Forscherteams aus Österreich und Japan entwickelten gemeinsam ein hauchdĂŒnnes, kaum spĂŒrbares Sensorpflaster mit viel Potenzial fĂŒr Medizin und Technik. © Joanneum Research

„Besonders beeindruckt hat uns der Stellenwert der Arbeit, denn fĂŒr unsere japanischen Kolleginnen und Kollegen ist die Arbeit kein notwendiges Übel, sondern ErfĂŒllung und wichtiger Lebensmittelpunkt. Eine bemerkenswerte Einstellung!“, berichtet Andreas Petritz. „Manche Kollegen im Team hĂ€tten schon lĂ€ngst in Pension sein können, aber sie arbeiten trotzdem weiter, weil es ihnen Spaß macht“, sagt der Wissenschaftler. Was als kleine Idee begann, wurde zu einer Lebenserfahrung, die er nicht mehr missen möchte. Von MĂ€rz 2018 bis MĂ€rz 2020 forschte er gemeinsam mit seiner Frau Esther Karner-Petritz in Japan.

Im Rahmen des Erwin-Schrödinger-Stipendiums des Wissenschaftsfonds FWF entwickelte er dort im Sekitani Lab der UniversitĂ€t Osaka „OFES e-Skin“. Das ist eine Art elektronische Haut, bestehend aus Folien und bestĂŒckt mit Sensorik und Elektronik. Die verwendeten Sensorfolien sind ultradĂŒnn, dreimal dĂŒnner als Frischhaltefolie, sowie biokompatibel, sprich hautvertrĂ€glich, und reagieren sehr sensibel selbst auf kleinste DruckĂ€nderungen. Aufgebracht am Hals ist es daher möglich, diverse Vitalparameter zu erfassen wie Herzfrequenz, Blutdruck, Pulswelle sowie die Steifigkeit der BlutgefĂ€ĂŸe. 

Energy Harvesting

Neben dem Einsatz als Sensor kann man die Folie fĂŒr eine weitere bemerkenswerte Funktion verwenden: zur Energiegewinnung, engl. „energy harvesting“. Bringt man beispielsweise die Sensorfolie bestĂŒckt noch mit spezieller Elektronik auf den Ellbogen auf, wird bei jeder Bewegung der Sensor angeregt und die so entstandene biomechanische Bewegungsenergie kann entweder gespeichert oder gleich umgesetzt werden. „Ziel ist ein komplett energieautarkes medizinisches Pflaster, das sich leicht an beliebige Objekte anschmiegt und vielseitig einsetzbar ist. Vielleicht wird irgendwann selbst die Wundheilung mittels Sensoren unterstĂŒtzt“, schwĂ€rmt der Forscher. Die Entwicklung einer „elektronischen Haut“ wurde in den vergangenen Jahren stark vorangetrieben, jedoch ist bis zur Marktreife noch viel zu tun. Die möglichen Anwendungsbereiche reichen von Robotik ĂŒber kĂŒnstliche Prothesen und biomedizinische Instrumente bis hin zu „Wearables“ – zum Beispiel als Fitnesstracker.

Hatsuhinode - der erste Sonnenaufgang des Jahres

Die gemeinsame Zeit in der japanischen Hafenstadt beschreibt Andreas Petritz als spannend und lehrreich. „Beibehalten haben wir uns den typisch japanischen Brauch namens ‚Hatsuhinode‘: Am 1. JĂ€nner geht man zur MorgendĂ€mmerung auf einen Aussichtspunkt, um den ersten Sonnenaufgang des Jahres zu betrachten. Das ist ein ganz besonderes Erlebnis“, schildert der Physiker. An der UniversitĂ€t hat er etliche Stunden in Spezialkleidung im staubreduzierten Reinraum verbracht. Die Konzentration luftgetragener Teilchen soll geringgehalten werden. Jedes Staubpartikel wĂŒrde stören, wenn er dĂŒnne Polymer- oder Metallschichten aufbringt, die man fĂŒr Sensoren und Elektronik benötigt. „Man muss schauen, dass man sauber arbeitet. Jeder Fehler, jede Unkonzentriertheit verfĂ€lscht das Ergebnis“, erklĂ€rt er. Dann folgt die Charakterisierung mit unterschiedlichen MessgerĂ€ten, jedoch der schönste Schritt sei dann der finale Test eines funktionierenden Bauteils.

Das Forscherpaar Esther Karner-Petritz und Andreas Petritz in Spezialkleidung im staubreduzierten Reinraum. © Joanneum Research

Smarte Windturbinen

Heute sitzt Andreas Petritz im steirischen Weiz am Schreibtisch. Er ist Senior Postdoc am Institut fĂŒr OberflĂ€chentechnologie und Photonik, das zur Forschungseinrichtung Joanneum Research gehört. „Je lĂ€nger man Mitarbeiter ist, desto mehr hat man im BĂŒro zu tun“, sagt der Experimentalphysiker. Im europĂ€ischen H2020-Projekt SYMPHONY (Smart Hybrid Multimodal Printed Harvesting of Energy), setzt er sein Wissen aktuell an der Entwicklung eines energieautonomen Sensorsystems ein. Das System soll den Zustand einer Maschine regelmĂ€ĂŸig ĂŒberprĂŒfen, etwa angebracht an RotorblĂ€ttern einer Windturbine. Dadurch kann man die Schwingungen messen, aber auch frĂŒhzeitig erkennen, ob etwas vereist ist oder sich Risse gebildet haben. Das spart Wartungs- und Reparaturkosten und sorgt fĂŒr eine lĂ€ngere Lebensdauer der Turbinen, aber kann auch den Energieverbrauch senken, wenn es um die Beheizung und KĂŒhlung von RĂ€umen mittels intelligenter Fußböden zur PrĂ€senz- und Bewegungsverfolgung geht oder um eine Remote-Schlauchdruckkontrolle bei E-Bikes. DarĂŒber hinaus kann die Technologie in dehnbare und flexible Bauteile integriert werden.

Japan hat Andreas Petritz nicht ganz losgelassen. Er hat sehr gute Kontakte geknĂŒpft und möchte die Zusammenarbeit weiter ausbauen. Noch wĂ€hrend an einer zweiten Publikation geschrieben wird, plant er ein neues Projekt in Kooperation mit dem Sekitani Lab. Den Förderantrag wird Petritz im Rahmen des bilateralen Programms des FWF und der Japan Society for the Promotion of Science (JSPS) einreichen.


Zur Person

Andreas Petritz studierte Experimentalphysik an der Karl-Franzens-UniversitĂ€t Graz und ist seit 2011 als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Joanneum Research ­– Materials am Standort Weiz tĂ€tig. Im Rahmen eines Erwin-Schrödinger-Stipendiums des Wissenschaftsfonds FWF arbeitete er an der Entwicklung einer elektronischen Haut. Das Projekt „OFES e-Skin“ (2018–2020) fand in der Forschungsgruppe von Tsuyoshi Sekitani an der japanischen UniversitĂ€t Osaka statt. 


Publikation

Andreas Petritz, Esther Karner-Petritz, Takafumi Uemura et al.: Imperceptible energy harvesting device and biomedical sensor based on ultraflexible ferroelectric transducers and organic diodes, in: Nature Communications 2021