Smarte Dinge für Menschen mit Autismus
Autismus ist eine neurologische Entwicklungsstörung, die teils zu faszinierenden Hochbegabungen führt und deshalb in der Populärkultur immer wieder aufgegriffen wird. Aus medizinischer Sicht handelt es sich um ein Phänomen mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen. „Autismus ist so vielfältig wie die Menschen selbst“, erklärt Christopher Frauenberger von der Technischen Universität (TU) Wien. „Er wird üblicherweise durch drei Dinge gekennzeichnet: Zum ersten zeigen sich rigide Verhaltens- und Gedankenmuster mit sehr vielen Wiederholungen. Zweitens haben Autistische Menschen Schwierigkeiten in der Sozialkompetenz. Und schließlich gibt es Besonderheiten in der Kommunikation. Manche dieser Menschen entwickeln nur wenig Sprache. Andere haben eine hochfunktionale Sprache und spezielle Begabungen.“ Wie sich Autismus im Leben eines Menschen auspräge, sei sehr unterschiedlich, erklärt Frauenberger.
Herkömmliche Assistenzsysteme konzentrieren sich auf Defizite
Frauenberger und sein Team interessieren sich besonders für autistische Kinder. Für sie gibt es bereits eine Reihe von Assistenz- und Lernsystemen, die vor allem bei der Sozialkompetenz helfen, aber der Lebenswelt der Kinder laut Frauenberger nicht gerecht würden. „Wir haben in unserem Projekt versucht, eine fundamentale Kritik an bisherigen Assistenzsystemen zu formulieren.“ Oft sei es so, dass die Menschen auf ihre Defizite reduziert würden. „Wir wollten nicht die Defizite in den Mittelpunkt stellen, sondern die Kinder als Ganzes wahrnehmen und auf ihre Lebenswelt gesamtheitlich eingehen“, sagt der Computerwissenschafter. Aus diesem Grund wurde das Projekt „OutsideTheBox“ ins Leben gerufen, dessen Leiter Frauenberger ist, und das vom Wissenschaftsfonds FWF finanziert wurde. Frauenbergers Gruppe arbeitete in dem Grundlagenprojekt mit neun autistischen Kindern zusammen, um herauszufinden, welche Technologien im Leben der Kinder Sinn haben könnten. „Wir wollten uns dafür von technischen Vorgaben weitgehend freimachen.“ Überlegungen, Tablet-Computer als Basis zu verwenden, wurden fallengelassen. „Das wäre eine Einschränkung gewesen“, ist Frauenberger überzeugt. „Die flexibelste Spielwiese, die es derzeit in der digitalen Technologie gibt, ist das Ubiquitous Computing“, so Frauenberger. So wird Computertechnologie bezeichnet, die verschiedene Formen annehmen und unseren Alltag durchdringen kann – also smarte Objekte oder Umgebungen, mit denen wir interagieren. Diese wollte man als Ausgangspunkt nehmen. Zwischen zwölf und 15 Mal trafen sich Frauenberger und seine beiden Kolleginnen während eines Schuljahres mit den Kindern. Dabei entstanden völlig unterschiedliche smarte Objekte.
Erzählhilfe für Filmexperten
Als Beispiel nennt Frauenberger einen Achtjährigen, der von Filmen begeistert ist. „Er weiß alles über bestimmte Filme, ist in dieser Welt zuhause. Er ist dazu ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler, der aber manchmal ins Stocken kommt. Er hat sich etwas überlegt, das ihm in diesen Momenten weiterhelfen kann.“ Daraufhin habe man ein Objekt gebaut, das mit einem kleinen Projektor Bilder aus Filmen oder Trailer in seine Handfläche projiziert: „Wenn eine Geschichte ins Stocken kommt, kann er auf einen Knopf drücken und Bilder mit Figuren, Dingen oder Umgebungen aus den Filmen gezeigt bekommen. Das ist für ihn ein Anknüpfungspunkt, um die Geschichte weiterzuerzählen.“ Dieses „Kaleidoskop“, wie Christopher Frauenberger es nennt, konnte der Bub übrigens behalten. Ein anderes Kind, das begeistert zeichnet und sich damit emotional reguliert, bekam eine Kombination aus Zeichen-Tablet und Projektor, mit dem es seine Zeichnungen sofort mit anderen teilen kann. Alle mit den Kindern entwickelten Objekte sind in einem eben erschienenen Designportfolio beschrieben: http://outsidethebox.at/en/outcomes/design-portfolio In dem Projekt ging es darum, die Kinder mit ihrer Außenwelt zu verbinden, sagt der Forscher, und weiter: „Die Objekte sollten irgendwie technischer Natur und smart sein. Sie sollten im Leben der Kinder Bedeutung haben und dabei helfen, die damit gemachten positiven Erfahrungen mit anderen zu teilen. Das waren die einzigen Vorgaben.“
Individuelle Entwicklungen
„Was wir in dem Projekt gemacht haben, ist natürlich sehr individuell“, sagt Frauenberger. „Wir haben uns auf die Kinder eingelassen und Technologie speziell für ihre Bedürfnisse entwickelt.“ Im Nachfolgeprojekt, das ebenfalls vom FWF finanziert wird, versuche man nun, mit den neuen Ansätzen breitere Anwendungsbereiche zu erschließen. Die Intention war, Kritik an der bisherigen Sichtweise auf Assistenzsysteme für behinderte Menschen zu üben und zu zeigen, wie es anders gehen könnte. „Eine der größten Einsichten des Projekts ist, dass Technologien, die gemeinsam mit behinderten Menschen entwickelt werden, ganz anders aussehen, als man sich das als nicht behinderter Computerwissenschafter vorstellen kann“, so Frauenberger.
Zur Person Christopher Frauenberger ist Computerwissenschaftler an der Universität Salzburg für Computer-Mensch-Interaktionen. Nach dem Telematikstudium in Graz dissertierte er in London und forschte an der Universität Sussex und der Technischen Universität Wien. Er interessiert sich für neue Entwicklungsmethoden von Technologien für Menschen mit Behinderungen.
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