Interaktive Schulräume
Schüler:innen testen einen von ihren Klassenkamerad:innen entwickelten Prototypen. Dieser besteht aus interaktiven Platten am Boden, die zur Eingabe für ein Spiel am Computerbildschirm dienen. © Christopher Frauenberger / Center for HCI

„Technologien haben soziale Ordnungsmacht. Das heißt, sie teilen Menschen in Kategorien wie Geschlecht, Alter oder Herkunft ein und erzeugen dadurch Ausgrenzung. Diversity-Computing untersucht diese Macht aus einer kritischen Perspektive und versucht, neue Konzepte für inklusive und diverse Technologien zu erdenken.“ So fasst Christopher Frauenberger, Professor am Center for Human-Computer Interaction (HCI) an der Universität Salzburg, sein Forschungsfeld zusammen. Gemeinsam mit Postdoc Jeanette Falk und den Doktorand:innen Anna Blumenkranz und Moritz Kubesch arbeitet er am Projekt „Diversity Computing Spaces“, das durch den Wissenschaftsfonds FWF gefördert wird. Darin untersuchen die Forschenden, wie sich digitale Technologien einsetzen lassen, um intelligente physische Räume für ganz unterschiedliche Gruppen von Menschen zu schaffen, in denen diese gemeinsame Erfahrungen machen können, ohne sich ausgegrenzt zu fühlen. Dazu arbeitet das Team um Frauenberger mit Lehrer:innen und Schüler:innen der zweiten Schulstufe an einer Salzburger Mittelschule zusammen.

Diversität verstehen

Um die Vielschichtigkeit der Schüler:innen zuerst zu erfassen und dann auch in die Implementierung der „Diversity Computing Spaces“ einfließen zu lassen, veranstaltete das Forschungsteam 2022 je neun Workshops für zwei Schulklassen. „Dabei ist es besonders wichtig, Diversität in all ihren Dimensionen ernst zu nehmen, die über Kategorien wie Geschlecht oder Alter hinausgehen und zum Beispiel auch Stimmungen und Erfahrungen beinhalten können. Wir möchten die Beiträge der Schüler:innen durch Methoden des partizipativen Designs in unsere Arbeit einfließen zu lassen“, betont Jeanette Falk.

Die Wissenschaftler:innen untersuchten, wie Schüler:innen informelle Räume wie Pausenräume oder Schulhöfe wahrnehmen, um sie anschließend in die mögliche Gestaltung dieser Räume einzubinden. Dazu möchten sie vor allem interaktive Technologien einsetzen. Die Ideen der Jugendlichen reichten von Massagerobotern über Unterhaltungssysteme bis hin zu Räumen, wo sie ihren Interessen nachgehen könnten – ganz ohne besondere Technologien. Manche Aspekte dieser Ideen wurden von den Schüler:innen mittels einfach zu steuernder Computer wie Calliope mini, Makey Makey oder mit Arduino-Controllern (bei E-Textilien) programmiert und in simple Prototypen umgesetzt. Dabei sammelten die Forschenden Feedback und produzierten Fotos, Ton- und Videoaufnahmen, die zusammen mit den Notizen der Workshopleiter:innen ausgewertet wurden.

Elektronische Textilien selbst gebaut
Eine Gruppe Schüler:innen probiert elektronische Textilien aus, die aus einem Arduino LilyPad und einfachen Sensoren konstruiert wurden. © Christopher Frauenberger / Center for HCI

Räume aneignen und Konflikte eingehen

„Die Schüler:innen zeigten ein vielschichtiges Verständnis von Technologie und wie diese ihnen in sozialen Räumen helfen oder sie auch einschränken könnte“, erklärt Falk. Neben nützlichen Funktionen wie Unterhaltung und persönlichem Komfort waren sich die Jugendlichen auch darüber bewusst, dass man sie beispielsweise mittels Kameras überwachen und damit in ihrer freien Aneignung der Räume einschränken könnte. Diese Aneignung war auch ein zentrales Thema in der Auswertung. Sie ist wichtig, weil sie ständig erfolgt, sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene. Durch sie nehmen und geben sich die Jugendlichen gegenseitig Raum und bestimmen, wer was wo tun soll und darf oder nicht.

„Beispielsweise waren die Couches am Gang oder in der Bibliothek ein wichtiger Ort zur sozialen Interaktion, aber auch zum individuellen Rückzug“, weist Frauenberger auf diese Praxis des „Place-Makings“ hin. „Dabei entstanden auch Konflikte zwischen den Jugendlichen – manchmal freiwillig, aber auch unfreiwillig. Freiwillige spielerische Konflikte, wie Streitereien oder Rangeleien, können lehrreiche soziale Interaktionen sein, doch unfreiwillige Konflikte erzeugen Stress.“ Ebenso war es für die Schüler:innen von großer Bedeutung, wie sie ihre Zugehörigkeit zu Gruppen, aber auch ihre Individualität bestärken und gegenüber anderen darstellen konnten. Diese Themen führten die Forscher:innen zu drei Designrichtungen, die sie in den nächsten Schritten des Projekts implementierten.

Eine Schülerin demonstriert ihre Idee für ein Spiel, bei dem man einen Hindernisparcours durchlaufen muss, ohne die „Laserstrahlen“ zu berühren. Die Schüler:innen bauten einen Prototypen, der mit Schnüren, die Strom leiten, Alufolie und einem Makey-Makey-Elektronikbaukasten interaktiv gestaltet wurde. © Christopher Frauenberger / Center for HCI

Rückzugsräume, asymmetrisches Design und kreative KI

„Wie können wir Technologie nutzen, um Räume in der Schule zu schaffen, in denen sich die Jugendlichen zurückziehen können, ohne dass ungewollte Konflikte entstehen?“, fasst Falk eine der resultierenden Designrichtungen zusammen. Des Weiteren erforschten die Wissenschaftler:innen Ideen, wie freiwillige und spielerische Konflikte durch asymmetrisches digitales Spieldesign gefördert werden könnten, um so auch den diversen Fähigkeiten der Schüler:innen für solche Konflikte gerecht zu werden.

Als dritte Richtung kristallisierten sich Räume für Aktivitäten heraus, die von Gleichaltrigen genutzt werden sollen, um unter anderem Gruppenzugehörigkeit, aber auch Individualität zu demonstrieren. „Dabei könnte ein System auf Basis künstlicher Intelligenz helfen, die Kreativität der Jugendlichen zu befeuern und gleichzeitig ihr Verständnis für diese Technologie zu vertiefen“, fügt Falk hinzu.

Frauenberger erklärt die nächsten Schritte im Projekt: „Im Februar dieses Jahres führten wir weitere Workshops durch, bei denen wir zwei Installationen auf Basis unserer Ergebnisse in der Schule einrichteten und die Schüler:innen damit interagieren ließen. Daraus möchten wir Designs für permanente Installationen ableiten, die wir diesen Herbst in die Schule bringen möchten, um damit auch einen langfristigen Effekt unseres Projekts zu ermöglichen.“

Zu den Personen

Christopher Frauenberger ist Professor am Center for Human-Computer Interaction an der Universität Salzburg und interessiert sich für Menschen und digitale Technologien. Insbesondere verwendet er partizipative Designansätze, um eine gewollte technologische Zukunft für diverse Gruppen von Menschen in realen Kontexten zu schaffen. Zum Beispiel hat er mit autistischen Kindern in Schulen (SocialPlayTechnologies) oder älteren Personen in ihren Smart Homes gearbeitet. Zusammen mit Postdoc Jeanette Falk und den PhD-Studierenden Anna Blumenkranz und Moritz Kubesch arbeitet er am Projekt Diversity Computing Spaces, das von 2021 bis 2024 läuft und vom Wissenschaftsfonds FWF mit einer Summe von rund 500.000 Euro gefördert wird.

Publikationen

Falk J., Kubesch M., Blumenkranz A., Frauenberger C.: Three Design Directions for a Diversity Computing Design Space, in: Proceedings of the 2023 CHI Conference on Human Factors in Computing Systems (CHI ʼ23), Association for Computing Machinery, Article 89, 1–16, 2023

Fletcher-Watson, S., De Jaegher, H., van Dijk, J., Frauenberger, C., Magnée, M. & Ye, J. Diversity Computing, in: Interactions, 25(5), 28–33, 2018