Hannes Mikula ist START-Preisträger 2021. Der Chemiker entwickelt Werkzeuge, um die Krebstherapie zielgerichtet zu verbessern. © Luiza Puiu/FWF

Worum geht es in Ihrem Projekt?

Hannes Mikula: Die Wirkstoffe, die in der klassischen Chemotherapie verwendet werden, sind in den meisten Fällen mehr Gift als Medizin. Da diese nicht nur Krebszellen angreifen, gibt es gravierende Nebenwirkungen. Das Problem ist nicht, dass man die Tumorzellen nicht umbringen kann, sondern dass dabei auch gesunde Zellen zerstört werden.

Wie will man das lösen?

Mikula: Eine neuere Strategie wird schon klinisch angewandt: Man schickt die Wirkstoffe mit einem „molekularen Taxi“ zum Tumor. Möglichst fokussiert und zielgerichtet dient ein Molekül als Shuttle. Die Stoffklasse, die man zum Beispiel bereits verwendet, ist – auch bedingt durch die Pandemie – aktuell allseits bekannt: Antikörper.

Wohin fährt das Antikörper-Taxi?

Mikula: Leider landet es oft woanders, als es soll. Und es ist nicht hundertprozentig stabil, das heißt, der Wirkstoff wird an einer falschen Stelle abgespalten. Das große Problem ist, dass wir bis heute nicht kontrollieren können, wie sich Moleküle in einer zellulären Umgebung bewegen – etwas, das wir durch chemische Reaktionen ermöglichen wollen. Üblicherweise schreckt es Leute ab, wenn man sagt, dass man eine chemische Reaktion im Menschen durchführen will. Chemie wird immerhin oft mit Industrie, ungesundem Essen, giftigen Gasen und Explosionen verbunden. Um eine chemische Reaktion sicher und kontrolliert in Zellen durchführen zu können, ist es daher umso wichtiger, dass diese molekulare Technologie sehr ausgereift ist. Die Reaktion muss genau dort ablaufen und nur so ablaufen, wo und wie wir sie haben möchten.

Was sind die Schwierigkeiten dabei?

Mikula: Es reicht nicht, wenn der Antikörper zwar an die Krebszelle bindet, der Wirkstoff aber nicht direkt in der Zelle landet. Was passiert auf den letzten Metern? Wie können wir mit einer chemischen Reaktion verhindern, dass er nicht doch von einer gesunden Nachbarzelle aufgenommen wird? Wir wollen Moleküle gezielt in Krebszellen steuern und versuchen das mit dem neuen Konzept einer chemischen Kaskade.

„Wir entwickeln chemische Werkzeuge, die eine gezielte Spaltung von Molekülen in einer biologischen Umgebung ermöglichen.“ Hannes Mikula

Wie kann man sich das vorstellen?

Mikula: Angenommen, Sie sind Mitglied der START-/Wittgenstein-Jury und kommen zum Hearing nach Wien. Wenn Sie in Schwechat landen, sind Sie allerdings noch nicht beim FWF. Aber Sie können die S-Bahn, die Straßenbahn, einen Bus oder die U-Bahn nehmen, um ans Ziel zu kommen. Dieses Umsteigen auf den Nahverkehr ist, was wir auf molekularer Ebene entwickeln wollen, um eine exakte Navigation von Wirkstoffen zu ermöglichen.

Sie haben den klischeehaften, abschreckenden Blick auf Ihre Disziplin geschildert. Was hat Sie selbst zur Chemie gebracht?

Mikula: Meine Lehrerin in der Hauptschule hat die Begeisterung entfacht und meine Eltern haben mir ermöglicht, die Chemie-HTL in Wien zu besuchen. Fünf Jahre lang bin ich dann täglich fast zwei Stunden pro Richtung aus dem Burgenland nach Wien gependelt. Meine Klassenvorständin hat mir vor der Matura einen ersten Einblick in die TU Wien geboten; mit der Unterstützung von Professoren, mit denen ich auch heute zusammenarbeite. Es gibt also gleich einige Personen, die mich stufenweise dorthin gelenkt haben, wo ich heute sein darf: sozusagen auch ein Kaskaden-Targeting.

Welche (historische) Persönlichkeit würden Sie gerne treffen?
Mikula:

Ich konnte mich lange nicht entscheiden zwischen Chemie und Mathematik und habe mit beiden Studien begonnen. Ein Wissenschaftler hat es geschafft, Mathe, Chemie und Physik in einer Gleichung zu verbinden: Erwin Schrödinger.

Nach ihm ist jenes Stipendium benannt, das Sie ins Ausland geführt hat. Wohin?

Mikula: Zwei Jahre war ich in Boston am Center for Systems Biology, Massachusetts General Hospital der Harvard Medical School, wo ich richtig in die bioorthogonale Chemie hineingerutscht bin. Übersetzt heißt das in etwa, dass die Chemie im rechten Winkel zur Biologie steht. Normalerweise, wenn wir Chemikerinnen und Chemiker eine Reaktion durchführen, passiert das unter kontrollierten Bedingungen, zum Beispiel in einem Glaskolben. Wir steuern die Temperatur, verwenden bestimmte Lösungsmittel, regulieren den Sauerstoffgehalt und so weiter. In lebenden Zellen ist das selbstverständlich nicht möglich. Die chemische Reaktion muss hier so selektiv und kontrolliert ablaufen, dass ihr alles rundherum egal ist. Erste Ansätze in diese Richtung gibt es erst seit kurzer Zeit.

„Wenn ein Experiment nicht so abläuft, wie man es ursprünglich erdacht hatte, darin liegt oft die größte Erkenntnis.“ Hannes Mikula

Seit wann?

Mikula: Es hat etwa um die Jahrtausendwende begonnen. Und womit wir uns konkret beschäftigen, ist erst knapp zehn Jahre alt. Wir entwickeln chemische Werkzeuge, die eine gezielte Spaltung von Molekülen in einer biologischen Umgebung ermöglichen. Seit Kurzem wird das erstmals in einer klinischen Studie in den USA getestet – das allererste Mal, dass eine bioorthogonale Reaktion in einem Menschen durchgeführt wird.

Was haben Sie mit dem START-Preis vor?

Mikula: Entscheidend ist, dass man gut hinschaut bei allem, was man tut. Besonders, wenn ein Experiment nicht so abläuft, wie man es ursprünglich erdacht hatte. Darin liegt oft die größte Erkenntnis. Förderungen wie der START-Preis bieten eine kaum zu glaubende Flexibilität für eine lange Zeit. Man kann sich auf das konzentrieren, was man wirklich gerne umsetzen möchte, und die Forschung ein Stück weitertreiben. Das ist der Startschuss! Jetzt geht es erst so richtig los.


Hannes Mikula leitet an der Technischen Universität Wien die Gruppe „Molekulare Chemie & Chemische Biologie“ am Institut für Angewandte Synthesechemie. Sein Team konzentriert sich unter anderem auf die Entwicklung bioorthogonaler Werkzeuge. Die Schnittstelle zwischen Chemie und Biologie lernte Mikula während seiner Zeit als Postdoc am Massachusetts General Hospital der Harvard Medical School kennen; gefördert durch das Schrödinger-Stipendium des Wissenschaftsfonds FWF. 2016 kehrte er an die Technische Universität Wien zurück, wo er 2014 die Promotion sub auspiciis abgeschlossen hatte.


Zum Projekt

Die Chemotherapie im Kampf gegen Krebs ist unverändert kaum zielgerichtet. Man kann noch nicht kontrollieren, wie sich Moleküle in einer zellulären Umgebung bewegen. Im Projekt „Bioorthogonales Kaskaden-Targeting“ von Hannes Mikula sollen Strategien entwickelt werden, mit denen der Wirkstoff gezielt in Krebszellen gelenkt wird. Das molekulare Kaskaden-Targeting soll vermeiden, dass dieser auch in gesunden Zellen landet und diese zerstört.


Der START-Preis

Das START-Programm des Wissenschaftsfonds FWF richtet sich an junge Spitzenforschende, denen die Möglichkeit gegeben wird, auf längere Sicht und finanziell weitgehend abgesichert ihre Forschungen zu planen. Das Förderungsprogramm ist mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert und zählt neben dem Wittgenstein-Preis zur prestigeträchtigsten und höchstdotierten wissenschaftlichen Auszeichnung Österreichs.