Alexander „Sascha“ Kolowrat-Krakowsky, Gründer der Sascha-Filmfabrik, an der Kamera bei Filmaufnahmen im Feld. © Filmarchiv Austria

Fälschungen, heute als „Fake“ in aller Munde, haben eine lange Geschichte. Dass Fakes im Film jedoch im Ersten Weltkrieg ihre Premiere feierten, ist laut dem Historiker und Autor Hannes Leidinger „ein Mythos“. Bilder vom Krieg seien schon davor nachgestellt worden, etwa in Filmen über den Boxeraufstand in China. In welchem Ausmaß das auch auf den Ersten Weltkrieg zutrifft, können Leidinger und sein dreiköpfiges Team nun erstmals umfassend empirisch belegen.

Was ist echt?

„Ein Großteil des Bildmaterials von Kampfhandlungen des 1. Weltkriegs ist gefakt“, stellt Leidinger im Gespräch mit scilog fest. Er leitete das Forschungsprojekt „Bewegte Bilder zu Habsburgs letztem Krieg“ (2013-2018), das der Wissenschaftsfonds FWF förderte. Mittels Bildanalyse entlarvten die Forschenden imitierte Szenen. Aufschlussreich ist etwa die Position der Filmkamera. Ein Beispiel: Wenn die Kamera frontal die stürmenden österreichischen Soldaten zeigt, um nach dem Schnitt die italienischen Truppen von hinten abzubilden, wie sie Handgranaten in Richtung der Österreicher werfen – ist das eindeutig nachgestellt. Handelt es sich um echte Kriegsszenen, erkennt dies der Historiker daran, dass die Bilder unspektakulär sind. Ist es ruhig und statisch, wird scharf geschossen. Die Filmproduzentinnen und -produzenten – ob privat oder militärisch – waren sehr kreativ, wenn es darum ging, Krieg zu zeigen. Kampfszenen wurden von Soldaten nachgestellt, oder man griff auf Archivbilder, etwa von Kriegsgerät, oder Truppenübungen zurück. Häufig wurde auch Bildmaterial der Kriegsgegner retuschiert.

Monarchiegeschichte auf Augenhöhe

Dadurch verschwammen Fiktion und Realität. Heute lässt sich das anhand der von Leidingers Team erarbeiteten Filmografie über die österreichische und österreichisch-ungarische Filmproduktion zwischen 1914 und 1918 ergründen. Ihnen gelang dies durch die enge Kooperation mit dem Filmarchiv Austria, dem Magyar Nemzeti Filmarchívum in Budapest sowie Filmarchiven aller Nachfolgestaaten und ehemaligen Nachbarländern der Habsburgermonarchie. Gemeinsam mit der University of New Orleans entstand zudem ein Sammelband, der im Frühjahr erscheinen wird und der sich der internationalen filmischen Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und die Habsburgermonarchie ab 1918 bis 2014 widmet.

Entdeckung filmischer Kostbarkeiten

Wie eng Fiktion und Realität verschränkt waren, illustriert etwa der ungarische Featurefilm „A föld rabjai“ (engl. „Prisoners of Land“) aus dem Jahr 1917: Das dargestellte Kriegsgeschehen sei laut Leidinger auch bei Dokus über die Eroberung der Bukowina zu sehen. Filme wie dieser sind filmhistorische Schätze. Wie viele und in welcher Qualität in den Archiven lagerten, überraschte. „Wir schätzten anfangs, dass von 1914 bis 1918 rund 200 Filme mit Kriegsbezug produziert wurden. Unsere Filmografie umfasst nun weit mehr Filme“, erzählt der Experte, „und wir wissen nun viel besser über die fiktionale und non-fiktionale Filmproduktion in den ehemaligen Kronländern Bescheid.“ Das sei ein unglaublich reicher Schatz, vor allem an ungarischen Filmen.

Filmisch starkes Ungarn

In der ungarischen Reichshälfte war die Produktion von Spiel- und Unterhaltungsfilmen enorm. Neben Budapest entwickelte sich ab 1917 in Kolozsvár (Klausenburg) so etwas wie ein ungarisches Hollywood. Die Forschenden brachten Spannendes ans Licht: Bei der Produktion von Kriegspropaganda waren die Ungarn nämlich zurückhaltend. Es gab auch keine eigene Wochenschau, bis im November 1918 Mihály Károlyi die Republik Ungarn ausrief. Was in den Wochenschauen konkret gezeigt wurde, hat das Team akribisch rekonstruiert. Denn bis dato existierte oft nur der Titel. In punkto Quantität und Qualität erreichte das Team ein noch nie dagewesenes Niveau und Leidinger resümiert, dass „der Erste Weltkrieg das Genre der Wochenschau keineswegs schuf. Er war eher eine Lernzone. Bei Unterhaltungsfilmen gab es zwischen 1916 und 1918 einen starken Zuwachs. Filme, die einen Bezug zum Krieg hatten, wurden hingegen weniger.“

Propaganda auf verlorenem Posten

Das Interesse der Zuschauer, den Krieg im Kino zu sehen, ging ab 1916 deutlich zurück. Ein Trend, der just zu dem Zeitpunkt einsetzte, als beim Militär verstärkt auf Film gesetzt wurde. 1914 war das k.u.k Kriegspressequartier (KPQ) gegründet worden. Die Filmpropaganda lag zunächst beim Kriegsarchiv, erst 1917 richtete das KPQ eine eigene Filmstelle ein. Eine zentrale Rolle in punkto Filmpropaganda spielte Alexander „Sascha“ Kolowrat-Krakowsky, Gründer der Sascha-Filmfabrik und ab 1915 „Technischer Leiter“ im Kriegsarchiv. Dessen Doppelfunktion als privater Filmproduzent und Teil der Militäradministration sowie Kontroversen zwischen dem Kriegsarchiv und dem KPQ prägten die Produktionsbedingungen. Dass erst mitten im Krieg stärker auf Filmpropaganda gesetzt wurde, hängt auch mit dem Tod Kaiser Franz Josefs zusammen. Um das Bild des Zerfalls nicht noch zu verstärken, wollte der alte und kränkliche Monarch, der in der Feindpropaganda als Personifikation der Schwäche seines Reiches galt, nicht im Film gezeigt werden. Erst sein Nachfolger Karl ging auf das neue Medium offener zu.

Erinnerung im Wandel

War das Thema Zerfall nach 1918 in Produktionen der Nachfolgestaaten präsent? „Ja. Darin fand eine mentale und filmische Zerstückelung der Monarchie statt. Slowenien erinnerte nur an die Isonzo-Front, Rumänien an Transsilvanien und Tschechien und Polen berichteten über ihre Legionäre. Österreich-Ungarn als Gesamtheit war schon verloren“, sagt Leidinger. Die filmische Erinnerungskultur ist von Land zu Land verschieden und veränderte sich international im Laufe der Zeit. Ein Befund sticht hervor: Bis in die 1970er war die Westfront stilprägend. Dadurch wurden Kriegsschauplätze, die für die Habsburger wichtig waren, ausgeblendet. „Der Verlust der Fronten führte zu einem Verlust der Erinnerung an Österreich-Ungarn. Nur im Gebirgskrieg und in Filmen wie „Berge in Flammen“ (1931) war Österreich noch existent“, resümiert der Historiker. Mit dem Jubiläumsjahr 2014 wurde es wichtiger, die Zusammenhänge – das Ganze – zu verstehen. Die Filmografie bildet dafür die empirische Basis. So ist künftig Bestehendes wissenschaftlich exakter überprüfbar, Neues besser zu kontextualisieren und der Fake hat schlechte Karten.


Zur Person Hannes Leidinger ist Historiker, hat national und international Lehraufträge an verschiedenen Universitäten und wurde für das Fach „Österreichische Geschichte“ mit Schwerpunkt 19. und 20. Jahrhundert an der Universität Wien habilitiert. Für sein Buch „Oberst Redl“ wurde der Autor 2013 mit dem Preis „Wissenschaftsbuch des Jahres“ ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihm „Der Untergang der Habsburgermonarchie“.


Publikationen

Hannes Leidinger: Der Untergang der Habsburgermonarchie, Haymon Verlag 2017
Hannes Leidinger. Der Erste Weltkrieg. Österreichische Medien und Medienpolitik 1914-1918. Ein internationaler Vergleich unter besonderer Berücksichtigung visueller Kommunikationsformen. In: Karmasin, Matthias/Oggolder, Christian (Hg.): Österreichische Mediengeschichte. Bd. 1. Wiesbaden 2016
Hannes Leidinger: Habsburgs schmutziger Krieg. Ermittlungen zur österreichisch-ungarischen Kriegsführung 1914-1918. Residenz Verlag 2014 (gemeinsam mit Verena Moritz, Karin Moser und Wolfram Dornik)

Terminhinweis

AM PULS: Habsburgs letzter Krieg - Bilder zwischen Propaganda und Aufklärung mit Hannes Leidinger und Fotohistoriker Anton Holzer
27.02.2012, 18 Uhr, Theater Akzent, Wien