Mit Daten zu mehr Vielfalt im Wald

Wir teilen unseren Kontinent mit Wäldern. Rund 43,5 Prozent der Fläche der Europäischen Union (EU) bedecken Wälder und bewaldete Flächen. In ihnen lebt eine Vielzahl von Pflanzen, Tieren, Mikroben und Pilzen. Große Teile davon sind allerdings bewirtschaftet. Nur rund 0,7 Prozent haben wir Menschen nicht unmittelbar beeinflusst.
„Der Wald, sei es in Österreich oder in ganz Europa, ist zum Großteil unter Bewirtschaftung“, erklärt Florian Kraxner. Der Umwelt- und Forstwissenschaftler leitet die Forschungsgruppe für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Ökosystemdienstleistungen am International Institute of Applied Systems Analysis (IIASA) und weiß, dass viele dieser Wirtschaftswälder in keinem guten ökologischen Zustand sind. Zudem leiden sie unter den Folgen der Klimakrise. Dürre, Trockenheit, Stürme oder die Ausbreitung der Borkenkäfer-Arten Buchdrucker und Kupferstecher, gegen die bestimmte Baumarten sich immer schlechter wehren können, setzen ihnen zu. Intakte Wälder hingegen sind Erholungsräume, liefern Lebensmittel und Holz, reinigen die Luft, speichern Wasser und kühlen die Umgebung. Viele schützen vor Steinschlag oder Lawinen. Geht es ihnen schlecht, leiden auch wir Menschen.
Wie wird der Wald gesünder?
Was können Waldbesitzer:innen und politisch Verantwortliche tun, damit in die Wälder mehr Biodiversität und Klimaresilienz einkehren? Seit April 2022 arbeiten Forschende aus Universitäten und Institutionen in Bulgarien, Deutschland, Finnland, Österreich, Schweden und Spanien miteinander an der Beantwortung dieser Frage. Im EU-Projekt BIOCONSENT, das der Wissenschaftsfonds FWF kofinanziert, versuchen sie, praxisorientierte Lösungen mithilfe von neuen Datenmodellen zu finden.
Der Wald krankt
Trotz globaler und EU-politischer Ziele geht die Biodiversität in den Wäldern zurück. Das Projekt BIOCONSENT untersucht, wie sich EU-Ziele auf nationale Gesetzgebungen auswirken. Die Analysen liefern wichtige Grundlagen für Entscheidungsträger:innen und zeigen die Hürden bei der Umsetzung der Forstpolitik auf.
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Die Ausgangslage ist komplex. Kein Baum, kein Wald gleicht dem anderen und auch Umweltparameter, Ansprüche und Bewirtschaftungsweisen unterscheiden sich von Ort zu Ort. Rund 16 Millionen europäische Waldbesitzer:innen und Förster:innen beeinflussen durch ihr tägliches Handeln, wie sich das Leben im Wald entwickelt. „Über Europa verteilt gibt es außerdem eine große Anzahl verschiedener Politikmaßnahmen, die das Management von Wäldern beeinflussen“, erklärt Florian Kraxner. Diese Komplexität erschwert es Politiker:innen, klare Ziele zur Steigerung der Biodiversität vorzugeben, und Waldbesitzer:innen, klare Maßnahmen zu treffen, um diese Ziele zu erreichen. Um Abhilfe zu schaffen, arbeiteten die Forschenden auf vielen Ebenen.
Hunger nach Daten
Florian Kraxner und seine Kolleg:innen modellierten sogenannte sozioökologische Waldsysteme. Sie verwendeten ein durch Machine Learning und KI unterstütztes Waldmodell, das verschiedene Waldtypen in ganz Europa abbildet. Im Forschungsprojekt wurden etwa Mischwälder im deutschen Mittelgebirge, Auwälder mit vielen Buchen und Eichen entlang des Rheins, Kiefernwälder in den katalanischen Bergen oder dem schwedischen Tiefland berücksichtigt. „Das Modell ist sehr datenhungrig“, sagt Florian Kraxner. Neben den Waldtypen fließen auch biophysikalische Daten ein. Das sind unter anderem solche über Hydrologie, Klima, Wettereinflüsse, Hangausrichtung, die Wuchsgeschwindigkeit bestimmter Baumarten, über den Zustand des Waldbodens oder die Zusammensetzung der Spezies. Auch Störungen, etwa Waldbrände oder Schädlingsbefall, bildet es ab. Diese hochkomplexen Modellierungen zeigen immer nur einen Teil des gesamten Bildes. Denn, so Florian Kraxner: „Sie lassen den Faktor Mensch außer Acht.“
Der Faktor Mensch
Dieser ist enorm wichtig. Denn wann und wie viele Bäume entnommen oder nachgepflanzt werden, ob Flächen außer Nutzung gestellt werden oder Totholz im Wald bleibt, beeinflusst die Vielfalt beträchtlich. Um das abzubilden, ließen die Projektpartner Waldbesitzer:innen und Förster:innen aus Bulgarien, Deutschland, Katalonien, Polen, Slowenien und Schweden Fragebögen ausfüllen. Darin gaben diese an, wie sie ihren Wald bewirtschaften – und ob und falls ja, mit welchen Veränderungen sie auf politische Vorgaben oder Ziele reagieren würden.
Aus den rund 1.500 Antworten destillierten die Forschenden vier „Agent:innen“, die symbolisch für eine gewisse Art von Waldbesitzer:innen stehen: Multifunktionalist:innen, Optimierer:innen, Traditionalist:innen und Umweltschützer:innen. Mit diesen trainierten die IIASA-Forschenden ihr Waldmodell. „Wir wollen herausfinden, wie eine Waldlandschaft aussehen könnte, wenn eine Agentengruppe die Managementvorschläge, die sie angegeben hat, umsetzen würde“, erklärt Florian Kraxner. Eine Management-Methode wäre etwa der „grüne Weg“. So bezeichnete man im Projekt gewisse Praktiken im Forstmanagement, etwa große Abschnitte nicht mehr forstwirtschaftlich zu nutzen, Laubbäume zu pflanzen und bestehende Bäume später zu ernten.
Vom Einfluss der Agent:innen
„Unsere Hypothese war: Je ähnlicher die Wälder sind, desto ähnlicher sind auch Bewirtschaftungsform und Management-Entscheidungen“, erklärt Florian Kraxner. Konnte sie verifiziert werden? Was beeinflusst, wie Förster:innen und Waldbesitzer:innen auf Vorgaben reagieren? Ein Zwischenbericht aus dem Jänner 2025 gibt einen vorläufigen Einblick. Die Forschenden fanden Unterschiede zwischen den Ländern. In katalanischen Wäldern beeinflussten beispielsweise auch die Infrastruktur der Waldwege, der Transport und die Verfügbarkeit von Arbeitskräften die Handlungen von Waldbesitzenden. In Deutschland spielten diese Faktoren eine geringere Rolle. Dennoch zeigt die Auswertung: Die Struktur und die Art des Waldes scheinen einen größeren Einfluss auf die Bewirtschaftung zu haben als die Frage, welche:r „Agent:in“ ihn bewirtschaftet.
„Die Unterschiede zwischen den einzelnen Waldeigentümer:innen in der Entscheidungsfindung scheinen nicht allzu groß. Ihre Reaktion auf Vorgaben ist ähnlich“, fasst Florian Kraxner die vorläufigen Ergebnisse zusammen. Warum ist noch nicht vollständig beantwortet. Aber, so stellt der IIASA-Forscher fest: „Waldbesitzende sowie Försterinnen und Förster können bestimmte Maßnahmen treffen, etwa mehr oder weniger Holz entnehmen oder gewisse Laubbaumarten pflanzen. Dennoch müssen sie mit der Natur arbeiten – egal, wo sie sind.“ Naturgesetze geben ihnen gewisse Regeln vor, etwa wie rasch eine Baumart unter gegebenen Umweltbedingungen wächst.
Politik für den Wald
Doch auch andere Faktoren – etwa Folgen der Klimakrise, der ökologische Zustand der jeweiligen Wälder sowie Traditionen und eigenes Wissen – bestimmen, wie Menschen handeln. Die vorläufigen Ergebnisse aus BIOCONSENT, das noch bis Jahresende läuft, deuten darauf hin, dass durch die Klimakrise verstärkte Naturkatastrophen Verhaltensänderungen anstoßen könnten. Diese häufen sich in ganz Europa. In Deutschland beispielsweise fielen in den vergangenen fünf Jahren mehr als 300 Millionen Festmeter Holz Stürmen, Dürren, Schädlingsbefall oder extremer Trockenheit zum Opfer. Und in Österreich? Die Analyse und die Befragung deuten darauf hin, dass auch heimische Forstwirt:innen von ökologischen Veränderungen durch die Klimakrise in ihren Handlungen beeinflusst werden. Ebenso können Werte und Motivationen eine Rolle spielen.
Wie geht es nun weiter im Projekt? Eine Arbeitsgruppe glich die Modellierungen mit nationalen Forstpolitiken in den Ländern ab. Aktuell arbeitet sie an deren Analysen, um daraus Entscheidungshilfen für Politiker:innen auf EU- und Landesebene abzuleiten. Damit lässt sich leichter abschätzen, welche Folgen politische Ziele und Vorgaben haben. „Mit dem Wissen, zusammen mit den Vorgaben der Politik, können wir dann sagen, wie man die jeweiligen Biodiversitätsziele erreichen könnte und wie der Weg dahin aussehen müsste“, sagt Florian Kraxner.
Im Dezember des Jahres 2025 wird BIOCONSENT abgeschlossen sein. Das daraus gewonnene Wissen kann, konsequent umgesetzt, die Vielfalt in Europas Wäldern steigern. Das wiederum nützt nicht nur dem Leben darin, sondern auch den Menschen auf dem europäischen Kontinent.
Zur Person
Florian Kraxner promovierte in Umweltwissenschaften an der Hokkaido University in Japan und schloss zuvor an der Universität für Bodenkultur Wien sein Masterstudium mit Fokus auf Forstwirtschaft sowie Wildbach- und Lawinenmanagement ab. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf nachhaltiger Landnutzung, Ökosystemdienstleistungen und Technologien zur Kohlenstoffentfernung. Derzeit leitet Kraxner die Forschungsgruppe für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Ökosystemdienstleistungen am IIASA und ist Gastprofessor an der Korea University. Das Projekt BIOCONSENT im Rahmen des europäischen Forschungsnetzwerks ERA-NET wird vom Wissenschaftsfonds FWF mit 250.000 Euro kofinanziert.
Publikationen
Maximo YI., Hassegawa M., Nabau Joana et al.: Report on Improved Forest models with enhanced representation of behavior and behavioral change of forest owners and conservation managers, Zenodo Feb. 2025
Kraxner F., Zollitsch W., Kottusch C. et al.: Kapitel 5. Mitigation des Klimawandels, in: APCC Special Report: Landnutzung und Klimawandel in Österreich, Springer 2024
Gustavsson L., Sathre R., Leskinen P., Nabuurs G.-J., Kraxner F.: Comment on ‘Climate mitigation forestry – temporal trade-offs’, in: Environmental Research Letters 17 (4), 2022