Klima-Archiv im Eis
âElise-Richter war eine Wende in meinem wissenschaftlichen Lebenâ, sagt Elisabeth Schlosser ĂŒber die FWF-Förderung, die sie 2006 erhalten hat. Damals war sie knapp davor, die Wissenschaft zu verlassen. Wie es dazu kam?
Zwei-Klassen-Wissenschaft
Seit 1992 - mit kurzen Unterbrechungen - arbeitet die Meteorologin an der UniversitĂ€t Innsbruck ausschlieĂlich an befristeten, durch Drittmittel finanzierten Projekten - ein Umstand, mit dem sie frĂŒher nicht gerechnet hatte: âIch dachte, irgendwann bekomme ich eine Assistentenstelle an der Uni. Aber meine Drittmittelexistenz wird offenbar zu einer Dauersituation bis zur Pensionâ, stellte sie fest. Dass zu dem Umstand, immer wieder AntrĂ€ge schreiben zu mĂŒssen, um Mittel einzuwerben, noch Stolpersteine wie die Kettenvertragsregelung kommen, empfindet die Wissenschafterin als krĂ€fteraubend und zermĂŒrbend â ortet sie gar in Ăsterreich ein Zwei-Klassen-System in den Wissenschaften: âAls Drittmittel-Wissenschaftler sind Sie ein Mensch zweiter Klasseâ, sagt sie.
âDer FWF ist der Einzige, der die Drittmittelleute unterstĂŒtzt und sie wertschĂ€tzt.â
Als Elisabeth Schlosser knapp davor ist, diesen zermĂŒrbenden Kampf aufzugeben, erhĂ€lt sie vom FWF eine Förderung durch das Frauen-Karriereprogramm âElise-Richterâ. âDer FWF ist der Einzige, der die Drittmittelleute unterstĂŒtzt, ihnen Mut macht und sie wertschĂ€tztâ, freut sie sich.
Gern gesehene Gastwissenschafterin
Die Mittel der Förderung durch das Elise-Richter-Programm ermöglichen ihr damals den ersten Forschungsaufenthalt im US-amerikanischen Boulder. Hier findet die Wissenschafterin jene Rahmenbedingungen und die UnterstĂŒtzung, die sie sich wĂŒnscht. âDas war der Himmel auf Erden! Ich war kein Drittmittelmensch, sondern einfach eine gern gesehene Gastwissenschaftlerinâ, erinnert sie sich euphorisch. âDort arbeiten viele mit Drittmitteln, aber man sieht es ihnen nicht an, denn sie werden genauso unterstĂŒtzt und haben die gleichen BĂŒros wie die Festangestelltenâ, fĂŒhrt die Meteorologin aus.
Das Neue und Innovative betonen
Da sie sich als Selbstantragstellerin den Lebensunterhalt verdienen muss, investiert sie viel Zeit und Energie in einen Antrag. Aus ihrer jahrelangen Erfahrung, wĂŒrde sie jungen Antragstellerinnen und Antragstellern raten, das Neue und Innovative des Projektes deutlich herauszuarbeiten, denn sie meint, man könne nicht erwarten, dass wirklich alle Gutachterinnen und Gutachter Experten auf dem Gebiet sind und so viel Zeit aufwenden, wie man sich das wĂŒnschen wĂŒrde. Wenn Schlosser auf ihre 20-jĂ€hrige âAntragskarriereâ beim Wissenschaftsfonds FWF zurĂŒckblickt, stellt sie fest, dass es heute wesentlich mehr Informationen gibt, und nennt dabei lobend die Coaching-Workshops des FWF.
âUm Aussagen ĂŒber zukĂŒnftige KlimaverĂ€nderungen machen zu können, mĂŒssen wird das gegenwĂ€rtige Klimasystem verstehen.â
KlimaverÀnderungen vor 100.000en von Jahren
Seit Mitte 2016 lĂ€uft ihr aktuelles vom FWF gefördertes Forschungsprojekt âAtmosphĂ€rische EinflĂŒsse auf stabile Isotope in Antarktikaâ. Dabei geht es um die Erforschung vergangener KlimaverĂ€nderungen. âUm Aussagen ĂŒber zukĂŒnftige KlimaĂ€nderungen machen zu können, mĂŒssen wir das gegenwĂ€rtige Klimasystem verstehenâ, sagt Schlosser. Dabei liefern KlimaverĂ€nderungen der Vergangenheit wertvolle Hinweise. Aber wie kommt man zu diesen Informationen? Meteorologische Messungen gibt es erst seit ungefĂ€hr 200 Jahren. Trotzdem geht es, wenn man von vergangenen KlimaverĂ€nderungen spricht, um Eiszeiten vor 100.000en von Jahren.
800.000 Jahre altes Eis
Eine wichtige Informationsquelle sind Eisbohrkerne aus der Antarktis und Grönland. In diesen kilometerlangen Eiskernen ist das Klima der Vergangenheit gespeichert. Ein Bohrkern hat einen Durchmesser von ca. 10 cm, ist bis zu 3 Kilometer lang und besteht aus Eis, das bis zu 800.000 Jahre alt ist. Da Bohrungen nur in der Sommersaison möglich sind â bei Temperaturen von etwa minus 45 bis minus 25 Grad â, dauert es mehrere Jahre, solche langen Kerne zu gewinnen.
Klimaarchiv
Luftblasen im Eis geben Auskunft ĂŒber die Zusammensetzung der AtmosphĂ€re zum Zeitpunkt, als das Eis gebildet wurde, so zum Beispiel ĂŒber den Gehalt von Kohlendioxid, Methan und anderen Treibhausgasen. Weitere Erkenntnisse bieten Messungen von physikalischen und chemischen GröĂen wie zum Beispiel Staubgehalt, Salzgehalt oder elektrische LeitfĂ€higkeit. âDiese Informationen liefern uns nur die Eisbohrkerneâ, sagt Elisabeth Schlosser.
Isotope geben Auskunft ĂŒber frĂŒhere Temperaturen
Um frĂŒhere TemperaturverhĂ€ltnisse zu rekonstruieren, werden sogenannte stabile Isotope des Wassers gemessen. Unter Isotopen versteht man verschiedene Arten desselben Stoffes. Es gibt beispielsweise drei Sorten von Sauerstoff, auĂer dem ânormalenâ Sauerstoff O16 gibt es noch zwei weitere Varianten, O17 und O18. Sie sind schwerer und weisen andere physikalische Eigenschaften auf. Das VerhĂ€ltnis dieser verschiedenen Sauerstoffarten ist temperaturabhĂ€ngig. âBis vor kurzem wurden nur O16 und O18 gemessen. Mit neuen, handlichen GerĂ€ten kann man nun auch O17 messen, das nur in sehr kleinen Mengen vorkommtâ, berichtet Schlosser. Nachdem Wasser und damit Schnee H2O ist, werden sowohl die Sauerstoff- als auch die Wasserstoffisotope an Wasserdampf, Wasser oder geschmolzenem Eis gemessen. Mit den neuen GerĂ€ten kann man nicht nur Eis- und Schneeproben untersuchen, sondern auch kontinuierlich das IsotopenverhĂ€ltnis von Wasserdampf messen, aus dem der Schnee und damit auch das Eis gebildet werden. Die Beziehung zwischen IsotopenverhĂ€ltnis und Lufttemperatur ist allerdings komplex und nicht ganz einfach aus dem Bohrkern zu bestimmen. âDas IsotopenverhĂ€ltnis hĂ€ngt nicht nur von der Lufttemperatur ab, sondern auch von den VerhĂ€ltnissen, unter denen der Schnee â der spĂ€ter zu Eis wurde â gefallen ist. Deshalb untersuchen wir zum Vergleich aktuellen Schnee und die meteorologischen Bedingungen wĂ€hrend des Niederschlags. Wir untersuchen die Strömungsbedingungen in der AtmosphĂ€re, von wo der Wasserdampf kam und auf welchen Transportwegen er in die Antarktis gelangt istâ, erlĂ€utert Elisabeth Schlosser.
Feldforschung in der Antarktis
Kommenden Winter bricht die Meteorologin zur nĂ€chsten Expedition in die Antarktis auf und wird an der deutschen Forschungsstation Neumayer stabile Isotope von Wasserdampf messen. Zwei bis drei Monate wird sie dort verbringen und â wenn das Wetter es zulĂ€sst â tĂ€glich Schneeproben nehmen. Die Forschungsstation Neumayer liegt an der antarktischen KĂŒste, wo es mit einer jĂ€hrlichen Durchschnittstemperatur von minus 16 Grad deutlich wĂ€rmer ist als im Landesinneren.
âIch liebe die Berge!â
Auf diese Feldforschung freut sich Elisabeth Schlosser ganz besonders, war doch fĂŒr die Naturliebhaberin die Aussicht auf Arbeiten im âFreiluftlaborâ eines der wichtigsten Argumente fĂŒr ihre Studienwahl. âWĂŒrde ich nur am Computer sitzen und Modelle rechnen, wĂŒrde ich die Freude an der Arbeit verlierenâ, sagt die Wissenschafterin. Im deutschen Ratingen â zwischen DĂŒsseldorf und Duisburg â aufgewachsen, beginnt sie zunĂ€chst mit dem Studium in Bonn. Der Massenbetrieb dort schreckt sie aber ab und nach ein paar Semestern wechselt sie nach Innsbruck, wo sie ihrem besonderen Interesse fĂŒr Glaziologie, der Erforschung von Eis und Schnee, nachgehen kann. Nach Innsbruck zieht sie aber nicht nur das Studium, sondern auch die Landschaft. âIch liebe die Berge! Wo ich ursprĂŒnglich herkomme, gibt es weder Berge noch Natur, dort geht die Schwerindustrie in die Chemische Industrie ĂŒberâ, stellt Schlosser lachend fest. Bereits im vierten Semester erhĂ€lt sie das Angebot, auf Expedition in die Antarktis zu gehen. Sie sammelt Daten fĂŒr ihre Diplomarbeit und muss danach einen Seminarvortrag ĂŒber Eisbohrkerne halten. âDass das zu meinem Beruf werden wĂŒrde, hĂ€tte ich damals nicht gedachtâ, erinnert sich Schlosser schmunzelnd.
âI mog die Deutschen nitâ
Nun ist sie bereits seit ĂŒber drei Jahrzehnten in Tirol und seit ĂŒber zwei Jahrzehnten österreichische StaatsbĂŒrgerin. Doch noch immer wird sie hin und wieder als âPiefkeâ tituliert. Was sie oft aus dem Mund Tiroler Zeitgenossinnen und Zeitgenossen hört: âDie Deutschen, die ich kennâ, sind eigentlich alle ganz nett. Aber I mog die Deutschen nit.â In den ersten Jahren hatte sie dabei viel Gelegenheit, ihren Humor und ihre Schlagfertigkeit unter Beweis zu stellen.
âDeutsch ist die Sprache, die uns trennt.â
âIn Ăsterreich darf man nie sagen, was man sich denktâ, stellt die heute 54-JĂ€hrige fest. âWenn man etwas Negatives sagt, eckt man an. Man darf aber auch nichts Positives sagen, denn das kann dem anderen schon wieder peinlich sein.â Irgendwann ist sie verstummt. Diese Zeit nennt sie rĂŒckblickend ihre âaustrogermanische Kompensationsphaseâ. Nach zwanzig Jahren des Verstummens hatte sie aber das GefĂŒhl, nicht mehr sie selber zu sein. âSeit dem sage ich wieder, was ich denke, nur freundlicherâ, lacht Schlosser.
Das Fahrrad und die Berge
Wobei: auch hier lauert die HeimtĂŒcke: âDeutsch ist die Sprache, die uns trennt!â liefert Schlosser eine Pointe und fĂŒhrt nĂ€her aus: âMan denkt, dass man die Leute versteht, aber die meinen etwas ganz anderes. Was fĂŒr den einen höflich ist, ist fĂŒr den anderen Anbiederung. âDennoch hat sie sich von Anfang an wohl gefĂŒhlt in Tirol mit âihrem Fahrradâ und âihren Bergenâ. Und nicht nur sie: Auch Eltern und Geschwister kommen gerne zu Besuch â zur einzigen Ăsterreicherin in der Familie.
Beste Ideen am Berg und am Rad
Auf Skitour oder am Rennrad kommen ihr manchmal die besten Ideen, meint Schlosser. Deshalb findet sie es auch so schade, das wegen des Publikationsdrucks beim Arbeiten die Zeit zum Denken fehlt: âEs gibt so viele EinzelkĂ€mpfer. Die einen sind mit Lehre eingedeckt, die anderen kĂ€mpfen um Geld und Publikationenâ, stellt sie fest. Sie zitiert NobelpreistrĂ€ger, die meinen, sie hĂ€tten den Preis nie bekommen, hĂ€tten sie solch einen Publikationsdruck gehabt.
âDie Angestellten an den Unis haben immer weniger Zeit zum Forschen. â
Batterien aufladen in Boulder
Schlosser wĂŒrde sich die Abschaffung der Kettenvertragsregelung an den UniversitĂ€ten wĂŒnschen und mehr Anerkennung fĂŒr drittmittelfinanzierte Wissenschafterinnen und Wissenschafter: âDie Festangestellten an den Unis haben immer weniger Zeit zum Forschen. Gerade dafĂŒr braucht man die Drittmittelleuteâ, stellt sie fest. Jedes Jahr forscht Elisabeth Schlosser drei Monate in Boulder, Colorado und mehrere Wochen im norwegischen TromsĂž. âDas lĂ€dt meine Batterien auf!â Ohne diese jĂ€hrlichen Forschungsaufenthalte hĂ€tte sie die Forschung möglicherweise bereits verlassen, stellt die Meteorologin trocken fest. Ăber Alternativen hat sie schon öfter nachgedacht. So fotografiert und schreibt Schlosser leidenschaftlich gerne: âIch wĂŒrde gerne fĂŒr eine Rennradzeitschrift oder ein Reisemagazin schreiben und die Fotos dazu auch selber machenâ, erzĂ€hlt sie von ihren Ideen. Doch das sind PlĂ€ne fĂŒr die Pension â denn vorerst bleibt sie, zum GlĂŒck, der Wissenschaft noch erhalten.
Elisabeth Schlosser ist Meteorologin am Institute of Atmospheric and Cryospheric Sciences (ACINN) der UniversitĂ€t Innsbruck, wo sie sich 2010 habilitierte, und ist seit 2016 am Austrian Polar Research Institute (APRI) angestellt. Sie erforscht anhand von kilometerdicken Eisbohrkernen Klima- und TemperaturverĂ€nderungen ĂŒber einen Zeitraum von mehreren 100.000en von Jahren. Ihre Forschungsarbeit fĂŒhrt sie dabei jĂ€hrlich fĂŒr einige Monate an das National Center for Atmospheric Research (NCAR) im US-amerikanischen Boulder und an das Norwegische Polarinstitut in TromsĂž.
Mehr Informationen
- FWF-Projekt "AtmosphĂ€rische EinflĂŒsse auf stabile Isotope in Antarktika"
- Karriereprogramm fĂŒr Wissenschafterinnen: Elise-Richter