Neue Ansätze zum besseren Sehen mit Netzhautimplantaten
Blinde richtig sehend machen – das wird noch dauern", sagt Frank Rattay vom Institut für Analysis und Scientific Computing an der Technischen Universität Wien. "Doch bei bestimmten Erkrankungen des Auges gelingt es schon, ihnen mit Retina-Implantaten ein noch stark eingeschränktes Sehen zurückzugeben."
Impulsgeber
Dazu werden mittels – im Auge implantierten – Mikrochips Lichtsignale in elektrische Impulse umgewandelt, die anschließend Zellen der Netzhaut stimulieren. Ein großes Problem dabei: Zelltypen, die in einem funktionsfähigen Auge unterschiedlich auf Lichtreize reagieren werden gleichmäßig stimuliert. Damit wird die Wahrnehmung von Kontrast stark vermindert. "Doch könnte es gelingen", so Rattay, "durch spezielle elektrische Impulse die eine Zellart mehr als die andere zu stimulieren und so die Wahrnehmung von Kontrast zu steigern." Erste Ansätze dazu fand er mit seinem Team im Rahmen eines FWF-Projekts. Mit den Partnern Shelley Fried von der Harvard Medical School und Eberhard Zrenner von der Universitätsklinik Tübingen werden die simulierten Ergebnisse durch experimentelle Befunde unterstützt.
Simuliert & Stimuliert
Tatsächlich konnten Rattay und sein Team in einer ausgeklügelten Computersimulation zweier Zelltypen des Auges Spannendes entdecken. So zeigte sich, dass bei Auswahl spezieller elektrischer Impulse tatsächlich unterschiedliche biophysikalische Vorgänge in den beiden Zelltypen aktiviert werden konnten. Eine sogenannte monophasische Stimulation – bei der die elektrische Polarität des Signals vom Retina-Implantat nicht wechselte – führte bei einem Zelltyp zu einer deutlichen Depolarisierung. Dazu Rattay: "Depolarisierung bedeutet, dass die in Zellen vorherrschende negative Ladung kurzfristig in eine positive übergeht. So werden Nervenimpulse weitergeleitet." In dem anderen Zelltyp war diese Ladungsumkehr deutlich schwächer. Weiters konnte das Team anhand der Simulation auch zeigen, dass die Konzentration an Kalzium in den beiden Zelltypen bis zu vierfach unterschiedlich auf ein monophasisches Signal reagierte.
ON and OFF
"Kalzium ist in vielen Zellen ein wichtiges Signalmolekül, das bei der Verarbeitung von Information eine wesentliche Rolle spielt. Deswegen haben wir dieses in unserer Simulation auch besonders berücksichtigt und die Wirkung spezieller Membranproteine für den Kalziumtransport miteinberechnet", erklärt Paul Werginz, Kollege von Rattay und Erstautor der nun veröffentlichten Arbeit. Konkret schaute sich das Team Modelle zweier Zelltypen der Retina an, die als ON- und OFF-Zellen bezeichnet werden. ON-Zellen reagieren stärker, wenn es im Zentrum ihrer Platzierung heller ist – bei OFF-Zellen ist es genau umgekehrt. Dank ihrer Anordnung in der Retina wird so die Wahrnehmung von Kontrasten stark erhöht. Doch Retina-Implantate senden statt Lichtimpulse bisher elektrische Impulse, die in beiden Zelltypen zu den gleichen biochemischen Reaktionen führen und so die Kontrastempfindlichkeit stark reduzieren. Die Arbeit von Rattay zeigt nun, dass das nicht sein muss.
Form mit Einfluss
Ein zusätzliches Ergebnis, das die Gruppe um Rattay fand, war, dass die Form der einzelnen ON- oder OFF-Zelle Einfluss auf die Signalverarbeitung hat. So spielt die unterschiedliche Länge beider Zelltypen eine wesentliche Rolle. Auch dies, erklärt Rattay, könnte eine wichtige Erkenntnis sein, die es erlaubt, die Performance zukünftiger Retina-Implantate durch die Modulation ihrer elektrischen Signale deutlich zu verbessern. Dieses Ziel verfolgen Rattay und sein Team intensiv, um Strategien zu entwickeln, die vielen Blinden das visuelle Erkennen von Gegenständen ermöglichen sollen.
Zur Person
Frank Rattay ist Professor am Institut für Analysis und Scientific Computing der Technischen Universität Wien und leitet dort die Gruppe für Computational Neuroscience and Biomedical Engineering. Seit Jahrzehnten publiziert er international erfolgreich im Bereich der Erzeugung und Optimierung künstlicher Nervensignale.