Forscher/innen begleiten Zugvögel in ihr Winterquartier.
Forscher/innen begleiten Zugvögel in ihr Winterquartier. Die dabei gewonnen Daten liefern wichtige Erkenntnisse darüber, wie die Tiere beim Fliegen in V-Formation Energie sparen. © Waldrappteam

Wer kennt das faszinierende Bild nicht: Zugvögel, die exakt aneinandergereiht in V-Formationen in Richtung Süden fliegen. Dieser Formationsflug ist nicht nur optisch beeindruckend, sondern zudem ein besonderes Beispiel für Kooperationsverhalten im Tierreich. Bisher war eine Annäherung an das Phänomen aber nur über mathematische Modelle und Simulationen möglich. Denn mit wildlebenden Zugvögeln konnten die nötigen empirischen Daten nicht gesammelt werden. Was die Energieeffizienz dieser so genannten „Migration“ betrifft, blieben daher für die Wissenschaft viele Fragen offen, etwa jene, wie das konkret funktioniert oder wieviel Energie die Vögel dabei sparen. Speziell die Funktion des Leitvogels, der voraus fliegt und daher – so die Annahme – am wenigsten vom Formationsflug profitiert, gab Rätsel auf. „In einer Vorstudie haben wir herausgefunden, dass die Tiere einander abwechseln, gingen aber von einem eher statischen System mit einem Leitvogel aus. Im aktuellen Forschungsprojekt beobachteten wir nun viel mehr Dynamik als erwartet. Jedes Tier befand sich sowohl in der Leit- als auch Folgefunktion, was bedeutet, dass alle profitieren“, erklärt der Biologe Johannes Fritz. Als Gründer des „Waldrappteams“ und Projektleiter des großen europäischen Artenschutzprojekts Reason for Hope, das auch durch das EU-Programm LIFE gefördert wird, zählt er zu den ausgewiesenen Experten für den akut vom Aussterben bedrohten Waldrapp. Die neuen Erkenntnisse entstammen einem Forschungsprojekt, das noch bis Ende 2021 läuft und vom Wissenschaftsfonds FWF finanziert wird.

Fliegende Waldrappe mit GPS-Datenloggern am Rücken
Fliegende Waldrappe mit GPS-Datenloggern am Rücken © Waldrappteam

Sicher ans Ziel

In den Jahren 2018 und 2019 hat das Forschungsteam zwei Gruppen von Jungvögeln bei deren erster Migration von einer Brutkolonie im deutschen Überlingen am Bodensee zum Winterquartier in die südliche Toskana zur WWF Oasi Laguna di Orbetello geleitet. Dabei flogen die Forschenden in einem Ultraleichtflugzeug mit und übten die Funktion des Leitvogels aus. Das ist notwendig, weil es für diese Jungvögel der Premierenflug ist. Nur so können die in Europa ausgerotteten Waldrappe wieder in freier Wildbahn angesiedelt werden. Außerdem setzt der Klimawandel den Zugvögeln immer stärker zu, weshalb die Erforschung des Migrationsflugs von großer Bedeutung für den europäischen Artenschutz ist. „Je mehr wir über Migration und Energieeffizienz wissen, desto besser. Es wird immer wichtiger werden, das Zugverhalten von Arten exakt modellieren und an die geänderten Umweltbedingungen anpassen zu können“, sagt Fritz. Eine Schlüsselfunktion nimmt dabei die Kooperationskompetenz zwischen den Individuen ein, wovon das Überleben des einzelnen Vogels ebenso wie das der ganzen Population abhängt. Die erste Migration ist für Jungvögel besonders riskant: Verliert ein junger Waldrapp den Kontakt zur Gruppe und kann sich keiner anderen anschließen, bedeutet dies den sicheren Tod. Dass beim Formationsflug prinzipiell Energie gespart wird, war zwar von theoretischen Modellen her bekannt, nicht aber, wie es funktioniert und wieviel Energie ein Vogel tatsächlich spart.

Aufwändige Vorbereitungen für Migrationsflug

„Energieeffizienz ist für die Überlebensrate ein extrem wichtiger Faktor. Herauszufinden, wie komplex die Ansprüche an das Individuum sind, um Energie zu sparen, ist sehr faszinierend“, erklärt der Biologe. Von der Frage, wie die Daten gesammelt werden bis zur Datenanalyse hat das Team gleich mehrmals Neuland betreten. Mit an Bord sind daher zwei PhD-Studentinnen aus Italien und Israel sowie Partner von Forschungsinstituten der Veterinärmedizinischen Universität Wien, der Universität Wien, der Fachhochschule Joanneum in Graz und der Universität Bern. Die zwei Gruppen von je dreißig Jungtieren waren von Menschenhand aufgezogen. Das ermöglichte es, sie mit der technologischen Ausrüstung zur Datensammlung auszustatten. Von Überlingen bis in die Toskana waren sie zwei Wochen lang unterwegs, legten in nur sechs bis sieben Flugtagen insgesamt rund 1.000 Kilometer zurück, überquerten die Alpen und den Apennin und erreichten Flughöhen bis zu 2.900 Metern.

Fliegender Waldrapp im Windkanal
Fliegender Waldrapp im Windkanal © K. Neugebauer

Neue, hochpräzise Daten zum Flugverhalten

Die exakte Position des Individuums in Relation zu den anderen – fliegt es voraus oder hinterher – ist ein Kernaspekt, um Energieeffizienz zu erforschen. Alle Individuen wurden deshalb mit  extraleichten „Datenloggern“ ausgerüstet. Täglich haben die Forschenden die Geräte den Vögeln auf- und abmontiert. „Der Datenlogger übermittelt keine Daten, sondern speichert sie intern ab. Besonders herausfordernd war für uns, die extrem hohe Präzision auf wenige Zentimeter genau zu erreichen“, resümiert der Forscher. Der Zugriff auf drei globale Satellitennavigationssysteme (GPS, Galileo, GLONASS) macht dies möglich. Ein Vogel spart nur dann Energie, wenn er in einem bestimmten Abstand zum Vordermann fliegt und gleichzeitig seinen Flügelschlag exakt synchronisiert. Deshalb misst ein Bewegungssensor im Datenlogger permanent sowohl die Frequenz des Flügelschlags als auch die Position des Flügels. Um herauszufinden, wie viel Energie das Individuum dabei spart, wurde bei je vier Jungvögeln auch die Herzfrequenz über Elektroden gemessen. Um Herzfrequenz in Zusammenhang mit dem stoffwechselbedingten Energieverbrauch (Energieumsatz) setzen zu können, der über die Atemluft gemessen wird, war es nötig, diese beiden Werte unter Laborbedingungen zu kalibrieren. In einem eigens entwickelten Windkanal haben die „Zieheltern“ von vier separat aufgezogenen Jungvögeln dazu Daten gesammelt. Im Zuge der beiden Migrationen entstand letztlich ein umfassender und neuartiger Datensatz. „Wir sind aktuell mitten in der Auswertung. Wir vermuten, dass die Energieersparnis zwischen 15 und 30 Prozent beträgt. Das ist speziell für unerfahrene Jungvögel mit niedrigerem Leistungsvermögen erheblich“, betont Fritz. Mithilfe dieser empirischen Datengrundlage kann die menschengeleitete Migration weiter verbessert und der Artenschutz von Zugvögeln optimiert werden. Bleibt die Frage: Haben die Vögel dieses Verhalten in den Genen? Oder lernen sie die Kooperation durchs Tun? Offenbar ist Kooperationskompetenz ein Entwicklungsprozess: „Bei den Trainingsflügen war das noch ein bunter Haufen. Als sie in Zugstimmung kamen, schienen sie den Ernst der Sache zu erkennen und begannen, in Formation zu fliegen. Mit jeder Flugetappe hat die Kooperation besser funktioniert“, erinnert sich Fritz an seine faszinierende Erfahrung in der Funktion des „Leitvogels“.


Zur Person Johannes Fritz ist promovierter Biologe mit Fokus auf den vom Aussterben bedrohten Waldrapp. Im Jahr 2002 initiierte er das Projekt Waldrappteam, das sich zu einem EU-geförderten LIFE-Projekt entwickelte. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Wiederansiedlung des Waldrappen in Europa. Die naturnahe Erforschung des Migrationsflugs und die umfangreiche Datensammlung werden durch den Wissenschaftsfonds FWF gefördert.


Publikationen

Voelkl, Bernhard; Fritz, Johannes: Relation between travel strategy and social organization of migrating birds with special consideration of formation flight in the northern bald ibis, in: Philosophical Transactions of the Royal Society B Biological Sciences, B 372: 20160235, 2017
Sperger, Christian; Heller, Armin; Voelkl, Bernhard; Fritz, Johannes: Flight strategies of migrating Northern Bald Ibises: Analysis of GPS data during human-led migration flights, in: AGIT- Journal für Angewandte Geoinformatik, 3-2017, 62-72, 2017
Voelkl, Bernhard; Portugal, Steven J.; Unsöld, Markus; Usherwood, James R.; Wilson, Alan M.; Fritz, Johannes: Matching times of leading and following suggest cooperation through direct reciprocity during V-formation flight in ibis, in: PNAS Proceedings of the National Academy of Sciences, 112 (7), 2115-2120, 2015
Portugal, Steven J.; Hubel, Tatjana Y.; Fritz, Johannes et al.: Upwash exploitation and downwash avoidance by flap phasing in ibis formation flight, in: Nature, 505: 399-402, 2014