PortrÀt eines Quantenphysikers im Labor
Gregor Weihs erforscht eine der faszinierendsten Eigenschaften der Quantenphysik, die VerschrĂ€nkung. © Andreas Friedle

Welche Überlegungen stehen hinter der Wissenschaftsförderung im Exzellenzcluster Quantum Science Austria?

Gregor Weihs: Wir haben uns bei der Gestaltung des Exzellenzclusters gefragt: Wo sind unsere StĂ€rken in Österreich? Denn natĂŒrlich können wir nicht die gesamte Bandbreite der Quantenwissenschaften abbilden. Technologieentwicklung, wie beispielsweise den Bau des neuesten Quantencomputers, ĂŒberlassen wir besser einschlĂ€gigen Start-ups und Konzernen. Die heimischen Quantenwissenschaften sind traditionell sehr stark in den grundlagennahen Bereichen – und dafĂŒr auch weltweit bekannt. Neben theoretischen Arbeiten gibt es einige experimentelle Plattformen, auf denen wir besonders stark sind. Dazu gehören Forschungen mit einzelnen gefangenen geladenen Atomen, sogenannten Ionen, mit ultrakalten Quantengasen, mit supraleitenden Nanoschaltkreisen oder – auch in Nachfolge von NobelpreistrĂ€ger Anton Zeilinger – mit verschrĂ€nkten Lichtteilchen. Ein wichtiger Aspekt ist aber auch, dass wir uns im Exzellenzcluster nicht auf die Quantenphysik beschrĂ€nken wollen. Wir betreiben Grundlagenforschung in den Quantenwissenschaften. Da gehören neben der Physik viele weitere Disziplinen wie Informatik, Chemie, Elektrotechnik und der Bau von Maschinen im Nanoformat dazu. Vieles davon ist in Österreich noch neu. Wir wollen also nicht nur unsere StĂ€rken betonen, sondern auch neue FĂ€cher und Zukunftsfelder erschließen.

Der Exzellenzcluster Quantum Science Austria treibt die Grundlagenforschung in den Quantenwissenschaften voran, will die Grenzen des Wissens erweitern und Motor fĂŒr zukĂŒnftige Innovationen sein. Im Zentrum stehen grundlegende Fragen zur Quantennatur von Raum, Zeit und Schwerkraft, neue Paradigmen in der Quanteninformationswissenschaft und die Physik von Quanten-Vielteilchensystemen.

Welche Schwerpunkte und Zielsetzungen haben sich herauskristallisiert?

Weihs: Wir haben das Forschungsprogramm in drei Bereiche strukturiert. Zum einen ist da die Quantenphysik von Zeit, Raum und Gravitation. Da geht es beispielsweise um die Frage, ob man Objekte schaffen kann, an denen man gleichzeitig einen quantenphysikalischen Überlagerungszustand und eine Gravitationswirkung messen kann. Grundlagenforschung dieser Art kann Hinweise darauf geben, wie Quantenwelt und RelativitĂ€tstheorie zusammenpassen und wie sich PhĂ€nomene wie dunkle Energie oder schwarze Löcher erklĂ€ren lassen. Hier fokussieren wir also auf die physikalischen Fundamente unserer RealitĂ€t. Ein zweites Feld ist die Quanteninformationswissenschaft, bei der man ĂŒber die Konzepte gegenwĂ€rtiger Quantencomputer oder -kryptografie hinausdenkt. Aktuelle Quantencomputer werden in Qubits gedacht. Man nutzt die quantenmechanische Überlagerung, um eine Kombination von zwei ZustĂ€nden zu erzielen, um damit mit eigenen Algorithmen zu rechnen. Die Nutzung dieser Überlagerungen ist es, was einen Quantencomputer fĂŒr manche Rechnungen so viel ĂŒberlegener macht als jeder klassische Computer, egal wie groß dieser sein mag. Was aber, wenn man Systeme mit mehr als zwei ZustĂ€nden schafft und zum Beispiel drei in sogenannten „Qutrits“ ĂŒberlagert? Über das noch weitgehend unbekannte Verhalten von Mehrzustandssystemen möchten wir mehr herausfinden. Der dritte Bereich zielt schließlich darauf ab, quantenmechanische Vielteilchensysteme gut kontrollieren zu können, um sie fĂŒr die Simulation von MateriezustĂ€nden zu verwenden. Beispielsweise könnte man anhand von ultrakalten Quantengasen untersuchen, wie sich einzelne Elektronen im reibungslosen Stromfluss eines Supraleiters verhalten.

Es gibt beinahe 70 Forschungsgruppen, die sich in Österreich mit Quantenwissenschaften beschĂ€ftigen. Wie gelingt es, sie alle in einen Exzellenzcluster zu integrieren?

Weihs: Uns wurde klar, dass wir in den Projekten nicht zu viele Arbeitsgruppen zusammenfassen dĂŒrfen. Wenn sich sieben Gruppen fĂŒr die Arbeit an einer Forschungsfrage koordinieren mĂŒssen, wird das ineffizient. Unsere Forschungsagenda wird im Wesentlichen von unserer Kernprogrammausschreibung, den Core Projects, getragen. FĂŒr sie haben wir festgelegt, dass zumindest zwei Gruppen von zwei verschiedenen Instituten zusammenarbeiten mĂŒssen. Das ist das Minimum. Aktuell gibt es 25 laufende Projekte dieser Art, die Zahl der AntrĂ€ge war aber wesentlich höher. Der Wettbewerb beflĂŒgelt die Ideen, andererseits kommen manche nicht sofort zum Zug. Aber natĂŒrlich wird es auch weitere Calls geben, neue Chancen fĂŒr die Finanzierung eines Projekts und neue Gelegenheiten fĂŒr eine Vernetzung der Community.

Innerhalb der Projekte sind die Wissenschaftler:innen sehr frei. Hier muss man die Ideen laufen lassen. Unter den Projekten sind auch durchaus ĂŒberraschende Kooperationen. Plötzlich sind etwa Regelungstechniker:innen mit an Bord, die sonst wenig mit Quantenwissenschaften zu tun haben, um mit uns die Kontrolle von Quantenemittern, also Einzelphotonenquellen zu optimieren. Es werden also nicht nur neue Forschungsfelder erobert, es ergeben sich auch neue und vielversprechende Formen der InterdisziplinaritĂ€t.

Vorstand Quantum Science Austria
Sie stehen dem Exzellenzcluster Quantum Science Austria vor: Armando Rastelli (JKU), Hannes-Jörg Schmiedmayer (TU Wien), Francesca Ferlaino (ÖAW), Gregor Weihs (Uni Innsbruck), Oriol Romero-Isart (Uni Innsbruck), Markus Aspelmeyer (Uni Wien) © FWF/Daniel Novotny

Neben den Core-Projekten wurden auch sogenannte Discovery-Projekte etabliert, die „die Grenzen des konventionellen Denkens“ in den Quantenwissenschaften durchbrechen sollen. Wie verrĂŒckt dĂŒrfen diese Ideen sein?

Weihs: Sie dĂŒrfen sehr verrĂŒckt sein. Letztendlich entscheiden allerdings externe Gutachtende, ob ein Projekt zugelassen wird. Es geht aber schon um Ideen, die nicht vollkommen aus der Luft gegriffen sind. Die Forschenden haben durchaus eine Vorstellung, was von ihren AnsĂ€tzen zu erwarten ist. Vielleicht wollen sie ein neues Atom in der Ionenfalle ausprobieren oder Photonen in einem Gravitationsfeld untersuchen und nachsehen, ob sie etwas Neues finden – Dinge, die sich vielleicht nicht fĂŒr einen großen Antrag an den FWF oder ein EU-Förderprogramm eignen, aber unbedingt untersucht werden sollten. Das Budget ist mit 150.000 Euro limitiert, dennoch ist das Programm sehr kompetitiv: In der ersten Runde haben wir 46 AntrĂ€ge erhalten, maximal 15 können wir finanzieren.

Bei aller Exzellenz in der Forschung – Österreich bleibt ein kleines Land, dessen Möglichkeiten beschrĂ€nkt sind. Wie schneiden die heimischen Quantenwissenschaften im internationalen Vergleich ab?

Weihs: Die Quanten-Community in Österreich schlĂ€gt sich sehr gut. In Relation zur Einwohnerzahl hat Österreich mit seinen 70 Arbeitsgruppen in diesem Bereich wahrscheinlich die höchste Dichte an Quantenwissenschaftler:innen ĂŒberhaupt – jedenfalls höher als in Deutschland, obwohl es dort viel mehr außeruniversitĂ€re Forschungseinrichtungen gibt, die Quantenforschung betreiben. Auf Österreichs Quantenwissenschaften entfĂ€llt ein durchaus beachtliches Fördervolumen. Lange Zeit war es allerdings schwierig, an Finanzierungen fĂŒr die nötigen teuren Instrumente zu kommen – das hat uns gegenĂŒber anderen LĂ€ndern zurĂŒckfallen lassen. Zum GlĂŒck wird aus Mitteln des EU-Wiederaufbaufonds im Rahmen der Initiative „Quantum Austria“ des Wissenschaftsfonds FWF und der Förderagentur FFG insbesondere solche Forschungsinfrastruktur seit 2022 stark gefördert. Schließlich muss man in einem kleinen Land passende Nischen finden, in denen man reĂŒssieren kann. Ich denke, das ist uns mit den sehr grundlagennahen Forschungsfragen gelungen.

Teil des Exzellenzclusters ist auch der Wissenstransfer. Gleichzeitig darf man die Grundlagenforschung aber nicht verwĂ€ssern, indem man zu viel ĂŒber mögliche Anwendungen nachdenkt. Wie gelingt der Spagat?

Weihs: Wissenstransfer hat viele Dimensionen, von der Kommunikation mit Gesellschaft und Politik ĂŒber die Vernetzung mit der Industrie bis zu Patenten aus der Grundlagenforschung, die in Anwendungen umgesetzt werden. Als Vizerektor fĂŒr Forschung an der UniversitĂ€t Innsbruck unterschreibe ich etwa jede Woche ein paar Erfindungsmeldungen – nicht nur im Quantenbereich. Wichtig ist, dass die Forscher:innen zumindest das Bewusstsein fĂŒr mögliche Anwendungen haben. An den ForschungsstĂ€tten braucht es zudem Expert:innen, die sich um das Thema kĂŒmmern und auf die Wissenschaftler:innen zugehen. Und es braucht Modelle, die im Fall einer Verwertung fĂŒr einen gerechten Umgang mit dem geistigen Eigentum sorgen. Im Exzellenzcluster lĂ€uft etwa gerade ein eigenes Programm fĂŒr Start-up- und Spin-off-GrĂŒndungen im Quantenbereich, um den Wissenstransfer zu fördern und in geeignete Bahnen zu lenken.

Anwendungsforschung im Quantenbereich ist noch jung, die Transformation voll im Gange. Wirkt das auch auf die Grundlagenforschung zurĂŒck?

Weihs: Die neue Marktorientierung hat zur Folge, dass Absolvent:innen aus den Forschungsgruppen sehr schnell Jobs finden. Manchmal ist es sogar schwer, die Leute zum Bleiben in der akademischen Forschung zu bewegen. Das trifft auch auf Frauen zu, wobei hier auch die Familienplanung ein starker Einflussfaktor ist. Im Studium haben wir mittlerweile einen konstanten Frauenanteil von 20 bis 25 Prozent. Im Doktorat und in der Postdoc-Phase werden sie aber leider kontinuierlich weniger. Eine weitere Folge der forcierten Anwendungsforschung sind aber auch deutliche Verbesserungen der GerĂ€te und Methoden in Grundlagenbereichen, die mit hochspezialisiertem Equipment arbeiten. In meinem Feld, der Photonik, war es frĂŒher Teil der Arbeit, Detektoren fĂŒr einzelne Photonen in mĂŒhevoller Arbeit selbst zu bauen, um ein Experiment durchfĂŒhren zu können. Heute sind diese GerĂ€te problemlos am Markt erhĂ€ltlich. Forschende haben Firmen ausgegrĂŒndet und bieten dieses Spezialequipment an. Die verfĂŒgbaren Werkzeuge werden also besser und man kann bei den Experimenten gleich auf einem höheren Niveau einsteigen.

Die Erfolgsgeschichte der heimischen Quantenwissenschaften gipfelte im Physiknobelpreis fĂŒr Anton Zeilinger. Wie hat sich das auf die heimische Quanten-Community ausgewirkt?

Weihs: Durch die StĂ€rke Österreichs hatten wir schon vor dem Nobelpreis einen sehr hohen Anteil internationaler Studierender. Wir haben danach aber bemerkt, dass das Interesse – wirklich aus allen Erdteilen – noch einmal angezogen hat. Und natĂŒrlich gab es bedeutende Effekte in der öffentlichen Wahrnehmung, bis hin zu Boulevardzeitungen, die nun ĂŒber Quantenphysik schreiben. Viel mehr Menschen in Österreich haben die Quantenwelt heute auf ihrer geistigen Landkarte.

Hat die WidersprĂŒchlichkeit der Quantenwelt, mit der Sie seit Jahrzehnten konfrontiert sind, auch Ihre Sicht der Welt im Alltag verĂ€ndert?

Weihs: Ich glaube, man gewöhnt sich einfach an diese nicht intuitiven Regeln in der Mikrowelt. Ich finde sie ĂŒberhaupt nicht bizarr. Dass diese PhĂ€nomene einfach verschwinden, wenn man auf grĂ¶ĂŸere Objekte blickt, macht einen großen Teil der Motivation fĂŒr die wissenschaftliche BeschĂ€ftigung aus. Das ist ein RĂ€tsel, das es zu ergrĂŒnden gilt. Die Fragen resultieren aus der Forschung – und das ist wichtig. In der Technologieentwicklung gibt die Anwendung vor, was man erforscht. In der Grundlagenforschung können nur die Wissenschaftler:innen selbst die interessanten Fragen stellen und sagen, was relevant ist. Diese Freiheit, dieser Raum fĂŒr Neugierde zieht auch viele Studierende an. Es ist ein bisschen wie in der Kunst, dort will man sich auch keine Vorschriften machen lassen. In der Gesellschaft, in der Politik ist das manchmal schwer zu verstehen.

Gregor Weihs ist Forschungsdirektor des Exzellenzclusters Quantum Science Austria. Der Quantenphysiker ist Vizerektor fĂŒr Forschung an der UniversitĂ€t Innsbruck, wo er am Institut fĂŒr Experimentalphysik eine Forschungsgruppe fĂŒr Photonik leitet. Von 2016 bis 2021 war Weihs VizeprĂ€sident fĂŒr Naturwissenschaften und Technik beim Wissenschaftsfonds FWF und ĂŒbernahm 2021 fĂŒr einige Monate interimistisch dessen Leitung. 

Der Exzellenzcluster Quantum Science Austria vertieft die österreichische Grundlagenforschung im Bereich der Quantenwissenschaften. Zu den beteiligten ForschungsstĂ€tten gehören die Österreichische Akademie der Wissenschaften, die UniversitĂ€t Wien, die Technische UniversitĂ€t Wien, die Johannes Kepler UniversitĂ€t Linz, das Institute of Science and Technology Austria sowie die UniversitĂ€t Innsbruck, die die Leitung innehat. Der Wissenschaftsfonds FWF finanziert den Exzellenzcluster mit 21 Millionen Euro fĂŒr fĂŒnf Jahre. Weitere 14 Millionen Euro wenden die beteiligten ForschungsstĂ€tten selbst auf.