Forschende tüfteln an Magneten für Windkraftwerke und E-Autos, die umweltfreundlicher, billiger und leistungsfähiger sind. Auf dem Weg zur grünen Wende hilft ihnen künstliche Intelligenz. © Thomas Reaubourg on unsplash

Machine Learning ist für Harald Özelt „der Schlüssel zur Beschleunigung“. Nicht im Auto selbst, sondern für die Entwicklung verbesserter Dauermagnete, die künftig in E-Autos oder Windkraftwerken zum Einsatz kommen. Diese besonders starken Magnete in Motoren und Generatoren sind gleichsam die stillen Begleiter der Energiewende. Die Umwandlung von Bewegung in Strom (Generator) und umgekehrt (Motor) erfolgt durch die Wechselwirkung zwischen einem magnetischen Feld und einem stromdurchflossenen Leiter. Permanentmagnete stellen dieses Feld im Hinblick auf Energieausbeute, Platzbedarf und Wartung am effizientesten bereit. Sie sind auch heute schon im Einsatz und bestehen aus bewährten Kombinationen von Metallen und seltenen Erden wie Neodym, Terbium oder Dysprosium. Wieso braucht nun etwa der gängige Neodym-Eisen-Bor-Magnet ein Update?

Seltene Erden kommen oft nur zu einem geringen Anteil in Mineralien vor. Ihr Abbau ist daher meist unwirtschaftlich und wenig umweltfreundlich. Aktuell werden 98 Prozent der seltenen Erden, die Europa benötigt, aus China importiert. Die EU-Kommission schätzt zudem, dass der Bedarf bis 2030 um das Vierfache steigen wird. Weniger von etwas begrenzt Verfügbarem zu brauchen, bekommt so eine hohe Bedeutung. Deshalb forscht Harald Özelt an alternativen Designverfahren, die u. a. den Anteil der wertvollen Mineralien reduzieren bzw. ganz ersetzen. Unterstützt vom Wissenschaftsfonds FWF, konzentriert sich der Physiker auf starke Dauermagnete in ihrer kleinsten Einheit, das einzelne Magnetkorn. Auf Mikroebene bestehen magnetische Materialien aus kleinen zusammengepressten Körnern, die – ebenso wie die Korngrößenverteilung, die Form der Körner oder was dazwischen liegt – optimiert werden.

Zu viele Möglichkeiten für zu wenig Zeit

Um herauszufinden, welche Komposition von Elementen künftig umweltfreundlichere, billigere und leistungsfähige(re) Magnete ergibt, braucht es künstliche Intelligenz. Das ist eine der einfacheren Rechenaufgaben, wie Harald Özelt erklärt: „Magnetkörner nur aus den Elementen, die Forscher:innen bereits für geeignet erachtet haben, in sämtlichen möglichen Kombinationen zu erstellen, zu testen und zu messen, ist eine Aufgabe für Generationen.“

Deshalb schreibt Özelt vom Zentrum für Modellierung und Simulation der Universität für Weiterbildung Krems geeignete Machine-Learning-Software, mit der die Leistungsparameter der Magnetkörner, abhängig von Materialkomposition und räumlicher Anordnung, vorhergesagt werden sollen. Mit leistungsstarker Hardware und im Projekt entwickelten Algorithmen verfolgen Physiker:innen und Mathematiker:innen gemeinsam zwei Ziele: erstens den Magnetismus auf Mikroebene zu untersuchen und besser zu verstehen, und zweitens optimale Dauermagnete zu designen, aber auch den Designprozess selbst zu optimieren.

Mehr als ein Knopfdruck

Die Trainingsdaten für das Machine Learning gewinnen Özelt und sein Team aus bereits publizierten Messungen und eigenen Simulationen. Das Ziel ist, die weichmagnetischen und hartmagnetischen Phasen (Anm.: hier werden die seltenen Erden gebraucht) bei unterschiedlicher Komposition der Elemente und veränderlicher räumlicher Anordnung der beiden Phasen im Korn zu optimieren. Um zu messen, wie „gut“ ein Magnet auf der granularen Ebene ist, wird ein magnetisches Feld angelegt. Je stärker das Feld sein muss, um die Magnetisierung des Korns umzudrehen, desto besser.

Dieser Prozess wird mit physikalischen Formeln in Simulationen beschrieben und so validiert. „Eine herkömmliche Simulation braucht jeweils einen Tag Rechenzeit. Wenn wir diesen Prozess mit einer trainierten künstlichen Intelligenz vorhersagen können, dauert es jedes Mal nur wenige Sekunden. Vielversprechende Vorhersagen werden dann mittels physikalischer Simulation validiert und deren Ergebnisse wieder eingespeist.“ Wenn das Modell einmal trainiert ist, muss jedenfalls geprüft werden, wie genau es arbeitet und wie vertrauenswürdig die Vorhersagen sind. Dazu werden geprüfte Testdaten verwendet, die das Modell nicht kennt.

Trainingsplan für neuronale Netze

Ein sogenanntes neuronales Netz, also ein Algorithmus, der die Vorgänge im menschlichen Gehirn – nur schneller – abzubilden versucht, wurde im Rahmen des Projekts als erster Input bereits mit 4000 klassischen Simulationen trainiert. Als Nächstes wird es in ein Optimierungsframework eingebaut, um neue, bessere Designs für Magnetkörner vorzuschlagen, die wiederum durch klassische Simulation validiert werden sollen. In einer Kooperation mit der Research-Plattform „Mathematics – Magnetism – Materials (MMM)“ an der Universität Wien werden zudem die Trainingsmethoden für das neuronale Netz, also die KI, laufend verbessert.

Nächste Stufe Magnetdesign

Harald Özelt arbeitet seit März 2023 gemeinsam mit dem Doktoranden Heisam Moustafa an einem zweiten, vom FWF geförderten Projekt zum Magnetdesign. Darin kooperiert er mit dem Oberflächen- und Nanostrukturen-Forschungsinstitut NÉEL in Grenoble, wo experimentelle chemische Kompositionen magnetischer Strukturen hergestellt und vermessen werden können, die als Trainingsdaten dienen. In dem internationalen Projekt kommt ein Modell eines neuronalen Netzwerks für Magnetismus zum Einsatz, das die Vorteile von Graphen ausnutzt. Ein Graph beschreibt in diesem Zusammenhang nicht nur die Eigenschaften einzelner Magnetkörner, sondern auch deren Interaktionen und Beeinflussungen untereinander in einem Verbund. Auf diese Weise erhält das KI-Modell mehr Informationen über die Magnetstruktur und kann auch mit weniger Trainingsdaten gute Vorhersagen liefern.

Es stehen auch Methoden zur Verfügung, „die uns ermöglichen zu bestimmen, warum das Modell eine Vorhersage gemacht hat und welcher Inputparameter für gutes Design wichtig war“, erläutert Harald Özelt. Über den „Umweg“ der KI können die Forschenden also neue Erkenntnisse über magnetische Phänomene und Eigenschaften gewinnen: „Machine Learning nimmt uns dabei den Schritt ab, in überfordernd vielen Datensätzen und Kombinationen Zusammenhänge für gutes Magnetdesign zu sehen.“

Zur Person

Harald Özelt ist seit 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Modellierung und Simulation des Departments für Integrierte Sensorsysteme der Universität für Weiterbildung Krems. Seit 2010 arbeitet er zu Magnetismus mit den Schwerpunkten effizienter Einsatz von seltenen Erden in Dauermagneten, Machine Learning und Simulation von Mikromagnetismus. Özelt promovierte im Fach Festkörperphysik an der TU Wien (2019) und studierte an der FH St. Pölten „Industrial Simulation“ (2012). Für einen Forschungsaufenthalt war er 2010 an der University of California (Davis/USA). Die beiden Projekte Datengesteuertes Magnetdesign und Entwurf von Nanokomposite-Magneten durch maschinelles Lernen werden vom Wissenschaftsfonds FWF mit rund 845.000 Euro gefördert. 

Publikation

Schaffer S., Schrefl T., Oezelt H. et al.: Physics-informed machine learning and stray field computation with application to micromagnetic energy minimization, in: Journal of Magnetism and Magnetic Materials, Vol. 576, June 2023