller möglichen Spinmodelle. Doch das ist nicht das einzige Konzept von Universalität, das wir zur Verfügung haben. Eines der bekanntesten findet man in den Computerwissenschaften: sogenannte universelle Turingmaschinen. Das sind sehr einfache theoretische Modelle von Computern, die grundsätzlich alle möglichen Algorithmen abarbeiten könnten – eine Maschine, auf denen grundsätzlich jedes Programm läuft. Und dann haben wir künstliche neuronale Netzwerke, die die Basis für viele Algorithmen im Bereich des maschinellen Lernens bilden. Alle diese Modelle beinhalten Konzepte der Universalität, die sich einander sehr ähneln. Ich glaube, dass es grundsätzliche Verbindungen und Gemeinsamkeiten zwischen ihnen gibt. Diese möchte ich besser verstehen. Das Konzept der Universalität ist zudem mit dem mathematischen Problem der Unentscheidbarkeit verbunden – also Aussagen, die prinzipiell weder bewiesen noch widerlegt werden können. Es sind zwei Seiten derselben Münze. Dank dem Forschungsansatz könnte auch die Tragweite dieses Problems künftig besser verstanden werden. Es lässt sich jedenfalls viel lernen, wenn man es schafft, Brücken zwischen den verschiedenen Disziplinen und ihren Konzepten zu bauen. Vielleicht lassen sich daraus auch Lehren für andere Bereiche ziehen – etwa für die Linguistik oder sogar für die Biologie. Immerhin gibt es kaum eine größere Komplexität als jene, die wir in der Biosphäre finden.
„Die Frage nach der Universalität ist seit Langem eine meiner Leidenschaften.“
FWF: Welche ersten Schritte werden Sie in Ihrem Projekt setzen? De las Cuevas: Ich werde mein Team erweitern. Ich arbeite im Moment hauptsächlich im Bereich der mathematischen Physik und komme deswegen aus einem Gebiet, das stärker von technischen Fragestellungen geprägt ist. Ab dem Sommer wird es die ersten Ausschreibungen geben, und ich werde hoffentlich gute Leute finden. FWF: Was bedeutet der START-Preis für Ihre Forschungstätigkeit? De las Cuevas: Die Frage nach der Universalität ist seit Langem eine meiner Leidenschaften. Ich freue mich sehr darauf, meine diesbezüglichen Forschungsideen mithilfe des START-Preises realisieren zu dürfen. Mir wird damit eine großartige Möglichkeit geboten. Ich bin dankbar, froh und aufgeregt, dass ich diese Chance habe. FWF: Was motiviert Sie für Ihre Forschung? De las Cuevas: Schöne Ideen können mich motivieren – wie eben jene der Universalität. Vor einigen Jahren habe ich zum Beispiel ein Buch gelesen, das ich diesbezüglich sehr anregend fand: „The Beginning of Infinity“ von David Deutsch. Ich habe mich schon davor mit Universalität beschäftigt, in diesem Buch wurde aber argumentiert, wie man das Konzept nutzen könnte, um neues Wissen zu generieren. Das fand ich sehr inspirierend. Solche Dinge haben das Zeug, mich in meiner Forschung stark zu motivieren.
Gemma De las Cuevas ist Assistenzprofessorin am Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf Konzepten der mathematischen Physik, darunter theoretische Konzepte wie Universalität oder Unentscheidbarkeit. Vorhergehende Stationen der aus Barcelona stammenden Wissenschaftlerin waren das Perimeter Institute for Theoretical Physics in Waterloo, Kanada, das Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) in Garching, Deutschland und die Universitat Autònoma de Barcelona in Katalonien.
Zum Projekt „Universelle Spinmodelle, Turingmaschinen und neuronale Netze“: Der Titel des Forschungsprojektes bezeichnet drei theoretische Ansätze aus unterschiedlichen Wissenschaften, die eines gemeinsam haben: Sie können, obwohl sie nur auf einfachen Regeln basieren, in ihrem Bereich jede mögliche Komplexität abbilden. Diese Eigenschaft zur Universalität der unterschiedlichen Modelle sollen in dem START-Projekt verglichen und Verbindungen und Gemeinsamkeiten aufgezeigt werden – nicht nur um diese theoretischen Konzepte besser zu verstehen, sondern auch um ihre Anwendbarkeit in den Wissenschaften zu erweitern.
Der START-Preis Das START-Programm des Wissenschaftsfonds FWF richtet sich an junge Spitzenforschende, denen die Möglichkeit gegeben wird, auf längere Sicht und finanziell weitgehend abgesichert ihre Forschungen zu planen. Es ist mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert und zählt neben dem Wittgenstein-Preis zur prestigeträchtigsten und höchstdotierten wissenschaftlichen Auszeichnung Österreichs.