„Müssen uns dem Wettbewerb stellen“
FWF: Welche erste Bilanz ziehen Sie nach hundert Tagen im Amt als Präsident des Wissenschaftsfonds FWF? Klement Tockner: In diesen ersten Monaten sind drei wesentliche Dinge passiert. Erstens wurden dem FWF mehr als 50 Prozent an zusätzlichen Mitteln bis 2021 in Aussicht gestellt. Dafür haben sich sehr viele seit Langem eingesetzt. Seitens des FWF konnten wir zugleich eine Vertrauensbasis schaffen, auf der wir weiter aufbauen werden. Wir haben zweitens ein ambitioniertes Strategiepapier entwickelt und der Öffentlichkeit vorgestellt. Und drittens haben wir eine Qualitätsoffensive gestartet, was Begutachtungs- und Auswahlverfahren betrifft. Jetzt gilt es, all das zügig umzusetzen. FWF: Die Themen des Strategiepapiers für die Jahre 2017 bis 2020 reichen von Forschungsallianzen über Zukunftsprofessuren bis hin zu Internationalisierung. Welches Projekt ist Ihnen am wichtigsten? Tockner: Das Ziel, dass mehr Mittel in den kompetitiven Bereich gehen, ist und bleibt vorrangig; davon hängt das Innovationspotenzial Österreichs mit ab. Hierfür braucht es dringend eine Stärkung des FWF. Um dies zu rechtfertigen, ist wiederum eine stete Qualitätsentwicklung zentral, denn als Treuhänder der Grundlagenforschung muss der FWF Vorbild bleiben. Darüber hinaus wollen wir Vorreiter sein, indem wir auch neue Wege der Forschungsförderung beschreiten, um damit letztlich die notwendige Grundlage für wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen schaffen zu können.
„Als Treuhänder der Grundlagenforschung müssen wir Vorbild sein. “
FWF: Die in Aussicht gestellte Budgetaufstockung des FWF beträgt 281 Millionen Euro für 2018 bis 2021. Das reicht nicht, um alle geplanten Projekte umzusetzen. Wo liegen die Prioritäten, und wie wollen Sie die restlichen Initiativen finanzieren? Tockner: Die Anhebung des Budgets soll zum einen dazu genützt werden, die risikoreiche Forschung zu stärken. Dazu haben wir etwa das 1.000-Ideen-Programm entwickelt, das neue Forschungsideen und -ansätze fördert, die von hoher wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Relevanz sind. Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die projektgebundenen Overheadkosten, um dadurch die Forschungsstätten in ihrer Schwerpunktsetzung zusätzlich zu stärken. Wir hoffen, dass wir zumindest einen Teil über die zusätzlichen Mittel abdecken können. Ein weiterer Teil kann möglicherweise aus den Strukturmitteln kommen, die den Universitäten zur Verfügung gestellt werden. Höchste Priorität hat jedoch die Förderung jener Wissenschafterinnen und Wissenschafter, deren Anträge exzellent begutachtet wurden, diese aber bis dato aus budgetären Gründen abgelehnt werden mussten. Das ermöglicht die Anstellung von zusätzlich bis zu 1.400 in der Wissenschaft tätigen Personen pro Jahr in diesen Projekten.
„Priorität hat die Förderung jener exzellenten Personen, deren Anträge bis dato aus budgetären Gründen abgelehnt werden mussten. “
FWF: Alle anderen Vorhaben, wie etwa die Zukunftsprofessuren, wären dann auf der Wartebank? Tockner: Unser Ziel ist es, im Rahmen eines Exzellenzprogramms 200 zusätzliche Professuren in den kommenden acht Jahren zu schaffen. Damit sollen dem international herausragenden wissenschaftlichen Nachwuchs Karriereperspektiven eröffnet werden, die jetzt weitgehend fehlen. Es wäre ein immens wichtiges Signal, da dadurch die Wissenschaftslandschaft in Österreich nachhaltig gestärkt und international noch deutlicher positioniert werden kann. Wir haben diesen Vorschlag eingebracht, deren Umsetzung jetzt gemeinsam mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft diskutiert wird. Vorstellbar ist, dass wir 2017 oder 2018 eine erste thematische Ausschreibung im Bereich der Bildungsforschung umsetzen können, etwa unterstützt über die neu gegründete Innovationsstiftung für Bildung. FWF: Der FWF verfolgte bis jetzt das Prinzip des Bottom-up in der Forschungsförderung. Das wird jetzt anders? Tockner: Es muss beides möglich sein. Wir werden teils Themenbereiche definieren und dann Bottom-up den freien Wettbewerb befördern. Das passiert beispielsweise schon jetzt bei den transnationalen europäischen Förderungsprogrammen. Nichtsdestotrotz wird es eine Herausforderung sein, wie wir mit der Kombination aus Bottom-up- und Top-down-Ansätzen umgehen werden. Ein transparenter Wettbewerb mit externer Qualitätssicherung bleibt dabei wesentlicher Standard. Das heißt auch, dass die Mittel noch stärker kompetitiv vergeben werden. Wir wollen diesen Wettbewerb in Kooperation mit den Forschungsinstitutionen, teils auch mit anderen Förderungsorganisationen, inhaltlich und strategisch gestalten, um einerseits die Qualität zu erhöhen und andererseits den Forschungsstandort als solchen noch attraktiver zu machen.
„Transparenter Wettbewerb und externe Qualitätssicherung sind wesentliche Standards.“
FWF: Wettbewerb und Kooperation: Wie passt das zusammen? Tockner: Nehmen wir als Beispiel das Exzellenzprogramm, in dessen Rahmen die Zukunftsprofessuren geplant sind: Dieses Programm ist stark auf die Universitäten und Forschungseinrichtungen zugeschnitten. Um einen fairen Wettbewerb zu garantieren, muss dieses Programm jedoch unbedingt an einer zentralen, unabhängigen Förderungsorganisation wie dem FWF angesiedelt und von diesem umgesetzt werden. Inhaltlich ist es zudem notwendig, strategische und fachliche Akzente zu setzen. Zugleich wäre es für ein Land wie Österreich alles andere als hilfreich, wenn jeder Themenbereich einen eigenen Topf zur Verfügung hat oder haben möchte. FWF: Der FWF unterstützt gezielt Wissenschafterinnen und Wissenschafter auf unterschiedlichen Karrierestufen. Noch stehen wir jedoch vor dem Dilemma, dass es zu wenig attraktive Stellen und Forschungsumfelder in Österreich gibt. Trägt der FWF damit zur Abwanderung hoch qualifizierter Personen ins Ausland bei? Tockner: Damit habe ich grundsätzlich kein Problem. Wissenschafterinnen und Wissenschafter müssen mobil sein, sie stehen im globalen Wettbewerb. Wir wollen, wie alle anderen auch, die Besten gewinnen, unabhängig davon, woher sie kommen. Im Gegenteil, Forschung ist vielfältig und das heißt zumeist auch, je internationaler, desto erfolg- und ertragreicher. Ich persönlich hätte mir als Arbeitsort genauso gut Zagreb oder Madrid vorstellen können. Es geht um das inhaltliche Gestalten! Daher müssen wir Bedingungen schaffen, die so attraktiv sind, dass wir mit anderen Orten konkurrieren können. Übrigens haben 50 Prozent der Schrödinger-Stipendiaten (ein Mobilitätsprogramm des FWF, Anm.) in den ersten zehn Jahren eine Professur inne, weltweit. Das ist ein absoluter Erfolg.
FWF: Kritische Stimmen sagen, es wird zu viel Mainstream-Forschung gefördert. Investiert das österreichische Förderungssystem in die richtigen Themen und Bereiche? Tockner: Wir sind sicher oft nicht mutig genug, die wirklich innovativen Projekte zu fördern. Deswegen haben wir auch das 1.000-Ideen-Programm entwickelt. Zugleich muss Forschung verstärkt disziplinen- und institutionenübergreifend stattfinden. Etwa, indem wir die Geistes- und Sozialwissenschaften stärker mit dem naturwissenschaftlichen Bereich verknüpfen. Auch die Zusammenarbeit zwischen den Ingenieur- und Naturwissenschaften ist noch ein weitgehend brachliegendes Feld. Zudem ist die Grenze zwischen Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung eine offene. Die Frage ist daher, wie wir eine Kultur weiterentwickeln und pflegen, die Offenheit und Durchlässigkeit befördert. FWF: Vor Kurzem wurde die österreichweit erste Professur für Wissenschaftskommunikation eingerichtet. Wo sehen Sie die Wissenschaftsvermittlung in Österreich? Tockner: Den viel zitierten Elfenbeinturm gibt es natürlich noch immer, nur sind da jetzt mehr Leute drinnen. So wie wir es gerade in den politischen Debatten erleben, gibt es auch in der Wissenschaft eine Diskussion zwischen der „Elite“ und der Gesellschaft. Hier gilt es achtzugeben und einer möglichen Polarisierung entgegenzuwirken. Der Dialog muss im Vordergrund stehen. Reines Wissenschaftsmarketing reicht dafür sicherlich nicht. Zentral ist zudem die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger, wie etwa am Beispiel Citizen Science; wenngleich der Erkenntnisgewinn unbedingt im Vordergrund stehen muss. Grundsätzlich gilt es, den Wissenstransfer noch stärker im System zu verankern. In Amerika etwa werden Wissenschafterinnen und Wissenschafter trainiert, sich aktiv in die gesellschaftliche Debatte einzubringen.
„Die ureigenste Aufgabe des Wissenschafters ist es, ein 'honest broker' zu sein. “
FWF: Welche Rolle hat der Wissenschafter in der Gesellschaft? Tockner: Die ureigenste Aufgabe des Wissenschafters ist es, ein honest broker zu sein, welcher evidenzbasiertes Wissen zur Verfügung stellt. So bin ich Ökologe, kein Naturschützer oder Mitglied einer NGO; und es steht mir als Wissenschafter nicht zu, etwas als „gut“ oder „schlecht“ zu klassifizieren. Das bleibt Entscheidung der Gesellschaft. Der Wissenschafter muss jedoch auf mögliche Konsequenzen hinweisen und Optionen anbieten. Ich kann mir jedoch eine spannende Form der Zusammenarbeit mit investigativen Journalisten vorstellen. Auch der Wissenschafter arbeitet in gewisser Weise investigativ. Ähnlich wie Wissenschafter könnte man Journalisten ein halbes Jahr unterstützen, damit sie sich voll und ganz einem Thema widmen können. – Das wäre doch eine mögliche, sehr reizvolle Idee. Wichtig ist bei alldem, ein langfristiges Ziel vor Augen zu haben, statt irgendwelchen Trends hinterherzulaufen. FWF: Sie sind Gewässerökologe. Wann und wodurch haben Sie die Lust an der Wissenschaft entdeckt? Tockner: Das kann ich so nicht sagen. Vielleicht bin ich einfach manchem entkommen, das mir die Neugierde und das Spielerische ausgetrieben hätte, wie es in der Erziehung und Schule leider üblicherweise passiert. Denn von Geburt an sind wir alle Wissenschafter und Entdecker. Um diesen Entdeckergeist aber zuzulassen, braucht es Freiräume, denn Neugierde und Enthusiasmus kann man später kaum mehr erlernen. Wir sollten daher vermeiden, dass dieser Forschungsdrang den jungen Menschen genommen wird. FWF: Was hat Sie bewegt, eine Position als Topforscher aufzugeben und sich ganz dem Wissenschaftssystem zu widmen? Tockner: Das wurde ich oft gefragt, denn ich war in einer privilegierten Situation als Beamter und Leiter eines erfolgreichen Instituts in Berlin. Aber es reicht keinesfalls, satt und zufrieden zu sein. In der Wissenschaft gilt das Gegenteil: Wie kann man sich selber und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem positiven Sinne hungrig halten? Es bedeutet auch, sich neuen Herausforderung zu stellen und auch einer gewissen Unsicherheit auszusetzen. Eine „Vollkasko-Mentalität“, die doch weit verbreitet ist, wird uns nicht weiterbringen. Letztlich geht es um das Gestalten und insbesondere darum, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen.
Klement Tockner studierte Zoologie und Botanik an der Universität Wien. Am schweizerischen Wasserforschungsinstitut Eawag der ETH Zürich leitete er zehn Jahre lang eine Forschungsgruppe, bevor er nach Deutschland ging. Dort führte Tockner ab 2007 das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei IGB in Berlin und ist bis dato Professor für Aquatische Ökologie an der Freien Universität Berlin. Seit September 2016 ist er Präsident des Wissenschaftsfonds FWF.