Spionage in Film und Literatur
Britische Geheimagenten von James Bond bis George Smiley haben den Sprung von der Literatur auf die Leinwand der Populärkultur mit Bravour gemeistert. Hinter der Darstellung des Geheimagenten als Playboy, amateurhaftem Abenteurer oder kalkulierendem Mastermind und dessen Streben nach der Gewinnung geheimer Informationen steckt jedoch mehr: "Das populäre Genre hat sich als geeignetes Mittel erwiesen, um Modellbeispiele nationalen Heldentums oder Kommentare zu Themen wie Korruption und Verrat einer großen Leserschaft näherzubringen", erläutert Alan Burton, der an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt sowie an der University of Leicester forscht. Ein Ausgangspunkt der Untersuchungen ist dabei, dass Großbritannien mit der weltweit größten Produktion an Spionageliteratur und -filmen die öffentliche Auffassung von Geheimdiensten entscheidend geprägt hat. Die Projektergebnisse fasst Burton nun in zwei Referenzwerken zu Spionageliteratur und -film zusammen.
Von Amateur bis A-Liga
Ein wichtiger Teilschritt des FWF-Projekts ist die Publikation des Lexikons „Historical Dictionary of British Spy Fiction“. In 300 Einträgen gibt Burton darin auf über 500 Seiten einen Überblick über mehr als ein Jahrhundert Spionageliteratur, Autorinnen und Autoren sowie Spionfiguren im kulturgeschichtlichen Kontext: „Vor dem ersten Weltkrieg gab es in England noch kein Intelligence System, die Romane stellten den Spion als Gentleman der Upper-Class dar, der als amateurhafter Abenteurer nicht nur dem damaligen Hauptgegner Deutschland die Stirn bietet, sondern nebenbei auch das Empire rettet“, erzählt Burton im Gespräch mit scilog. In der Zeit des Kalten Krieges erreichte das Genre dann einen seiner Höhepunkte. Die politischen Entwicklungen bildeten zum Beispiel den Hintergrund zu John Le Carrés George-Smiley-Romanen als auch Ian Flemings James-Bond-Serie. „Le Carré, der selbst für den britischen Geheimdienst tätig war, setzt sich dabei realistischer und zynischer mit gesellschaftspolitischen Fragestellungen zu Loyalität und Patriotismus auseinander“, erklärt Burton. Gegenwärtige Romane greifen ähnliche Invasionsängste wie im späten Viktorianismus auf, konkret werden diese allerdings an Themen wie der Ausspionierung von und (Miss-)wirtschaft mit sensiblen Daten oder dem Terrorismus behandelt. Wie die in Kürze erscheinende Publikation zeigt, hat sich die jahrelange, umfassende Recherche gelohnt. Denn die Serie der Historical Dictionaries stellt einen Fixpunkt von Bibliotheksbeständen weltweit dar, und das Werk wird so eine Millionenschaft von Leserinnen und Lesern erreichen.
Spionage auf der Leinwand und im Wohnzimmer
Dieser Veröffentlichung wird ein weiterer Band der Edinburgh University Press folgen. In diesem wird erstmals das Spionagedrama im Film und Fernsehen bis in die Gegenwart beleuchtet. Konkret gilt das Augenmerk dem Umgang mit neuen Bedrohungen seit dem Ende des Kalten Kriegs und der Spionfigur im Produktions- und Rezeptionskontext. So lassen sich zum Beispiel zu Beginn der Thatcher-Ära unterschiedliche filmische Antworten beobachten: „Der Rechtsruck in der britischen Politik spiegelte sich auch in einer Reihe von TV-Spionagedramen wider, die die Tradition des Gentleman-Helden erneut aufgreifen und diesen heroisch gegen das nostalgisch simplifizierte Böse antreten lassen. Dem gegenüber stehen Produktionen, die Spionageskandale und politische Verstrickungen thematisieren und Probleme des Umgangs mit geheimen Daten und Sicherheitsfragen behandeln“, erläutert Burton. Insgesamt werden 73 Filme und 70 Fernsehdramen aber auch wissenschaftliche Arbeiten sowie Rezensionen analysiert.
„Intelligence“ nicht nur für Intelligence Studies
Das FWF-Projekt zeigt durch seinen kulturgeschichtlichen Ansatz, welche vielschichtigen gesellschaftspolitischen Fragen in der Spionageliteratur und im Spionagefilm diskutiert werden. Damit entstehen nicht nur wertvolle Beiträge für die aufstrebende Disziplin der Intelligence Studies, sondern auch für die interessierte Öffentlichkeit.
Zur Person Alan Burton ist ehemaliger FWF Senior Research Fellow an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt und Lehrbeauftragter für Film und Cultural Studies in Österreich und England. Sein Forschungsschwerpunkt ist die britische Filmgeschichte. Er ist Gründungsmitglied der Redaktion des Journal of British Cinema and Television (Edinburgh University Press) und Redaktionsmitglied des Dictionary of National Biography (Oxford University Press). Eine seiner letzten Veröffentlichungen, das Referenzwerk "The Historical Dictionary of British Cinema" (2013) wurde in die Liste der Best Reference Books für 2013 des einflussreichen US-Amerikanischen Library Journal aufgenommen.
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