„Schöne Grüße!“ aus der Untersteiermark
Historische Postkarten sind nicht nur Sammlerobjekt: Sie werfen mitunter auch Fragen auf. Warum wurde etwa auf einer Postkarte aus dem Jahr 1914 per Hand die deutsche Bezeichnung „Cilli“ für die slowenische Stadt Celje durchgestrichen? Und was bedeutet der Pfeil in Richtung der abgebildeten Industrieanlage in Verbindung mit den slowenischen Worten „Tukaj nekje pa poteka moje življenje!“ („Hier irgendwo verläuft mein Leben!“)? Postkarten wie diese sind für den passionierten Postkartensammler und Slawisten Heinrich Pfandl vom Institut für Slawistik der Universität Graz aus wissenschaftlicher Perspektive besonders wertvoll. Denn anhand von Postkarten der historischen Region „Untersteiermark“ (Spodnja Štajerska) aus der Zeit zwischen 1885 und 1920 will er zusammen mit seinem Team die Zusammenhänge von Nation, Sprache und Identität aufzeigen.
Von der Privat- zur Online-Sammlung
Ausgangspunkt für das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Projekt war die private Postkartensammlung des Forschers: Allein aus der Zeit als die beiden Steiermarken – jene in Österreich und Slowenien – noch zusammengehörten, besitzt Pfandl circa 500 Stück. Im Rahmen des Forschungsprojekts, das 2019 endet, hat das Team insgesamt rund 10.000 Postkarten aus Sammlungen in Österreich und Slowenien gesichtet, analysiert und Fallbeispiele ausgearbeitet. Interdisziplinarität spielt dabei eine zentrale Rolle. So bringt etwa die Fotohistorikerin Eva Tropper ihre Expertise für die virtuelle Präsentation von Bildquellen ein. Die Historikerin Karin Almasy ist wiederum Expertin für diese Region. Um die Postkarten, ebenso wie die daraus gewonnenen Erkenntnisse, online zugänglich zu machen, bilden die aussagekräftigsten Beispiele, das sind rund 2.000 Stück, die Basis für eine im Aufbau befindliche virtuelle Postkartensammlung für die Untersteiermark (POLOS). Diese Datenbank entsteht in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Informationsmodellierung der Universität Graz (ZIM/ACDH) und soll 2019 in das Portal „Visual Archive of Southeastern Europe“ integriert werden. Die Ergebnisse des Projekts können jedoch bereits jetzt noch bis 2. März 2019 in der Ausstellung „Štajer-mark“ im Pavelhaus bei Bad Radkersburg besichtigt werden.
Postkarten bilden Zweisprachigkeit ab
Wer verstehen will, muss vorweg jedoch eines wissen: Zu jener Zeit waren Postkarten ein noch junges Kommunikationsmittel. Sehr häufig und anders als heute wurden sie für private wie geschäftliche Alltagskommunikation genutzt, da ihre Zustellung noch am selben Tag erfolgte. Die ersten amtlichen Postkarten hießen denn auch „Correspondenzkarten“, auf Slowenisch „dopisnice“. In der Untersteiermark waren sie ab 1871 auch mit zweisprachigen Vordrucken erhältlich. Außerdem kam es günstiger, als Briefe zu schreiben. All das machte Postkarten als schriftliches Kommunikationsmittel für eine breite Bevölkerungsschicht attraktiv: War der Schriftverkehr in der Region bis dahin eher eine Domäne der deutschsprachigen, städtischen Bevölkerung gewesen, so erschloss die Postkarte diesen nun auch für die vorwiegend am Land lebende, slowenischsprachige Bevölkerung. Zahlreiche Beispiele belegen etwa, dass die Personen im Individualtext oft beide Sprachen verwendeten. „Eine Postkarte beginnt mit ‚Welche Überraschung!‘, gefolgt von mehreren Zeilen auf Slowenisch. Wir vermuten, dass der Verfasser nicht wusste, was Überraschung auf Slowenisch heißt“, erklärt Projektleiter Heinrich Pfandl. Dabei handle es sich nämlich um einen so genannten „Kulturbegriff“, wofür es ebenso wie für militärische Ausdrücke oder Begriffe der Modernisierung, wie etwa Zug, auf Slowenisch damals (noch) keine weit verbreiteten, einheitlichen Bezeichnungen gab und die Verfasser deshalb in Einzelfällen auf das eindeutigere und prestigebehaftete Deutsche auswichen. Dies sei mit dem heutigen Gebrauch von Anglizismen vergleichbar.
Vom Neben- zum Gegeneinander
Wegen der Dominanz des Deutschen wurde Slowenisch lange Zeit hauptsächlich gesprochen, aber kaum geschrieben und damit auch weniger für den Schriftverkehr genutzt. Zwar war die Sprache im Alltag der slowenischsprachigen Bevölkerung präsent, in der Öffentlichkeit war sie allerdings kaum sichtbar. Mit den zweisprachigen Postkarten besserte sich dies ein wenig. Dahinter standen aber vorrangig ökonomische Interessen, die mit der Anbindung an die Südbahn und der wachsenden Bedeutung des Tourismus zusammenhingen. „Wenn deutschsprachige Österreicher und Slowenen ihre jeweilige Sprache auf der Postkarte repräsentiert sahen, steigerte das die Verkaufszahlen“, erklärt Pfandl im Gespräch mit scilog. Trotzdem herrschte ein Ungleichgewicht, weil zweisprachige Vordrucke in der Untersteiermark nicht überall und von allen Orten erhältlich waren. Somit hatten die Slowenen weniger Auswahl und Identifikationsmöglichkeit. Besonders auffällig sei das in Zidani Most, ehemals Steinbrück gewesen, von wo die Forschenden nur sehr wenige auf Slowenisch vorgedruckte Postkarten fanden. Der Groll über diese Unterrepräsentanz, gekoppelt an ein wachsendes nationales Selbstbewusstsein, lässt sich ab dem beginnenden 20. Jahrhundert auf Postkarten nachzeichnen. „Wurde früher der fehlende Ausdruck in der eigenen Sprache ergänzt, störte diese Lücke nun manchmal die Verfasser und sie strichen die vorgedruckte Bezeichnung rigoros durch“, sagt Pfandl. Auch in beiderseitigen, abwertenden Kommentaren drückt sich die zunehmende Polarisierung zwischen deutschsprachigen Österreicherinnen und Österreichern sowie Sloweninnen und Slowenen aus. Unterstrichen wurde dies zudem durch Postkartenmotive wie nationale Banner oder Institutionen sowie Briefmarken mit politischen Parolen, welche das jeweils „Eigene“ über das „Andere“ stellten.
Nah am Leben
Wie das Forschungsprojekt veranschaulicht, waren Postkarten damals jedenfalls weit mehr als ein neutrales Kommunikationsmittel. Sie zeigen auf, wie Sprache, Nation und Identität im Alltag der Menschen miteinander verflochten waren und welchen Einfluss die Möglichkeit, per Postkarte zu kommunizieren, auf die Entwicklung des noch jungen Slowenisch hatte. Erst dieses Wissen verdeutlicht, was etwa hinter der eingangs erwähnten Streichung steckt und ist Grundlage, um künftig weitere Fragen beantworten zu können.
Zur Person Heinrich Pfandl stammt aus Kärnten und beherrscht beide Kärntner Landessprachen. Er ist Slawist am Institut für Slawistik der Karl-Franzens-Universität Graz und Projektleiter des FWF-Projekts „Nation, Sprache und Identitäten auf Bildpostkarten“, das noch bis Herbst 2019 läuft.
Projektwebsite: https://postcarding.uni-graz.at/
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