Römische Steine sprechen ĂŒber ihren Ursprung

Die SteindenkmĂ€ler aus der Römerzeit in Ăsterreich sprechen zu den ArchĂ€ologinnen und ArchĂ€ologen seit sie ausgegraben wurden. Ihre Antworten hĂ€ngen jedoch davon ab, was sie gefragt werden. Was erzĂ€hlt nun beispielsweise die steinerne Grabstele, die zur Erinnerung an den Soldaten Rufus Lucilius um 44 nach Christus an der Carnuntiner GrĂ€berstraĂe aufgestellt wurde? Ăberraschendes, weil man weiĂ, dass zur Zeit der Ankunft römischer Truppen Anfang des ersten Jahrhunderts nach Christus im Wiener Becken noch nicht einmal WohnhĂ€user aus Stein gebaut wurden. Im Forschungsprojekt âCarVinâ stellt ein interdisziplinĂ€res Team am Institut fĂŒr Kulturgeschichte der Antike der Ăsterreichischen Akademie der Wissenschaften den steinernen Funden und Befunden der Römerzeit Fragen nach der Herkunft der Steine.
Ausgefeilte Lagerlogistik
âNicht jeder Stein ist fĂŒr jede Anwendung geeignetâ, betont Projektleiterin Gabrielle Kremer. Eine fein modellierte Statue erfordert anderes Ausgangsgestein als ein grob behauener Mauerquader. Zudem ist der Transport von Stein aufwĂ€ndig, besonders wenn er nicht auf dem Flussweg, sondern mit dem Ochsenkarren erfolgen musste. Als die Region von den Römern erobert wurde, haben diese neben einem geeigneten Lagerplatz an der Donaugrenze vorab auch geeignete Rohstoffvorkommen ausgekundschaftet, um ihre Logistik und bewĂ€hrte Kulturtechniken ausrollen zu können. So verweisen die SteindenkmĂ€ler aus Carnuntum und Vindobona zur Zeit der römischen Besatzung neben ihrer kulturhistorischen Bedeutung auch auf wirtschaftliche, gesellschaftliche und technologische Transformationen in der Region. Orte und Menschen, die fĂŒr Versorgung und Bearbeitung des Steinmaterials sorgen konnten, wurden wohl aufgewertet.
Steine unter der Lupe
Das Forscherteam von der Akademie der Wissenschaften, der Technischen UniversitÀt Wien, der Geologischen Bundesanstalt, des Wien Museums, der StadtarchÀologie Wien und der UniversitÀt Wien untersuchte verschieden genutzte Steine, insgesamt 942, von

Quadern der Lagermauer ĂŒber KultdenkmĂ€ler, Grabstelen und Meilensteine bis hin zu MĂŒhlsteinen oder SteingefĂ€Ăen. ArchĂ€ologinnen und ArchĂ€ologen kooperierten in dem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt mit Geologinnen und Geologen, um erstmals eine genaue Terminologie fĂŒr das Steinmaterial und einen BestimmungsschlĂŒssel fĂŒr Funde und Befunde aus Carnuntum und Vindobona (heute Wien) zu entwickeln. âNatĂŒrlich wurde auch bisher bei archĂ€ologischen Grabungen das Material erfasst, aber nur grob in Kalkstein, Sandstein, Marmor etc. unterschieden. Mit UnterstĂŒtzung der Fachleute fĂŒr Gestein können wir nun sieben lokale und regionale Steinbruchregionen unterscheiden und fĂŒr viele Funde die Herkunft des Materials sehr gut eingrenzenâ, erklĂ€rt Gabrielle Kremer. Der fertige BestimmungsschlĂŒssel kann mit einer 10-fach vergröĂernden Lupe angewandt und auch FĂ€lschungen kĂŒnftig leichter aufgedeckt werden. FĂŒr die Entwicklung der Klassifikation musste jedoch die eine oder andere Probe aus den antiken Funden entnommen und untersucht werden.
Der Kulturraum und sein Baumaterial
FĂŒr den hochwertigen Kalk aus dem Leithagebirge â verwendet unter anderem fĂŒr Statuen und KultdenkmĂ€ler â können die AbbaustĂ€tten weniger genau eingegrenzt werden als fĂŒr das funktionale Baumaterial vom Westrand des

Wiener Beckens. âDas hĂ€ngt mit der Entstehung des Leitha-Kalks zusammen. Die Ablagerungen in einem Meer Ă€ndern sich sehr kleinrĂ€umig. Zudem sind die SteinbrĂŒche auch nach dem Abzug der Römer weiterverwendet worden. Wir haben eigentlich nur eine Stelle identifiziert, an der wir glauben antike Abbauspuren festmachen zu könnenâ, so Kremer. Dennoch ergeben sich aus der Zuordnung zu den sieben Steinbruchregionen interessante Verteilungsmuster, die RĂŒckschlĂŒsse auf die Organisation von BauvorgĂ€ngen, SteinmetzwerkstĂ€tten, Handelsbeziehungen oder Verkehrslogistik zulassen. Vernetzt wurden im Projekt nicht nur Fachwissen und Funde, sondern auch Laserscan und Luftbild-Daten, um Knotenpunkte der Logistik wie Siedlungen, StraĂen und SteinbrĂŒche auszumachen. Die Analyse der kĂŒrzestmöglichen und kostengĂŒnstigsten Landwege zwischen Steinbruch, Werkstatt und Aufstellungsort wird bald fertiggestellt sein. Wie weit ein Kulturraum reicht, lĂ€sst sich nun also auch anhand der Materialquellen festmachen.
Stein auf Stein â das Lager muss bald fertig sein
Ein festes Lager der XV. Legion gab es in Carnuntum ab ca. 40 nach Christus. Eine erste Lagermauer aus Stein entstand hier bald nach 100 nach Christus, ebenso wie im Legionslager Vindobona. Konkrete Aussagen zur Datierung und Herkunft des Rohmaterials liefern in Carnuntum vor allem die Grabsteine der LegionĂ€re. Die Grabstele des Oberitalikers Rufus Lucilius, der in voller Montur dargestellt ist, wurde in Kalkstein aus den nahe gelegenen Hainburger Bergen gehauen. Doch bereits zu Beginn der römischen PrĂ€senz waren auch die SteinbrĂŒche im sĂŒdwestlich von Carnuntum gelegenen Leithagebirge in Betrieb. Obwohl es sicher Informationsströme zwischen den beiden an der Donau gelegenen Lagern gab, haben sich die in Wien stationierten Truppen eigene lokale SteinbrĂŒche erschlossen (u.a. in NuĂdorf, Heiligenstadt, Perchtoldsdorf). Der aus gröĂerer Distanz hergeholte Leitha-Kalk wurde hier hauptsĂ€chlich fĂŒr DenkmĂ€ler verwendet. Gut verorten lĂ€sst sich auch eine AbbaustĂ€tte nahe der Stadt Scarbantia, dem heutigen Sopron in Ungarn, deren Material weiter nördlich nicht verwendet wurde. Was sich ebenfalls zeigt: So vielfĂ€ltig die ethnische Herkunft der in den Legionen versammelten Soldaten ĂŒber die Jahrhunderte hinweg auch war: die SteinmetzwerkstĂ€tten von Carnuntum und Vindobona entwickelten bald ihren eigenen unverwechselbaren Stil. Die neuen Ergebnisse werden im Corpus Signorum Imperii Romani zu den SteindenkmĂ€lern der römischen Provinz Pannonien aufgenommen und weiter ausgewertet.
Zur Person Gabrielle Kremer ist ArchĂ€ologin am Institut fĂŒr Kulturgeschichte der Antike der Ăsterreichischen Akademie der Wissenschaften. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Analyse und vergleichende Auswertung von SteindenkmĂ€lern der römischen Provinzen als historische Quellen. Sie studierte ArchĂ€ologie, Alte Geschichte und Kommunikationswissenschaften an der Ludwig Maximilians UniversitĂ€t MĂŒnchen und der UniversitĂ€t Wien. Ihre Doktorarbeit verfasste Kremer ĂŒber Grabbauten in Noricum und arbeitet seit Jahren mit dem ArchĂ€ologischen Museum in Carnuntum zusammen. Seit 2017 ist sie Leiterin der Arbeitsgruppe âReligion und Gesellschaftâ.
Mehr Informationen