Neben den Core-Projekten wurden auch sogenannte Discovery-Projekte etabliert, die âdie Grenzen des konventionellen Denkensâ in den Quantenwissenschaften durchbrechen sollen. Wie verrĂŒckt dĂŒrfen diese Ideen sein?
Weihs: Sie dĂŒrfen sehr verrĂŒckt sein. Letztendlich entscheiden allerdings externe Gutachtende, ob ein Projekt zugelassen wird. Es geht aber schon um Ideen, die nicht vollkommen aus der Luft gegriffen sind. Die Forschenden haben durchaus eine Vorstellung, was von ihren AnsĂ€tzen zu erwarten ist. Vielleicht wollen sie ein neues Atom in der Ionenfalle ausprobieren oder Photonen in einem Gravitationsfeld untersuchen und nachsehen, ob sie etwas Neues finden â Dinge, die sich vielleicht nicht fĂŒr einen groĂen Antrag an den FWF oder ein EU-Förderprogramm eignen, aber unbedingt untersucht werden sollten. Das Budget ist mit 150.000 Euro limitiert, dennoch ist das Programm sehr kompetitiv: In der ersten Runde haben wir 46 AntrĂ€ge erhalten, maximal 15 können wir finanzieren.
Bei aller Exzellenz in der Forschung â Ăsterreich bleibt ein kleines Land, dessen Möglichkeiten beschrĂ€nkt sind. Wie schneiden die heimischen Quantenwissenschaften im internationalen Vergleich ab?
Weihs: Die Quanten-Community in Ăsterreich schlĂ€gt sich sehr gut. In Relation zur Einwohnerzahl hat Ăsterreich mit seinen 70 Arbeitsgruppen in diesem Bereich wahrscheinlich die höchste Dichte an Quantenwissenschaftler:innen ĂŒberhaupt â jedenfalls höher als in Deutschland, obwohl es dort viel mehr auĂeruniversitĂ€re Forschungseinrichtungen gibt, die Quantenforschung betreiben. Auf Ăsterreichs Quantenwissenschaften entfĂ€llt ein durchaus beachtliches Fördervolumen. Lange Zeit war es allerdings schwierig, an Finanzierungen fĂŒr die nötigen teuren Instrumente zu kommen â das hat uns gegenĂŒber anderen LĂ€ndern zurĂŒckfallen lassen. Zum GlĂŒck wird aus Mitteln des EU-Wiederaufbaufonds im Rahmen der Initiative âQuantum Austriaâ des Wissenschaftsfonds FWF und der Förderagentur FFG insbesondere solche Forschungsinfrastruktur seit 2022 stark gefördert. SchlieĂlich muss man in einem kleinen Land passende Nischen finden, in denen man reĂŒssieren kann. Ich denke, das ist uns mit den sehr grundlagennahen Forschungsfragen gelungen.
Teil des Exzellenzclusters ist auch der Wissenstransfer. Gleichzeitig darf man die Grundlagenforschung aber nicht verwĂ€ssern, indem man zu viel ĂŒber mögliche Anwendungen nachdenkt. Wie gelingt der Spagat?
Weihs: Wissenstransfer hat viele Dimensionen, von der Kommunikation mit Gesellschaft und Politik ĂŒber die Vernetzung mit der Industrie bis zu Patenten aus der Grundlagenforschung, die in Anwendungen umgesetzt werden. Als Vizerektor fĂŒr Forschung an der UniversitĂ€t Innsbruck unterschreibe ich etwa jede Woche ein paar Erfindungsmeldungen â nicht nur im Quantenbereich. Wichtig ist, dass die Forscher:innen zumindest das Bewusstsein fĂŒr mögliche Anwendungen haben. An den ForschungsstĂ€tten braucht es zudem Expert:innen, die sich um das Thema kĂŒmmern und auf die Wissenschaftler:innen zugehen. Und es braucht Modelle, die im Fall einer Verwertung fĂŒr einen gerechten Umgang mit dem geistigen Eigentum sorgen. Im Exzellenzcluster lĂ€uft etwa gerade ein eigenes Programm fĂŒr Start-up- und Spin-off-GrĂŒndungen im Quantenbereich, um den Wissenstransfer zu fördern und in geeignete Bahnen zu lenken.
Anwendungsforschung im Quantenbereich ist noch jung, die Transformation voll im Gange. Wirkt das auch auf die Grundlagenforschung zurĂŒck?
Weihs: Die neue Marktorientierung hat zur Folge, dass Absolvent:innen aus den Forschungsgruppen sehr schnell Jobs finden. Manchmal ist es sogar schwer, die Leute zum Bleiben in der akademischen Forschung zu bewegen. Das trifft auch auf Frauen zu, wobei hier auch die Familienplanung ein starker Einflussfaktor ist. Im Studium haben wir mittlerweile einen konstanten Frauenanteil von 20 bis 25 Prozent. Im Doktorat und in der Postdoc-Phase werden sie aber leider kontinuierlich weniger. Eine weitere Folge der forcierten Anwendungsforschung sind aber auch deutliche Verbesserungen der GerĂ€te und Methoden in Grundlagenbereichen, die mit hochspezialisiertem Equipment arbeiten. In meinem Feld, der Photonik, war es frĂŒher Teil der Arbeit, Detektoren fĂŒr einzelne Photonen in mĂŒhevoller Arbeit selbst zu bauen, um ein Experiment durchfĂŒhren zu können. Heute sind diese GerĂ€te problemlos am Markt erhĂ€ltlich. Forschende haben Firmen ausgegrĂŒndet und bieten dieses Spezialequipment an. Die verfĂŒgbaren Werkzeuge werden also besser und man kann bei den Experimenten gleich auf einem höheren Niveau einsteigen.
Die Erfolgsgeschichte der heimischen Quantenwissenschaften gipfelte im Physiknobelpreis fĂŒr Anton Zeilinger. Wie hat sich das auf die heimische Quanten-Community ausgewirkt?
Weihs: Durch die StĂ€rke Ăsterreichs hatten wir schon vor dem Nobelpreis einen sehr hohen Anteil internationaler Studierender. Wir haben danach aber bemerkt, dass das Interesse â wirklich aus allen Erdteilen â noch einmal angezogen hat. Und natĂŒrlich gab es bedeutende Effekte in der öffentlichen Wahrnehmung, bis hin zu Boulevardzeitungen, die nun ĂŒber Quantenphysik schreiben. Viel mehr Menschen in Ăsterreich haben die Quantenwelt heute auf ihrer geistigen Landkarte.
Hat die WidersprĂŒchlichkeit der Quantenwelt, mit der Sie seit Jahrzehnten konfrontiert sind, auch Ihre Sicht der Welt im Alltag verĂ€ndert?
Weihs: Ich glaube, man gewöhnt sich einfach an diese nicht intuitiven Regeln in der Mikrowelt. Ich finde sie ĂŒberhaupt nicht bizarr. Dass diese PhĂ€nomene einfach verschwinden, wenn man auf gröĂere Objekte blickt, macht einen groĂen Teil der Motivation fĂŒr die wissenschaftliche BeschĂ€ftigung aus. Das ist ein RĂ€tsel, das es zu ergrĂŒnden gilt. Die Fragen resultieren aus der Forschung â und das ist wichtig. In der Technologieentwicklung gibt die Anwendung vor, was man erforscht. In der Grundlagenforschung können nur die Wissenschaftler:innen selbst die interessanten Fragen stellen und sagen, was relevant ist. Diese Freiheit, dieser Raum fĂŒr Neugierde zieht auch viele Studierende an. Es ist ein bisschen wie in der Kunst, dort will man sich auch keine Vorschriften machen lassen. In der Gesellschaft, in der Politik ist das manchmal schwer zu verstehen.