HIV-Infektion: Der kurze Moment des richtigen Augenblicks
âSeit ĂŒber 30 Jahren wird das HI-Virus erforschtâ, sagt Doris Wilflingseder, und seit dieser Zeit entzieht es sich einer effektiven Behandlung. âDas Virus mutiert unglaublich schnell, es spielt Katz und Maus mit unsâ, fĂŒhrt die Forscherin an der Medizinischen UniversitĂ€t Innsbruck im GesprĂ€ch mit scilog aus. Als Leiterin einer Forschungsgruppe arbeitet die Immunologin im Rahmen des vom FWF geförderten Projekts âHIV-Infektion und Ăbertragung nahe der RealitĂ€tâ an der Beschreibung der Wechselwirkungen des Virus mit dem Immunsystem â bevor der Immundefekt Raum greift und eine Abwehr noch möglich ist oder wĂ€re.
Der Erstkontakt als Angelpunkt
HI-Viren integrieren sich, das ist bekannt und macht sie so gefĂ€hrlich, in das Erbgut der fĂŒr die Immunantwort essenziellen T-Helferzellen. Anstatt dass diese Zellen die Eindringlinge effektiv bekĂ€mpfen, werden sie von den Viren ausgenutzt und unterstĂŒtzen so die Attacken der Eindringlinge bis schlussendlich das Immunsystem zusammenbricht. âUnser Ansatz ist nun, den Erstkontakt von Immunzellen der Schleimhaut und der Pathogene als Dreh- und Angelpunkt zu begreifenâ, erlĂ€utert die Wissenschafterin. Sie setzt auf das Komplementsystem, jenen Teil der angeborenen Immunabwehr, der Krankheitserreger sofort zerstören kann. âDieses System unserer Immunabwehr wird von den meisten anderen Forscherteams nicht bedacht, dabei ist es ein SchlĂŒsselelement in der akuten Infektionsphase und kann zur erfolgreichen BekĂ€mpfung beitragenâ, erklĂ€rt Wilflingseder. Im Grunde geht es nun darum, dass das Komplementsystem die eindringenden HI-Viren ummantelt und solcherart fĂŒr Immunzellen kennzeichnet. So können die Viren als Fremdkörper von den dendritischen Zellen wahrgenommen und verarbeitet werden. Diese WĂ€chterzellen der Haut und der SchleimhĂ€ute greifen alles auf, was körperfremd scheint und liefern ihre âBeuteâ den T-Helferzellen und T-Killerzellen gleichsam âfrei Hausâ.
Der Teufel im Detail
âUnsere Versuche und Untersuchungen haben gezeigt, dass Komplement-ummantelte HI-Viren besser von dendritischen Zellen erkannt und in weiterer Folge durch Effektorzellen besser bekĂ€mpft werden, als solche, die nicht immunologisch gekennzeichnet wurden.â Auf Basis dieser Arbeit, die Wilflingseder in Zellkulturen durchgefĂŒhrt hat, ist prinzipiell eine therapeutische Impfung denkbar â prinzipiell, denn der Teufel steckt im Detail; in diesem Fall in dem Umstand, dass das Zeitfenster, das zur VerfĂŒgung steht, nur zwei Wochen dauert. âAnschlieĂend treten HIV-spezifische Antikörper auf, die das Virus zwar erkennen, aber in dieser Phase nicht neutralisieren. So wird die Immunantwort, die durch die dendritischen Zellen vermittelt wird, wieder verĂ€ndert, da andere Rezeptoren auf den Zellen stimuliert werdenâ, stellt Wilflingseder fest. âZiel unserer Forschung ist es nun, ein besseres VerstĂ€ndnis des Immunsystems und dieser UmmantelungsvorgĂ€nge vor allem zu Beginn der Infektion zu erhalten und dadurch doch Wege zu finden, das Immunsystem auch in der chronischen Phase der HIV-Infektion zu stĂ€rkenâ, relativiert Wilflingseder vorschnelle Hoffnungen auf eine Therapie.
Das Potenzial neuer Modelle
Manifeste Erfolge und Fortschritte sieht sie auf einem anderen Gebiet. Doris Wilflingseder hat ihre Forschungsarbeit mit Hilfe von Zellkulturen begonnen und verfeinert. âZellkulturen sind oft sehr einfach. Komplexere Strukturen, wie wir sie in unterschiedlichen Geweben vorfinden, fehlen ihnenâ, fasst sie zusammen. Dieser Nachteil wurde lange Zeit durch Tierversuche umgangen. âJetzt erarbeiten wir aber wirklich gute 3D-Modelle. Durch gezĂŒchtete 3D-Strukturen und Organoide Ă€ndern sich die Voraussetzungen zusĂ€tzlich.â Tierversuche, ist die Forscherin ĂŒberzeugt, sind nicht nur fraglich, sie sind oftmals ersetzbar. âIch arbeite eng mit Physiologen und Bio-Informatikern an der Entwicklung von 3D-Kulturen zusammen.â Sie bringt dabei ihr Wissen und ihr GespĂŒr fĂŒr Zellkulturen ein. âDas GespĂŒr fĂŒr den Moment, in dem man die Medien wechselt, wann man Proben nimmt, ist wichtig.â Diese Zeitpunkte, betont die Forscherin, folgen hĂ€ufig keinem fixen Schema. Dazu braucht es Erfahrung und KreativitĂ€t, âwie beim Kochen, denn es fĂ€llt auf, dass Personen, die kochen können und backen, auch ein GespĂŒr fĂŒr Zellkulturen habenâ. Mit Hilfe der neuen Modelle lassen sich dann Krebserkrankungen ebenso wie HIV-Infektionen besser und vor allem im menschlichen System untersuchen â und schlieĂlich auch behandeln.
Zur Person
Doris Wilflingseder ist promovierte Biologin und nach diversen Stationen u.a. als Visiting Scientist am University College London nun als Assoziierte Professorin in der immunologischen Grundlagenforschung an der Medizinischen UniversitĂ€t Innsbruck tĂ€tig. Seit 2012 ist Doris Wilflingseder stellvertretende Direktorin der Sektion fĂŒr Hygiene und Medizinische Mikrobiologie.
Publikationen
Chandorkar P, Posch W, Zaderer V, Blatzer M, Steger M, Ammann CG, Binder U, Hermann M, Hörtnagl P, Lass-Flörl C, Wilflingseder D: Fast-track development of an in vitro 3D lung/immune cell model to study Aspergillus infections, in: Scientific Reports 2017, http://doi.org/gbx4sx
Posch W, Steger M, Knackmuss U, Blatzer M, Baldauf HM, Doppler W, White TE, Hörtnagl P, Diaz-Griffero F, Lass-Flörl C, Hackl H, Moris A, Keppler OT, Wilflingseder D: (2015). Complement-Opsonized HIV-1 Overcomes Restriction in Dendritic Cells, in: PLoS Pathogens 2015, http://doi.org/f3sv6z
Wilflingseder D, Schroll A, Hackl H, Gallasch R, Frampton D, Lass-Flörl C, Pancino G, Saez-Cirion A, Lambotte O, Weiss L, Kellam P, Trajanoski Z, Geijtenbeek T, Weiss G, Posch W: Immediate T-Helper 17 Polarization Upon Triggering CD11b/c on HIV-Exposed Dendritic Cells, in: Journal of Infectious Diseases 2015, http://doi.org/f3ss89