Grenzfall: Die Entwicklung von Mobilitätskontrollen osmanischer Migrantinnen und Migranten im Habsburgerreich werden mit Unterstützung des FWF untersucht. © Österreichisches Staatsarchiv

Der Schutz von Außengrenzen und die Kontrolle von Migrationsbewegungen beschäftigen nicht nur heutige Regierungen, sie bewegten auch die Behörden des Habsburgerreichs im 18. Jahrhundert. Der Historiker Josef Ehmer von der Universität Wien untersuchte mit seinem Mitarbeiter Jovan Pešalj in einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF die Entwicklung erster Maßnahmen des Habsburgerreichs zur Migrationskontrolle anhand der Grenze zum Osmanischen Reich und betont eine Vorreiterstellung: "Die Grenzsicherung und Mobilitätskontrolle von Migranten wurden von der regionalen Ebene auf die staatlichen Zentralen verlagert und systematisiert. Diese Schritte im Habsburgerreich nahmen nationalstaatliche Praktiken des 19. Jahrhunderts wie jene Frankreichs vorweg."

Eine erste moderne Grenze

Das Projekt betrachtet die Grenzentwicklung zwischen dem Habsburger und dem Osmanischen Reich. "Warum entstand diese erste moderne Grenze gerade in diesem wirtschaftlich peripheren Raum?", fragte sich das Forscherteam um Ehmer und fand die Erklärung in der Überlagerung militärischer, medizinischer und ökonomischer Faktoren. Der Belgrader Frieden zwischen Wien und Istanbul brachte 1739 mit der Klärung von Territorialansprüchen eine Modifikation der Militärgrenze sowie die Errichtung eines permanenten Seuchenkordons. Dies ermöglichte eine stabile Grenze zwischen dem Osmanischen und dem Habsburgerreich und Mobilitätskontrollen osmanischer Migrantinnen und Migranten.

Strenge Grenzkontrollen

Mit Hilfe der Aufzeichnungen von Quarantänestationen des Seuchenkordons analysierte das Forscherteam die Entwicklung einer systematischen Immigrations- und Einfuhrkontrolle. "Die Einrichtung eines permanenten Pestkordons schloss strikte Grenzkontrollen der befestigten Militärgrenze ein", erläutert Ehmer. "Neben ständig besetzten Wachtürmen, die untereinander Blickkontakt hielten, wurden Grenzübertrittsstellen mit Quarantänestationen errichtet. Über Ein- und Ausreisende wurden Protokolle geführt für die Sanitätskommission und die österreichische Hofregistratur." Eine mittelgroße Quarantänestation wie Mehadia im Banat (im heutigen Südwesten Rumäniens) nahm jährlich durchschnittlich 516 Personen auf und bestand aus 26 Gebäudeeinheiten inklusive Quarantäne-Wohnungen, Büros, Lager, Stallungen und einem Wirtshaus. Das Grenzübertrittssystem war streng: "Reisende wurden mindestens zwei bis drei Wochen, bei Pestgefährdung mehrere Wochen, festgehalten. Die Kleidung, mitgeführte Waren und Gegenstände wurden gewaschen und geräuchert, um giftige Ausdünstungen (Miasmen) zu beseitigen, in denen man Pesterreger vermutete. Mitgeführte Tiere wurden zur Reinigung durch naheliegende Flüsse getrieben", beschreibt der Historiker zeitgenössische Praktiken. "Neben sanitären gab es auch ökonomische Gründe für die Kontrolle der Einreisenden: Viele Osmanen waren Händler und brachten Rohstoffe wie Wolle und Leder sowie Lebensmittel ins Land, für die Zölle zu entrichten waren."

Reisedokumente zur Mobilitätskontrolle

Der Zugriff der habsburgischen Zentralbehörden auf Einreisende erleichterte, wie die Projektergebnisse verdeutlichen, die Überwachung ihrer Niederlassung und Mobilität innerhalb der Monarchie. Die Entwicklung von Reisedokumenten wie Pässen und Identifizierungsmethoden lassen erste moderne Formen der Mobilitätskontrolle erkennen, sie waren im 18. Jahrhundert aber noch sehr uneinheitlich. An den Grenzstellen zum Osmanischen Reich wurden neben dem Namen in der Regel Angaben zur Herkunft, zum Beruf und zur ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit erfasst. Es wurden von den Grenzbehörden Pässe ausgestellt, die fortan ständig mitzuführen waren.

Immigration & Bevölkerungspolitik

Die Bedeutung all dieser Kontrollen und Datenerfassungen für die habsburgische Bevölkerungspolitik untersuchte das Forschungsteam auch anhand von Einbürgerungsregulierungen. "Die damalige Bevölkerungspolitik war stark auf Wachstum ausgerichtet, Immigranten wurden also prinzipiell als Bereicherung verstanden, aber zugleich war das Verhältnis zu Zuwanderern ambivalent", erklärt Ehmer. "Bei osmanischen Immigranten, die sich auf Dauer niederlassen wollten, sollten Zweifel an ihrer Loyalität gegenüber dem Kaiser so weit wie möglich ausgeräumt werden." Das FWF-Projekt zeigt, wie im Habsburgerreich des 18. Jahrhunderts die Basis einer gesamtstaatlichen Migrationspolitik entstand. Die Erkenntnisse können zur Differenzierung gegenwärtiger politisch-gesellschaftlicher Diskurse zur Bevölkerungspolitik und Migrationskontrolle beitragen.


Zur Person Josef Ehmer ist emeritierter Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien und Associate Fellow am International Research Center "Work and Human Lifecycle in Global History" an der Humboldt Universität zu Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Sozialgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts im europäischen Vergleich, darunter insbesondere die Geschichte der Familie, der Arbeiter und Handwerker, der Migrationen, des Alters, sowie die Bevölkerungsgeschichte und Historische Demografie. Jovan Pešalj ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Wien und PhD-Student an der Universität Leiden mit Forschungsschwerpunkten in der Sozialgeschichte Mittel- und Südosteuropas in der Frühen Neuzeit und in der Geschichte des modernen Nationalismus.