Strategie und Konzentration

Seit Jahren bemĂŒht man sich hierzulande, mehr Frauen in technische Berufe zu bekommen. Trotzdem sind von den Studierenden, die ein MINT-Fach (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) abschlieĂen, nicht einmal ein Viertel Frauen. Bei der Suche nach den Ursachen vermutete man lange Zeit mangelnde Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und fehlende Chancengleichheit.
Viele Technikerinnen in SĂŒdeuropa
Eine internationale Studie aus dem Jahr 2018 zeigt jedoch das Gegenteil: In LĂ€ndern mit weniger Gleichberechtigung studieren durchschnittlich mehr Frauen naturwissenschaftliche und technische FĂ€cher. Eine Beobachtung, die auch Ioanna Giouroudi, Elektrotechnikerin an der Technischen UniversitĂ€t (TU) Wien, bestĂ€tigen kann: âIch kenne viele Frauen in Griechenland, Portugal und Spanien, die hohe Positionen in der Industrie haben.â Der aktuelle Befund fĂŒr ihre Studienrichtung der Elektrotechnik an der TU Wien sieht jedoch dĂŒster aus: âDer Frauenanteil bei den Studierenden liegt bei 13 Prozent, sinkt bei den Absolventinnen auf 11,2 Prozent und beim wissenschaftlichen Personal auf 11 Prozent. Unter den 20 Professuren der FakultĂ€t ist eine einzige Frau zu findenâ, weiĂ Brigitte Ratzer, technische Chemikerin und Leiterin der Abteilung Genderkompetenz an der TU.
âViele Frauen in Griechenland, Portugal oder Spanien haben hohe Positionen in der Industrie.â
âParadoxon der Gleichberechtigungâ
In LĂ€ndern wie Albanien, Algerien, Tunesien und den Vereinigten Arabischen Emiraten sind bis zu 40 Prozent der einschlĂ€gigen MINT-StudienabschlĂŒsse von Frauen. Nur 20 Prozent sind es hingegen in Norwegen und Finnland, in jenen beiden LĂ€ndern, die laut Global Gender Gap Index in ihrer Gleichberechtigung ganz vorne liegen, weit hinten sind hier wiederum die oben genannten arabisch-sprachigen LĂ€nder. Fachleute sind eigentlich davon ausgegangen, dass die Unterschiede in der Berufswahl von Buben und MĂ€dchen verschwinden werden, je mehr Gleichberechtigung es in einer Gesellschaft gibt. Doch offenbar ist das Gegenteil der Fall â im Fachjargon âParadoxon der Gleichberechtigungâ genannt.
Technische Berufe versprechen bessere Berufschancen
Die beiden Studienautoren Gijsbert Stoet und David C. Geary haben ĂŒber 400.000 15- bis 16-jĂ€hrige Jugendliche aus mehr als 50 Staaten analysiert. Das Bild das sich dabei zeigte: Zwischen SchĂŒlerinnen und SchĂŒler gab es keine signifikanten Leistungsunterschiede in Naturwissenschaften und Mathematik. Beim persönlichen âBestfachâ jedoch schnitten Buben in den Naturwissenschaften besser ab, MĂ€dchen hingegen beim Lesen. In diesem persönlichen âBestfachâ könnte eine ErklĂ€rung fĂŒr die Berufswahl der MĂ€dchen liegen. In eher gleichberechtigten LĂ€ndern mit guter sozialer Absicherung und meist hoher Lebenszufriedenheit hat man, laut den Forschern, die entsprechende Freiheit, sich gemÀà seiner Begabungen und Vorlieben zu entscheiden. Geringere soziale Absicherung und schlechtere Perspektiven könnten hingegen GrĂŒnde sein, warum in weniger gleichberechtigten LĂ€ndern mehr MĂ€dchen eine naturwissenschaftliche Karriere einschlagen. Sie versprechen sich davon höhere Chancen auf einen sicheren Job und ein gutes Einkommen.
Job mit Zukunft gefragt statt Sportlehrerin
Dieses Studienergebnis kann die in Griechenland aufgewachsene Wissenschaftlerin bestĂ€tigen: âIn meinem Heimatland geht es neben persönlichen Neigungen bei der Berufswahl auch immer um die Frage, was Zukunft hat und womit man Geld verdienen kann. Dass Technik nicht global mĂ€nnerbesetzt ist, zeigt auch eine Zahl, auf die Brigitte Ratzer hinweist: âAn der TU Wien kommen 40 Prozent der Studentinnen nicht aus Ăsterreich, sondern aus SĂŒdeuropa, Osteuropa, aus arabischen Staaten, der TĂŒrkei und dem Iran.â
HĂ€tte sich Ioanna Giouroudi frei von ökonomischen Ăberlegungen entscheiden können, wĂ€re sie vielleicht Sportlehrerin geworden, stellt sie schmunzelnd fest. Nicht weit hergeholt, ist sie schon als Kind extrem sportlich als Leichtathletin, als Basketball- und Tennisspielerin.
Schach mit dem Degen
Im Alter von13 Jahren ist sie auf dem Weg zur professionellen Fechterin. Ein Trainer erkennt ihr Talent und bereits nach drei Monaten Training nimmt sie an Wettbewerben teil, gewinnt Medaillen in Griechenland, Ăsterreich und SĂŒdafrika. Was sie besonders an diesem Sport fasziniert, ist die Kombination aus strategischem Wissen, Technik und Konzentration. âJeder Gegner ist anders, man muss in den ersten Sekunden seine Strategie erkennen und die eigene wĂ€hlen. Das ist wie Schachspielenâ, gerĂ€t sie ins SchwĂ€rmen. Ihre nebenberufliche Fechtkarriere endet jedoch 2010. Die Belastung fĂŒr die Gelenke wurde zu groĂ. âHĂ€tte ich es professionell betrieben, wĂ€re mir auch mehr Zeit fĂŒr die körperliche Regeneration gebliebenâ, erklĂ€rt sie. Um von diesem Sport leben zu können, sei er zu wenig breitenwirksam. âDas geht mit einem Sport wie Basketball leichter. Beim Fechten muss man wie beim Tennis schon wirklich ganz oben sein, um davon leben zu können.â

Familieneinsatz mit dem Akkuschrauber
Eine reine Vernunftentscheidung war das Studium der Elektrotechnik jedoch nicht, hat sich die heute 40-JĂ€hrige doch schon in ihrer Kindheit sehr fĂŒr Technik interessiert und ist stets den Eltern zur Seite gestanden, wenn es etwas zu reparieren oder zu installieren gab. Noch heute ist sie diejenige, die mit Akkuschrauber und Bohrmaschine anrĂŒckt, wenn es in der Familie ein âBaulosâ gibt.
Von Griechenland nach Wien
WĂ€hrend der Diplomarbeit in Zusammenarbeit mit der Nationalen Technischen UniversitĂ€t in Athen beginnt die junge Wissenschaftlerin an Magnetismus zu arbeiten und entscheidet sich schlieĂlich dazu, an die Technische UniversitĂ€t nach Wien zu wechseln. Hier arbeitet sie an ihrem ersten vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt, einer Kooperation mit Siemens Erlangen. âDas war genau, was ich machen wollte: die Entwicklung magnetischer Materialien fĂŒr Anwendungen in der Sensorikâ, erinnert sie sich. In den folgenden drei Jahren arbeitet Giouroudi teilweise parallel an einer Marie-Curie-Stelle und an ihrer Doktorarbeit.
Erfahrungen in der Autoindustrie
Dieser forschungs- und arbeitsintensiven Zeit folgt ihre TĂ€tigkeit in der Industrie. 2006/2007 ist sie Projektmanagerin bei Magna Steyr. Eine wertvolle Erfahrung, lernt sie dabei eine Welt kennen, die so ganz anders zu ticken scheint als die Wissenschaft: âMan muss in der Industrie Aufgaben annehmen, von denen man nicht weiĂ, ob man sie rechtzeitig erledigen kann, um nicht AuftrĂ€ge an die
âMeine Berufserfahrung hilft mir in der Zusammenarbeit mit Industriepartnern.â
Konkurrenz zu verlieren. Man fragt nicht, schaffen wir das in dieser Zeit, kollidiert es mit anderen Projekten und wieviel Personal benötigen wir? Dieser enorme Druck erzeugt auch eine unangenehme, angespannte AtmosphĂ€re. Auch in der Welt der Wissenschaft gibt es groĂen Druck, geht es manchmal um die Existenz von Gruppen, aber man versucht eine gemeinsame Lösung zu finden und die AtmosphĂ€re bleibt freundlichâ, vergleicht sie. Die Wissenschaftlerin ist dankbar fĂŒr diese Erfahrung, habe sie doch dabei gelernt, mit der Industrie, die sie als Partner fĂŒr ihre Projekte brauche, richtig zu kommunizieren.
Tragbarer Sensor prĂŒft WasserqualitĂ€t
WĂ€hrend ihres Postdoc-Aufenthalts 2007 an der Stellenbosch University in SĂŒdafrika verlagert Giouroudi ihren Arbeitsschwerpunkt in jenen Bereich, der sie bis heute am meisten interessiert: die Medizintechnik. Im Rahmen zweier vom FWF geförderten Forschungsprojekte, das 2017 abgeschlossen wurde, entwickelte sie einen neuen Biosensor zur Ăberwachung von Wasser und anderen FlĂŒssigkeiten wie Milch und SĂ€ften auf Krankheitserreger. Der Biosensor basiert auf magnetischen Nanopartikeln. Die Anwendungsidee ist, dass man zum Beispiel in FlĂŒssen, Quellen oder SchwimmbĂ€dern das Wasser vor Ort auf Krankheitserreger ĂŒberprĂŒfen kann. Was man dazu braucht, ist lediglich ein Laptop und der Sensor, der mit der gesamten Elektronik nicht gröĂer als ein kleines Smartphone ist. âDas ist ein Forschungsfeld mit einem enormen Potenzial, an dem weltweit sehr intensiv gearbeitet wirdâ, sagt die Wissenschaftlerin. Anwendungsgebiete sind beispielsweise die Nahrungsmittelindustrie oder die Untersuchung von Blut.
âDie Forschung an tragbaren Sensoren hat enormes Potenzial.â
Anwendung bei Blut intensiv erforscht
Um den von ihr entwickelten Sensor auch in der Blutuntersuchung anwendbar zu machen, wĂŒrde es noch einige Jahre intensive Forschung benötigen. Könnte man Blut zum Beispiel bei einem Unfall bereits im Krankenwagen untersuchen und nicht erst im Labor, wĂŒrde das enorm viel Zeit und Geld sparen und in manchen LĂ€ndern, wo es keine hohe Dichte an Laboren gibt, ĂŒberhaupt eine Untersuchung ermöglichen. âDaran wird weltweit intensiv gearbeitet. Portable GerĂ€te liefern noch nicht die Messgenauigkeit wie ein Labor. Daran scheitert manchmal die Marktreife der Produkteâ, nennt die Wissenschaftlerin die Herausforderung.

Fessel Kettenvertragsregelung
Giouroudi selbst wird in den nĂ€chsten Jahren jedoch nicht an ihrem Sensor weiterarbeiten. Grund dafĂŒr ist die sogenannte Kettenvertragsregelung. Im Juli 2017 ist ihr Vertrag an der TU Wien ausgelaufen. UrsprĂŒnglich als Mitarbeiterschutz eingefĂŒhrt, besagt diese Regelung, dass universitĂ€re Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Bereich der Lehre oder ĂŒber Drittmittel- und Forschungsprojekte beschĂ€ftigt sind, nicht lĂ€nger als sechs bzw. acht Jahre bei Teilzeit in befristeten DienstverhĂ€ltnissen beschĂ€ftigt werden dĂŒrfen. Eigentlich gut gemeint, denn damit sollte sichergestellt werden, dass nach mehreren Jahren in befristeten DienstverhĂ€ltnissen ein unbefristeter Dienstvertrag auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wartet. In der Praxis fĂŒhrt diese Regelung aber genau zum Gegenteil. Die UniversitĂ€ten vergeben selten unbefristete VertrĂ€ge und somit endet fĂŒr viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Ende der sechsjĂ€hrigen TĂ€tigkeit im befristeten VerhĂ€ltnis das Ende der beruflichen Laufbahn an der UniversitĂ€t.
Koordination TU Doctoral School
FĂŒr Ioanna Giouroudi hat es sich jedoch gut ergeben. Sie bleibt am Haus und ist seit Oktober dieses Jahres Koordinatorin der TU Doctoral School. Damit forscht sie zwar nicht mehr selbst aktiv, ist aber noch immer im wissenschaftlichen Umfeld tĂ€tig und kann ihre Erfahrung als Wissenschaftlerin einbringen. Ihre Aufgabe ist es, die Doktoratsausbildung unter einem Dach zu koordinieren. âFĂŒr die Doktorandinnen und Doktoranden wird die Ausbildung damit strukturierter. AuĂerdem versuchen wir, die jungen Leute so gut zu finanzieren, dass sie sich ganz auf ihre Forschung konzentrieren könnenâ, nennt Giouroudi zwei wichtige Ziele. Ihre Vernetzungsfunktion wird viel Kommunikation erfordern. Dabei wird ihr die offene und sympathische Art sehr entgegenkommen â aber auch, dass sie schon seit vielen Jahren im Haus ist und die meisten der lang gedienten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennt.
Strategie und Konzentration
Eine herausfordernde TĂ€tigkeit, die sich jedoch besser mit ihrer familiĂ€ren Situation vereinbaren lĂ€sst. Denn auch diese birgt Herausforderungen: Ihre zweijĂ€hrige Tochter hat vor einem Jahr Zwillingsgeschwister bekommen. Und auch hier helfen ihr die im Fechten perfektionierten FĂ€higkeiten: Strategie und Konzentration. Dass sie von der Mitarbeiterin einer Behörde besorgt gefragt wurde, ob sie sich denn wirklich gut ĂŒberlegt hĂ€tte, mit drei Kindern noch arbeiten zu gehen, kann sie dabei nicht aus der Fassung bringen.
Zur Person
Ioanna Giouroudi ist seit Oktober 2019 Koordinatorin der TU Doctoral School an der Technischen UniversitĂ€t Wien. Sie studierte Elektrotechnik in Chalkida, Griechenland, und promovierte in Wien. Auf ihre sechsmonatige TĂ€tigkeit 2006/2007 als Projektmanagerin bei Magna Steyr folgte ein Postdoc-Forschungsaufenthalt an der Stellenbosch University in SĂŒdafrika, wo ihre Arbeit in der Medizintechnik begann.
Ab 2009 war sie UniversitĂ€tsassistentin am Institut fĂŒr Sensor- und Aktuatorsysteme der TU Wien, habilitierte sich an der UniversitĂ€t fĂŒr Bodenkultur Wien und war bis Juli 2017 Senior Scientist am Institut fĂŒr Sensor- und Aktuatorsysteme der TU. Giouroudi beschĂ€ftigte sich mit der Entwicklung biomedizinischer, tragbarer Diagnosesysteme, die auĂerhalb eines Labors anwendbar sein sollen. 2017 gelang ihr mit Hilfe einer FWF-Förderung die Entwicklung eines tragbaren Sensors der Krankheitserreger im Wasser erkennt.