Von Steinen lernen
Auch Steine und Steingeräte bergen wichtige Informationen über die Periode in der namensgebenden Altsteinzeit. „Ein Großteil der Werkzeuge, mit denen Menschen schnitten, schabten, hobelten oder schnitzten, wurde aus Stein hergestellt“, sagt Norbert Buchinger.
Steingeräte erzählen davon, wie Menschen im Epigravietten lebten. Sie zogen in gewissen Zeitabständen umher und bewohnten kurzzeitig Lagerplätze. Kammern-Grubgraben wurde zu dieser Zeit wohl als Hauptlagerplatz genutzt. Die Steinwerkzeuge, die dort verwendet wurden, konservierte der Lössboden für Jahrtausende. Ein Glücksfall für Archäolog:innen. Norbert Buchinger analysiert im Rahmen des Projektes und für seine Doktorarbeit nicht weniger als rund 20.000 Steingeräte, die bei Grabungen in den 1980ern und 1990ern in Kammern-Grubgraben gehoben wurden.
Ein Puzzle mit Lücken
Ein Blick in die Dokumentationen der Grabungen hilft ihm, herauszufinden, wo die Artefakte gefunden wurden. Mit der Radiokohlenstoffdatierung (C-14-Methode) eruieren die Forschenden, wie alt die Bodenschichten sind, in denen sich Steinwerkzeuge befanden. Das erlaubt Rückschlüsse auf deren Alter.
„Die Untersuchungen der Steingeräte liefern einzigartige Einblicke in das Leben von Jäger- und Sammlergemeinschaften. Wir erheben etwa, ob Steingeräte vor Ort bearbeitet wurden oder erst danach dorthin gebracht wurden“, erläutert der Archäologe. Diese Analysen helfen dem Forschungsteam auch, Wanderungsmuster zu verstehen.
Doch es bleiben noch viele Unklarheiten, wie Einwögerer erklärt: „Wir setzen etwas zusammen, von dem wir weder alle Teile noch eine Vorlage haben – wie eine Art Puzzle. Mit jeder Analyse, jeder Auswertung erhalten wir einen weiteren Puzzlestein dazu.“ Grobe Linien des Bildes zeichnen sich bereits ab. So konnten die Forschenden etwa zeigen, dass die Jäger-Sammler-Gemeinschaften in Kammern-Grubgraben vorrangig Rentiere jagten.
Einen wichtigen Hinweis lieferten auch die Analysen großflächiger Steinpflasterungen. Auf ihnen trockneten die Jäger und Sammler die Felle erlegter Tiere. So konnten diese auch bearbeitet werden, wenn im Sommer die obere Schicht des Permafrostbodens schmolz.
Der Steinzeit-Kühlschrank
Im Sommer 2019 fanden Archäolog:innen aus Thomas Einwögerers Gruppe ein weiteres großes Puzzlestück. „Wir konnten einen Meat-Cache – eine Art Eiszeitkühlschrank – aufdecken. Das ist eine Steinpflasterung auf dem Permafrostboden, die man mit Steinen umstellte. In diesem Haufen an Steinen lagerten Menschen etwa Fleisch von Rentieren ein“, erklärt der Archäologe. Der Meat-Cache schütze das Fleisch einige Wochen lang vor kleineren Raubtieren.
Wie es zu Brüchen in der materiellen Kultur im Epigraviette kam, ist noch nicht ausreichend erforscht. „Das Bild ist noch sehr unscharf“, sagt Norbert Buchinger. Eines ist allerdings sicher: Die Forschenden werden das Puzzle Stück für Stück weiter zusammensetzen.
Zu den Personen
Norbert Buchinger studierte Urgeschichte und Historische Archäologie an der Universität Wien sowie Ur- und Frühgeschichte an der Universität Köln. Er forscht als Archäologe der Forschungsgruppe Quartärchäologie am Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Buchinger beschäftigt sich mit technologischen und typologischen Analysen von Steinartefakten an europäischen und arabischen Fundplätzen.
Thomas Einwögerer studierte Ur- und Frühgeschichte an der Universität Wien. Seit 2000 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Einwögerer leitet dort seit 2017 die Forschungsgruppe Quartärarchäologie am Österreichischen Archäologischen Institut.
Publikationen
Reiss L., Mayr Ch., Pasda K., Einwögerer, T. et al.: Changing food webs before and during the Last Glacial Maximum basedon stable isotopes of animal bone collagen from Lower Austria, in: Journal of Quaternary Science 2023
Einwögerer, T.: The Discovery of a Possible ‘Meat Cache’. Recent Excavations at the Upper Palaeolithic Open-air Site in Kammern-Grubgraben 2015–2020, in: Archaeologia Austriaca 2021
Händel M., Simon U., Maier A. et al.: Kammern-Grubgraben revisited - First results from renewed investigations at a well-known LGM site in east Austria, in: Quaternary International 2021