Das Projektteam mit „Otto“ in Jakarta, wo die Auswirkungen der Klimakrise besonders spürbar sind. Eine dort ansässige NGO hat das stationäre Messgerät eingesetzt, um Umweltdaten von vier Stadtteilen zu sammeln und damit ihre Forderungen an die Politik zu untermauern. © Vibrant Fields

Die Klimakrise ist notwendigerweise in der täglichen Berichterstattung angelangt. Laufend hören und lesen wir viele Zahlen dazu, verbunden mit Schlagwörtern wie CO2-Reduktion oder Strahlungshaushalt der Erde aufgrund des Treibhauseffekts. Genau hier setze das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Projekt „Vibrant Fields“ an, erklärt Bernhard Sommer, Forschungsleiter der Abteilung Energie Design an der Universität für angewandte Kunst Wien: „Feuchtigkeit oder Erdstrahlung sind für uns Menschen schwer verständliche Größen und es stellt sich die Frage: Wie kann ich aus etwas lernen, wenn ich es gar nicht sehe? Daher möchten wir als Kunstuniversität mit Überschneidungen zur Architektur den Menschen ermöglichen, besser zu verstehen, was in der Klimakrise passiert.“

Otto und Anna erweitern unsere Wahrnehmung

Da der Projektstart mit dem Beginn der pandemiebedingten Lockdowns zusammenfiel, konnten die ursprünglich geplanten Reisen nicht stattfinden. So konzentrierte sich das Forschungsteam vorerst auf die Entwicklung der Messmethoden und -geräte. Zeynep Aksöz promovierte an der Angewandten und forscht sowohl dort als auch an der TU Wien, sie beschreibt das Vorgehen so: „Die Messgeräte sehen wir als Erweiterung der menschlichen Wahrnehmung, deswegen haben wir ihnen menschliche Namen gegeben, sie heißen Otto und Anna. Was wir ungefiltert zum Beispiel über die Haut wahrnehmen, sollen die Geräte gefiltert als Datenstrom messen und aufnehmen. Ich zum Beispiel kann heiß und feucht spüren, während Otto oder Anna dazu genaue Daten liefern.“ Otto ist als stationäres Messgerät konzipiert mit zahlreichen Sensoren, die u. a. Werte wie Feinstaub, Luftdruck, Temperatur, Windstärke oder den Sauerstoffgehalt in der Umgebung messen. Anna hat weniger Sensoren für die Umweltmessung; sie wurde viel kleiner gestaltet, damit sie überallhin leicht mitgenommen werden kann. Beide Geräte schicken die Messdaten via WiFi zu einem Server; dort werden sie weiterverarbeitet und ermöglichen wissenschaftliche Auswertungen. Otto und Anna wurden von den Projektbeteiligten Mark Balzar, der sich schwerpunktmäßig mit Energiedesign beschäftigt, und von Galo Moncayo Asan, der zusätzlich zu Architektur auch Bildende Kunst studierte, entwickelt.

Interaktives Landschaftsgemälde

Die Präsentation der Daten erfolgte als interaktive Erfahrung, u. a. für die Besuchenden der Vienna Design Week 2021, der Bratislava Design Week oder der Kunstkonferenz in Phoenix/Arizona. Jede Ausstellung war unterschiedlich angelegt. Die Bilder der Messdaten in Echtzeit ähneln einem beweglichen Landschaftsgemälde, doch ist es kein Video, sondern eine Interaktion mit den Teilnehmenden, erklärt Mark Balzar: „In Wien haben wir eine heiße Zone geschaffen, wo eine Wachsskulptur sich durch Hitzeeinwirkung verändert hat. Außerdem gab es eine feuchte Zone mit Bepflanzung. Wenn sich die Besucher:innen in den Ausstellungsräumen bewegt haben, wurden sie ein Teil des energetischen Fußabdrucks im Raum und sie haben die Gemälde verändert. Anstatt ihnen zu sagen, die Luftfeuchtigkeit ist 80 Prozent, haben sie das selbst erfahren.“ Kinder konnten sich etwa bei der Vienna Design Week auch spielerisch mit einer Wärmebildkamera auseinandersetzen.

Ein weiterer Teil des Projekts bestand darin, Geschichte aufzuzeichnen, ergänzt Galo Moncayo Asan: „Früher hat man Momente mit Malerei, dann mit Fotos und Filmen festgehalten. Wir machen das mit Otto auch, jedoch zeichnen wir eine holistische Aufnahme, wo zusätzliche Werte wie Temperatur, Geometrie oder Luftpartikel erfasst sind. Wenn Orte aufgrund der Klimakrise verschwinden, können wir von ihnen zumindest eine umfassende Vorstellung als Chronik bewahren.“

Städteplanung und Sozialpolitik

Schwerpunktmäßig hat das Projektteam an Orten gemessen, an denen die Auswirkungen der Klimakrise besonders stark spürbar sind, nämlich in Phoenix/Arizona zur heißesten Zeit, in Jakarta zur Regenzeit und im eiskalten Alaska. Man wollte dort auch von deren Architektur und Erfahrungen lernen. In Phoenix hat die autozentrierte städtebauliche Entwicklung seit den 1950er-Jahren die klimatischen Bedingungen verschlechtert. Das führt dazu, dass heute die Trennung der sozialen Schichten eindeutig erkennbar ist: Wohnviertel mit saftig grün leuchtenden Palmen und Gartenanlagen gehören den Reichen, die sich Wasser leisten können. In den ärmeren Vierteln empfiehlt die Stadtverwaltung, auf Vegetation zu verzichten, die Landschaft ist mit grauem Stein und Kakteen gestaltet.

In Jakarta erkannte das Team den politischen Wert von Umweltdaten, berichtet Zeynep Aksöz: „Bürger:innen einer NGO haben sich Otto ausgeliehen, um in vier Stadtteilen Messungen zu machen. Diese Messdaten sollen bei den kommenden Wahlen genutzt werden, um Forderungen für Maßnahmen an die Politik zu stellen. Unsere Grundlagenforschung hat damit eine direkte Anwendungsmöglichkeit gefunden, als Mittel, ein Bewusstsein für die Qualität der unmittelbaren Lebensumgebung zu bekommen und dieses Wissen aktiv zu nutzen.“ Das künstlerisch-wissenschaftliche Projekt wurde soeben abgeschlossen, zusammenfassend erklärt Bernhard Sommer: „Mit Vibrant Fields bringen wir die Landschaftsmalerei in das 21. Jahrhundert. Dabei wird ein Moment an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit interaktiv und mit vielfältigen Informationen speicherbar. Mit der Verbindung von Kunst und Architektur wollen wir ermöglichen, wissenschaftliche Fakten im Städtebau anders zu kommunizieren und politisch zu vermitteln.“


Das Forschungsteam

Bernhard Sommer hat sich im Architekturstudium an der Technischen Universität Wien auf energieeffizientes Bauen spezialisiert. 2008 gründete er die Abteilung Energie Design unter der Leitung von Gastprofessor Brian Cody am Institut für Architektur der Universität für angewandte Kunst Wien, wo er seither forscht und unterrichtet. Sein Büro Exikon wurde 2019 mit dem Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit ausgezeichnet.

Das Projekt „Vibrant Fields“ hat ein Team unter der Leitung von Sommer durchgeführt, bestehend aus den beiden Senior Researchern Zeynep Aksöz und Mark Balzar sowie Senior Artist Galo Moncayo Asan – alle sind ausgebildete Architekt:innen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Gefördert wurde das Projekt vom Wissenschaftsfonds FWF mit rund 380.000 Euro im Rahmen des künstlerisch-wissenschaftlichen Förderprogramms PEEK.

Projektwebsite: https://www.vibrantfields.net/


Publikationen & Beiträge

Balzar M., Aksöz Z., Moncayo Asan G.: OTTO: A portable Urban Sensing Station to Survey Energetic Footprint of Urban Microclimates, 5th Conference on Computational Design and Robotic Fabrication (CDRF 2023) (in Druck)

Sommer B., Pont U., Sommer-Nawara M., Moncayo G. : Energy Design: Gestaltung und Innovation in Bestandsgebäuden, in: Nabil. A. Fouad (Hg.), Bauphysik-Kalender 2023: Schwerpunkt: Nachhaltigkeit, 529–554, Ernst & Sohn 2023

Sommer B., Pont U., Moncayo G., Bauer P., Braun J. et al.:  Recent progress of SPIDER: Aspects of subtractive approaches to existing building's performance improvement, in: Journal of Physics: Conference Series, Vol. 2069, 8th International Building Physics Conference (IBPC 2021) 25–27. August 2021, Kopenhagen, Dänemark