Materialermüdung ade. Spannung statt Stress.
Die Entladung elektrischer Spannung birgt Potenzial für spannende Materialforschung. © Wikimedia Commons /Stefan.nettesheim

Hohe mechanische Spannungen verkürzen das Leben eines Bauteils. Das gilt zumindest für alle Arten von Materialien. Deren Lebensdauer hängt ganz entscheidend von ihrer mechanischen Beanspruchung ab. Dabei zehren vor allem Spannungen in Kombination mit Schwingungen an der Haltbarkeit. Seit einigen Jahren gibt es nun für spezielle Einsatzbereiche intelligente Materialien, die solchen Ursachen aktiv entgegenwirken können. Dazu greift man tief in die physikalische Trickkiste: Der sogenannte piezoelektrische Effekt, also der Aufbau einer elektrischen Spannung durch Verformung, kann genutzt werden, um diese Kräfte aktiv zu unterdrücken. Doch dabei unterliegen auch die piezoelektrischen Materialien Kräften, die ihre Haltbarkeit mindern – das zu ändern hat sich Jürgen Schöftner zur Aufgabe gemacht.

Von Schwingungen & Spannungen

Wesentlich für die Arbeit von Schöftner ist dabei eine Besonderheit von piezoelektrischen Materialien: "Piezoelektrische Materialien zeichnen sich durch eine spezielle Kombination physikalischer Eigenschaften aus. Die führt dazu, dass selbst dann mechanische Spannungserhöhungen im Material auftreten können, wenn eine – durch externe Kräfte bewirkte – Deformation des Materials bereits abgeklungen ist." Solche lokalen Spannungsüberhöhungen wirken sich negativ auf die Haltbarkeit des Materials aus, und es ist Schöftners Bestreben, diese zu mindern. Doch dabei betritt er wissenschaftliches Neuland, wie er erklärt: "Die Forschung der letzten Jahre in diesem als 'Structural Control' bezeichneten Bereich hat sich vor allem mit der Reduktion von Bauteilschwingungen und Deformationen beschäftigt. Die hat man auch gut in den Griff bekommen. Aber Erkenntnisse über die Vermeidung von Schwingungen helfen nicht weiter, wenn es um die Vermeidung von mechanischen Spannungen geht. Hier sind neue Methoden notwendig. Deren Grundlagen werden wir nun erarbeiten." Am Beginn seines Projekts steht für Schöftner dabei die Analyse der sogenannten konstitutiven Beziehung von Piezoelektrika. Diese erlaubt es, Formulierungen für eine mögliche Spannungsunterdrückung im dreidimensionalen Raum abzuleiten. Weiters wird er dann auch die grundlegenden Spannungsbewegungsgleichungen kalkulieren. Ziel dieser grundlegenden Berechnungen ist es, praktikable Konzepte zur Spannungsunterdrückung für sogenannte "schlanke Bauteile" zu finden.

Passiv gedämpft – aktiv Energie gewonnen

Doch Schöftner schaut in seinem Projekt noch weiter in die Zukunft: "Tatsächlich können piezoelektrische Materialien sogar zur Gewinnung von Energie genutzt werden. Die kinetische Energie bzw. die Bewegungsenergie eines Bauteils wird in elektrische Oszillationen umgewandelt und somit neutralisiert. Ist das piezoelektrische Material nun in ein elektrisches Netzwerk eingebunden, dann kann die durch mechanische Verformung erzeugte Spannung auch in ein geeignetes elektrisches Speichermedium überführt werden." Das langfristige Ziel ist es, ein elektrisches Netzwerk für eine bestimmte schwingende piezoelektrische Konstruktion zu entwerfen, das je nach Bedarf eine mechanische Spannung unter ein gewisses Niveau regelt oder die Schwingungsenergie durch Speicherung in elektrische Energie umwandelt. Dazu wäre eine intelligente Schaltung notwendig, die aus einer aktiven Schaltung für die Spannungsregelung und einer passiven für die Energiegewinnung besteht. Im Idealfall würde dann ab einer kritischen Spannung die mechanische Spannung geregelt – andernfalls würde Schwingungsenergie in nutzbare elektrische Energie umgewandelt. Doch bevor solche Systeme Realität werden gilt es, grundlegende Hausaufgaben zu machen. So befasst sich Schöftner in seinem Projekt auch mit der optimalen Verteilung der Elektroden, des Widerstandbelags und des elektrischen Netzwerks in einem solchen System. "Das Potenzial in solchen passiv gedämpften Materialien ist enorm – doch bevor dieses wirklich genutzt werden kann, müssen grundlegende Erkenntnisse zur Optimierung dieser Materialen gewonnen werden. Genau das machen wir in diesem Projekt des FWF", ergänzt Schöftner.


 Zur Person Jürgen Schöftner ist seit 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Technische Mechanik an der Johannes Kepler Universität Linz. Er gilt als Experte bei der Modellbildung und Regelung von mechatronischen Problemstellungen.