„So very nice“: Jugendliche werden bilingual
Sprache ist lebendig und ständig im Wandel begriffen, denn neue Entwicklungen erfordern auch neue Bezeichnungen. In der deutschen Sprache sind das häufig Anglizismen. Besonders deutlich wurde das in der Coronapandemie, als Lockdown, Social Distancing und Homeoffice wie von selbst Teil der Alltagssprache wurden. Gleichzeitig führte die soziale Isolation dazu, dass digitale Medien boomten. Es wurde gestreamt, gechattet, gezoomt, gelernt, gesungen – große Teile des Alltags spielten sich online ab. Viele dieser Inhalte wie Filme, Serien, Computerspiele, Songs oder soziale Medien sind in Englisch.
Wie sich das auf den Sprachgebrauch der Generation Z auswirkt, untersucht aktuell die Soziolinguistin Julia Davydova an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg, gefördert durch den Wissenschaftsfonds FWF. Dazu hat die Projektleiterin 630 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren umfassend zu ihrem Medienverhalten befragt. Die Forscherin interessiert, wie und in welchem Ausmaß die Schüler:innen Englisch verwenden, um Serien, TikTok oder Plattformen wie Facebook und Twitter zu nutzen. Darüber hinaus will sie herausfinden, welche Inhalte sie bevorzugen und wie ihr Englischgebrauch auch andere Lebensbereiche wie Schule, Freizeit oder Interaktionen mit Gleichaltrigen beeinflusst. Neuere Studien könnten uns Hinweise liefern, wie massiv die Ausbreitung des Englischen in unserem Alltag durch das Internet voranschreitet, doch bisher gebe es noch wenige Untersuchungen, die das auch quantifizieren, sagt die Projektleiterin.
Die Soziolinguistin Julia Davydova erforscht, wie sich Sprachwandel und Sprachgebrauch ausgehend vom Englischen als globale Sprache in deutschsprachigen Ländern vollziehen.
Hoher Englischkonsum in der Freizeit
Nun liegen erste Auswertungen aus dem laufenden Projekt vor, die die Hypothese der Sprachwissenschaftlerin untermauern: Jugendliche sind keine klassischen Fremdsprachenlernenden mehr, wenn es um Englisch geht. Sie wachsen mit der Sprache ähnlich wie mit den digitalen Medien auf und benützen sie im Alltag als Teil des dazugehörigen linguistischen Repertoires. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwiefern die massive Verbreitung und zunehmende Zugänglichkeit der digitalen Medien die Kernbereiche der Sprache beeinflussen kann. Denn eines steht fest: Die Medien haben nicht nur die Gewohnheiten der Konsument:innen verändert. Sie spielen auch eine zunehmend große Rolle bei der Gestaltung des sozialen Lebens. Diese Beobachtungen sind von besonderer soziolinguistischer Bedeutung, da man bisher angenommen hat, dass der Sprachkontakt und der einhergehende Sprachwandel vor allem über persönliche Kontakte ablaufen.
Von den befragten 14- bis 18-Jährigen gaben knapp 57 Prozent an, Englisch täglich im Internet zu nutzen. Davon verbringen die Jugendlichen viel Zeit in sozialen Netzwerken wie TikTok (65,9 %), YouTube (51,3 %) oder Facebook und Twitter (47,5 %). Fragt man, wofür das Internet genutzt wird, fällt das Ergebnis noch eindeutiger aus. Knapp 71 Prozent geben an, es für Unterhaltungszwecke zu nutzen, während es für Bildungsfragen lediglich 39 Prozent zu Rate ziehen.
Englische Serien vermitteln Alltagssprache
Netflix und Amazon werden am häufigsten genutzt. Knapp 54 Prozent aller Befragten geben an, mindestens zwei- bis dreimal pro Woche englischsprachige Filme und Serien zu sehen. Dabei tauchen verblüffenderweise auch alte Bekannte auf: „Friends“, „Peaky Blinders“ und „Grey’s Anatomy“ führen die Liste der beliebtesten Serien an. Die Soziolinguistin geht hier auch der Frage nach, wie stark sich Medien- und Alltagssprache überlappen. Das lässt sich zum Beispiel über emotionale Sprache identifizieren. Hinweise dafür liefern Modaladverbien, im Englischen als intensifiers bekannt, in den Serien, um die Qualität der Aussagen zu steigern. Begriffe wie really, very, pretty, totally oder Doppelungen wie so very nice sind beliebte emotionale Verstärker in den Erzählungen – Alltagssprache, die berührt und die Protagonist:innen authentisch wirken lässt. Zusätzlich zum schulischen Unterricht, der nach wie vor eine wichtige Quelle des Fremdsprachenerwerbs darstellt, liefert das Internet muttersprachliches Know-how in die Wohnzimmer der Jugendlichen.
Die aktuelle Studie zeigt besonders deutlich, wie weit das Englische bereits in die Lebenswelt der Jugendlichen vorgedrungen ist. Mehr als die Hälfte der Befragten gibt an, auch in privaten Gesprächen Englisch unter anderen Sprachen zu verwenden. Davon verwendet knapp ein Viertel Englisch täglich, um sich mit Freunden in der Schule zu unterhalten. In etwa gleich viele (19,5 Prozent) tun das auch im Kontakt mit engen Freunden und Verwandten.
Englisch als Zweitsprache der Generation Z
„Diese Ergebnisse sind insofern aufschlussreich, als sie einen Beitrag zu den bestehenden empirischen Arbeiten leisten, die darauf hindeuten, dass zumindest in einigen westeuropäischen Ländern das Englische systematisch in die traditionellen Bereiche der Muttersprache wie zum Beispiel Privatgespräche eingedrungen ist“, betont Davydova. Die Wissenschaftlerin bezieht sich unter anderem auf eine identische Umfrage, die sie im Jahr 2020 an der Universität Mannheim mit 172 Student:innen durchführte. Nur 10 Prozent der Mannheimer Befragten gaben an, Englisch im informellen Gebrauch täglich zu verwenden, im Vergleich zu 22,5 Prozent in der aktuellen Studie.
Interessant am Vergleich ist, dass die Mannheimer Kohorte, obwohl sie der gleichen Generation wie die Vorarlberger Jugendlichen angehört, im Durchschnitt zehn Jahre älter ist. „Das bedeutet, dass wir eine sichtbare Zunahme der Verwendung des Englischen in der täglichen Sprachpraxis innerhalb kurzer Zeit und unter einem Teil der Jüngeren der gleichen Generation feststellen können“, sagt Davydova.
Soziolinguistischer Wandel
Wenn das Englische zunehmend in die intimen Bereiche des sozialen Lebens eindringt, kommt ihm nicht mehr die Rolle einer Fremdsprache, sondern einer Zweitsprache zu, lautet das Fazit der Forschenden. Es wird zur psycholinguistischen Realität einer nicht zu unterschätzenden Menge der Digital Natives. „Ständiges Online-Streaming ermöglicht es jungen Menschen, die dazu bereit sind, das Englische so weit zu verinnerlichen, dass sie in der Lage sind, es zusätzlich zu den germanischen Varietäten relativ frei und als Reaktion auf ihre unmittelbaren soziolinguistischen Bedürfnisse zu handhaben, wie zum Beispiel im Gespräch mit ihren Freunden“, stellt Davydova fest. Oder anders gesagt: Englisch wird zusehends zu einem selbstverständlichen Kommunikationsmittel für immer mehr Jugendliche und ist Teil ihres täglichen Medienkonsums – totally, really!
Zur Person
Julia Davydova ist Soziolinguistin an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg. Sie hat sich an der Universität Mannheim in Englischer Linguistik habilitiert und ist ihre Professur in diesem Fach 2018 in Vorarlberg angetreten. Das Projekt „Sprachliche Variation in englischsprachigen Massenmedien“ läuft noch bis 2025 und wird vom Wissenschaftsfonds FWF mit 118.000 Euro gefördert. In Kürze erscheint die erste Publikation aus dem Grundlagenprojekt.