Die Mathematikerin Erika Hausenblas beschäftigt sich an der Montanuniversität Leoben mit Stochastischen Partiellen Differenzialgleichungen, einem noch relativ jungen Forschungsgebiet. © Privat

Ob es um den radioaktiven Zerfall geht, die Entwicklung von Tierpopulationen oder das Fließverhalten von Wasser in Leitungen:  Differenzialgleichungen sind die wichtigsten Werkzeuge in den Naturwissenschaften, um das Verhalten von bestimmten Eigenschaften eines Systems im Laufe der Zeit zu beschreiben. Wer das Änderungsverhalten einer Größe kennt, kann damit ihren Wert in der Zukunft exakt bestimmen. – Das sagt zumindest die Theorie.

Den Zufall integrieren

In der Realität kommt es – wie im alltäglichen Leben – zu unvorhergesehenen Ereignissen und Störungen, die die Planung über den Haufen werfen, Ergebnisse beeinflussen oder manchmal auch gänzlich verändern. „Selbst kleinste solcher Störungen können das Verhalten so stark verändern, dass man am Ende vor ganz anderen Ergebnissen steht. Daher ist es sinnvoll, ein Zufallselement in die Gleichung zu integrieren“, sagt Erika Hausenblas. Mit diesen dabei entstehenden „Stochastischen partiellen Differenzialgleichungen“ beschäftigt sich die Professorin für Angewandte Mathematik an der Montanuniversität Leoben.

Keine exakte Lösung

„Das Forschungsgebiet ist noch relativ jung“, erzählt Erika Hausenblas im Gespräch mit scilog. Das erste Buch dazu  ist 1993 erschienen. In diesem Bereich geht es darum, da

„Die Ingenieure, die ich hier unterrichte, mögen den Zufall nicht. “ Erika Hausenblas

ss man versucht, die Zufälligkeit nicht zu eliminieren, sondern mit ihr zu rechnen und sie zu beschreiben. Bei diesen Gleichungen gibt es keine exakte Lösung, stattdessen erhält man als Ergebnis eine Wahrscheinlichkeitsverteilung. Das sei auch der Grund, weshalb es noch dauern werde, bis sich diese Methoden etwa in den Ingenieurwissenschaften durchsetzen würden, meint Hausenblas: „Die Ingenieure, die ich hier unterrichte, mögen den Zufall nicht, weil man damit die Kontrolle aus der Hand gibt.“ In der Finanzmathematik werden solche Gleichungen laut Hausenblas jedoch bereits intensiv verwendet.

Aktuelles Projekt

Ihr aktuelles vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Forschungsprojekt lautet „Numerische Analyse nichtlinearen Filterns mit Levy Rauschen“. Unter Levy Rauschen versteht man zufällige Prozesse, die unstetig sein können, wie zum Beispiel Windböen. Ein sehr wichtiger Anwendungsbereich in der Technik des nichtlinearen Filterns ist die Ortung beziehungsweise Navigation. So positioniert sich beispielsweise ein Schiff am Weg durch den Ozean mit GPS-Signalen. Diese Signale können aber wegen eines schlecht funktionierenden Empfangsgeräts verrauscht oder aufgrund von Funklöchern unvollständig sein. Das Schiff hat Kurs auf den Heimathafen, aber aufgrund von Wellen und Strömungen wird es abgelenkt. Nun muss die Position des Schiffes mithilfe des vorhandenen Datenmaterials berechnet werden. In der Navigation sind neben den Orten auch die Geschwindigkeit, die Beschleunigung und die Lage wichtig. Die Aufgabe besteht darin, die Position des Schiffes möglichst genau zu schätzen.

Familiär geprägt

Zu ihrem Forschungsgebiet der Stochastischen Differenzialgleichung kam die Mathematikerin eher zufällig. Dass ihr Weg in die Naturwissenschaften führen würde, war jedoch von Anfang an klar und stark familiär geprägt: Sie wuchs als eine von drei Töchtern nahe München auf. Der Vater war Elektrotechniker, die Mutter Physikerin. Bereits in der Schule belegte Hausenblas Leistungskurse in Physik und Mathematik. Und lernte dabei früh, sich in einem männerdominierten Umfeld zu bewegen. „In Mathematik war ich von fünfzehn Schülern das einzige Mädchen, in Physik waren wir zwei“, erinnert sich die heute 52-Jährige. Nach Abschluss des Studiums arbeitete sie zunächst bei Siemens in München – als Frau unter vielen Männern.

„Ich war von fünfzehn Schülern das einzige Mädchen.“ Erika Hausenblas

In einem männerdominierten Umfeld

Seit 2010 ist Erika Hausenblas nun Professorin für Angewandte Mathematik an der Montanuniversität Leoben in der Steiermark und damit wieder in einem ausgesprochen männerdominierten Umfeld. Sie ist eine von zwei Frauen innerhalb eines 44-köpfigen Professorenteams. Der Frauenanteil bei den Studierenden schwankt – auf niedrigem Niveau – zwischen den Studienrichtungen. „Im Bereich Maschinenbau liegt der Anteil bei acht bis zehn Prozent, in Bereichen wie Industrielogistik etwas höher bei 20 bis 30 Prozent, im Recycling noch etwas höher“, zitiert Hausenblas die Statistik.

Hausenblas ist es gewohnt, sich in einem männerdominierten Umfeld zu bewegen. Hier bei einer Konferenz. © Privat

 „Ich bin männlich sozialisiert“

Dass Erika Hausenblas immer in einem männerdominierten Umfeld war, hat sie ihrer Meinung nach stark geprägt. Nicht nur, dass sie auch heute noch manchmal die Erfahrung macht, für die Sekretärin gehalten zu werden, fühlt sie sich auch selbst manchmal fehl am Platz, und zwar in frauendominierten Runden. „Ich bin männlich sozialisiert“, sagt sie, „in Frauenrunden passiert es mir häufig, dass ich ins Fettnäpfchen trete: Die Körpersprache, wie man sich gibt, was man sagt, ich merke dann, da passe ich nicht hinein.“

Hellhörig für Andersbehandlung

Diese Prägung macht die Mathematikerin jedoch auch hellhörig für „Andersbehandlung“. So erinnert sie sich an eine Maschinenbaustudentin, die ihr aufgrund ihrer hervorragenden Leistungen aufgefallen ist. Als sie einen Kollegen auf sie aufmerksam machen wollte, meinte dieser: „Ja, ja, die ist sehr fleißig.“ „Wenn man als Mädchen gut ist, ist man fleißig. Niemand denkt, die ist gut, geben wir ihr eine Stelle. Das ist noch immer in den Köpfen“, ärgert sich Hausenblas. Ein anderes Beispiel stammt aus der Schulzeit ihrer Kinder. Eine Rechtschreibschwäche wurde von der Lehrerin beim Sohn als Macke wahrgenommen, bei der Tochter jedoch als Defizit. „Solche Dinge fallen jemandem, der mehr in das Frauenschema passt, vielleicht weniger auf. Aber mir fällt das sehr auf!“, sagt Hausenblas.

Veränderung nur langsam

Eine Veränderung in den Köpfen brauche wohl noch viel Zeit, denkt die Mathematikerin. Doch an ihrer fünfzehnjährigen Tochter sehe sie, dass diese bereits mit anderen Vorbildern aufwächst als die meisten ihrer Mitschülerinnen. Kürzlich als sie sich mit ihr über Berufe unterhalten habe, seien der ebenfalls naturwissenschaftlich interessierten Jugendlichen zuerst Bereiche wie Informatik, Elektrotechnik und Physik eingefallen und keine typischen Frauenberufe.

Außerhalb des Schemas

Die Förderung des aktuellen Forschungsprojekts ist eine von mehreren, die Hausenblas in den vergangenen Jahren beim Wissenschaftsfonds einwerben konnte. Ohne diese Förderungen wäre ihre Karriere nicht möglich gewesen, ist sich Hausenblas sicher. „Beim FWF zählen klare Kriterien jenseits von Netzwerken“, sagt sie. „Da hat man auch eine Chance sich zu finanzieren, wenn man nicht ins Schema passt.“


Erika Hausenblas ist seit 2010 Professorin für Angewandte Mathematik an der Montanuniversität Leoben. Sie beschäftigt sich mit Stochastischen Partiellen Differenzialgleichungen, einem noch relativ jungen Forschungsgebiet. Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen erhielt sie den Christian-Doppler-Preis und das APART-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.


Mehr Informationen zu FWF-geförderten Projekten von Erika Hausenblas hier.