Thomas Pölzler
Thomas Pölzler unterwegs in Charleston © Privat

Es waren zugegebenermaßen nicht nur akademische Gründe, die mich in die Hafenstadt Charleston im US-Bundesstaat South Carolina gezogen hatten. Palmen, Strandpromenaden, bunte Häuser im Kolonialstil, Kunstfestivals, ein fast immer gut gelaunter Himmel – die Liste an Reizvollem ist lang. Und diese Fülle an Schönheit und Kultur prägte meinen Auslandsaufenthalt dann tatsächlich wesentlich. Aber auch in wissenschaftlicher Hinsicht hielt mein Schrödinger-Stipendium des FWF natürlich viel Bereicherndes bereit.

Philosophie trifft Psychologie

Meine gegenwärtige Forschung fällt in das Gebiet der Moralpsychologie. Insbesondere interessiert mich, wie philosophische Laien zur Objektivität der Moral stehen. Glauben sie, dass manche Handlungen richtig oder falsch sind, und zwar unabhängig davon, was wir über sie denken? Oder bestreiten sie eine solche objektive Grundlage, etwa indem sie moralische Werte als relativ zu unseren individuellen oder gemeinschaftlich geteilten Überzeugungen betrachten? Am gewinnbringendsten werden Fragen dieser Art aus einer interdisziplinären Perspektive untersucht. Eine der führenden Expertinnen im Bereich der sogenannten moralpsychologischen Objektivismus-Forschung ist die Psychologin Jen Wright vom College of Charleston. Nachdem ich mich schon während meines Doktoratsstudiums gelegentlich mit ihr ausgetauscht hatte, erklärte sie sich gerne bereit, mein Schrödinger-Projekt zu betreuen.

Durch die gemeinsame Forschung mit Jen Wright erhielt ich wertvolle Einblicke in die Methoden, Potenziale und Grenzen psychologischer Studien. Wie erhofft, förderte unsere Zusammenarbeit auch spannende Ergebnisse zu Tage. Im Gegensatz zu früherer Forschung legen unsere neu entwickelten Studien zum Beispiel nahe, dass zumindest US-Amerikanerinnen und -Amerikaner zum Nicht-Objektivismus tendieren. Moralisch richtig oder falsch ist eine Handlung ihrer Meinung nach dann, wenn wir sie als Individuen oder als Gemeinschaft für moralisch richtig oder falsch halten.

Horizonterweiterungen

Die von Jen Wright und mir erzielten Ergebnisse weckten bald das Interesse anderer Forscherinnen und Forscher. Meinen USA-Aufenthalt nutzte ich deshalb auch für die eine oder andere Stippvisite. So hielt ich u.a. Vorträge an den Universitäten Harvard, Yale und Princeton und verwirklichte an den beiden letztgenannten kleine Forschungsvorhaben. Mein Stipendium erwies sich im Laufe der Zeit immer mehr auch als fruchtbarer Boden für vielversprechende ungeplante Ideen. So untersuchte ich zum Beispiel, wie man als Forscher oder Forscherin im Bereich der experimentellen Philosophie mit unaufmerksamen Probandeninnen und Probanden in Umfragen umgehen sollte und was die Wahrheit des moralischen Kultur-Relativismus für die Programmierung von selbstfahrenden Autos bedeuten würde. Im Moment spüre ich gemeinsam mit Jen Wright und einem Kollegen von der Universität Graz möglichen unbewussten Assoziationen von Moral und Objektivität nach. Trotz dieser intensiven und produktiven Forschung blieb während meines Aufenthalts in Charleston auch genug Zeit für darüber hinausgehende Erfahrungen. Den Charme dieser Stadt habe ich eingangs schon besungen. Darüber hinaus erlebte ich zwei herannahende Hurrikans mit und wurde College-Tischtennismeister. Am spannendsten und einprägsamsten fand ich es jedoch, nach und nach einen immer schärferen Blick für die kulturellen Unterschiede zwischen den USA und Österreich zu entwickeln (die so viel tiefer gehen als es zunächst scheinen mag).

Neue Ufer

Unmittelbar nach dem Ende meiner Rückkehrphase am Institut für Philosophie der Universität Graz werde ich dort eine Stelle als Postdoc-Universitätsassistent antreten. Mein Schrödinger-Stipendium wird sowohl in fachlicher als auch in persönlicher Hinsicht auf jeden Fall nachhaltig positive Spuren hinterlassen.