1993 gründen Schönheitsfehler aus Wien das erste Hip-Hop-Label Österreichs („Duck Squad“). Im selben Jahr erscheint ihre erste EP „Broj Jedan“ komplett auf Deutsch. © Frederik Dörfler-Trummer

Auch Musikrichtungen können Geburtstag haben. Im Fall von Hip-Hop hat man sich beispielsweise darauf geeinigt, dass seine Geburtsstunde im Jahr 1973 anzusiedeln ist. Manche legen sich sogar auf eine einzelne Party im New Yorker Sommer dieses Jahres fest. Damit feiert Hip-Hop, eine der einflussreichsten Jugendkulturen der Welt, ein großes Jubiläum: 2023 ist sie 50 Jahre alt.

In diesen 50 Jahren hat Hip-Hop einen Siegeszug über die Weltkarte hingelegt und dabei unzählige lokale Szenen und Stile inspiriert. Der Musikwissenschaftler Frederik Dörfler-Trummer hat sich mit einer dieser lokalen Szenen beschäftigt. Seine Dissertation „Hip-Hop aus Österreich. Lokale Aspekte einer globalen Kultur“, die auch als Buch erschienen ist, behandelt die Geschichte der österreichischen Hip-Hop-Szene von den bescheidenen Anfängen bis zu den Trends der Gegenwart. Schon in seiner Diplomarbeit hatte sich der Wissenschaftler mit diesem Themengebiet beschäftigt. „Da blieben aber am Ende noch sehr viele Fragen zur Entwicklung der Szene offen“, sagt er. Zu Deutschland und den USA hätte es in diese Richtung schon einiges gegeben, aber zu Österreich nichts. Es war Zeit, das zu ändern.

Schicht auf Schicht ein neuer Sound

„Wenn Hip-Hop wissenschaftlich betrachtet wird, geht es meistens um den Rap, also den Sprechgesang und die Texte, und den kulturellen Einfluss“, sagt Dörfler-Trummer. Das spiele natürlich auch in seiner Dissertation eine Rolle. „Mir war es als Musikwissenschaftler aber ein Anliegen, auch mal die Musik in den Vordergrund zu rücken.“ Deshalb werden in seinem Buch auch tatsächlich Hip-Hop-Subgenres bis ins Detail analysiert.

Wie würde der Musikwissenschaftler Hip-Hop zusammenfassen? „Der klassische Hip-Hop-Sound ist der sogenannte ‚Boom Bapʽ-Beat: ein Viervierteltakt mit stark akzentuierten Drums. Die Musik ist rhythmusbetont, Melodik und Harmonik sind recht einfach.“ Genauso wie in anderen Musikrichtungen gibt es klassische „Instrumente“ wie die Drum Machine, vor allem das Modell Roland 808. Auf ihr programmiert man Rhythmen (Beats), die in Schleife abgespielt („geloopt“) werden, darüber legt man Samples. Das können Versatzstücke aus anderen Songs (von Funk bis zu klassischer Musik) sein, aber auch selbst eingespielte Elemente. „Im Hip-Hop werden die Schichten eher übereinander gelegt, anstatt ständig neue Melodien einzuführen“, erläutert Dörfler-Trummer. Es ist eine ganz andere Art, Songs zu schreiben, als im Pop. Aber eine, die jetzt eben auch schon fast fünf Jahrzehnte alt ist.

Eine heute legendäre Platte markiert den Anfang der österreichischen Hip-Hop-Szene: „Austrian Flavors Vol. 1“ mit verschiedenen heimischen Künstlern. © Plattencover/Frederick Dörfler-Trummer

Hip-Hop im Dreivierteltakt

Die Anfänge des Hip-Hop wurden oft erzählt: Die Kultur und ihre Techniken entstanden auf den Blockpartys im New York der späten 1970er-Jahre. Ab den 80ern diversifizierte sich die Szene, wurde kommerziell erfolgreich und eroberte spätestens in den 90er-Jahren die Welt. Dabei kam es aber nicht einfach nur zu einer Globalisierung, sondern zu etwas, was man in der Wissenschaft „Glokalisierung“ nennt. „Das ist ein Zusammenspiel aus Globalisierung und Lokalisierung“, so Dörfler-Trummer. Hip-Hop sei eine globale Kultur, die sich aber auch sehr stark mit dem Lokalen auseinandersetze und sich darauf beziehe. Das gelte zum einen für die Inhalte („Wer in Österreich von Gettos spricht, kann den Authentizitätsanspruch nicht erfüllen, die gibt es hier nicht“), aber auch für das Musikalische. Man bedient sich für die Samples lokaler Musik. Im Fall von Österreich wurden auch schon Hip-Hop-Tracks im Dreivierteltakt produziert, um die Walzertradition einfließen zu lassen.

Das Lokale spiele mit dem Globalen immer zusammen, führt der Musikwissenschaftler in dem Buch aus. Das harte Subgenre „Trap“, das Anleihen an der elektronischen Musik nimmt, entstand in den US-Südstaaten, wirkte sich dann aber wieder auf die globale Kultur aus. Heute gibt es eben auch Trap mit einer österreichischen Note. „Globalisierung muss nicht Vereinheitlichung heißen“, sagt Dörfler-Trummer. Die Angst vor einer „McDonaldisierung“ sei unberechtigt. „Es kann auch eine Rückbesinnung auf lokale Traditionen bedeuten, die in Verbindung mit Werten oder Techniken der globalen Hip-Hop-Kultur gesetzt werden.“

Ernst Palicek (Künstlername) veröffentlicht 2014 „Summer in Wien“. Er ist Teil des in Salzburg von Crack Ignaz und Young Krillin gegründeten Künstlerkollektivs Hanuschplatzflow. © Screenshot/Hanuschplatzflow

Von Falco bis Money Boy und Hanuschplatzflow

Dörfler-Trummer teilt in seinem Buch die Entwicklung in Österreich grob in fünf Phasen ein. In den Anfängen (frühe 1980er-Jahre bis 1992) bedienten sich vor allem Pop-Künstler wie Falco oder die EAV der Technik des Sprechgesangs. 1993 markiert den Beginn einer eigenständigen heimischen Szene: Es erscheinen eine heute legendäre Platte mit verschiedenen heimischen Hip-Hop-Künstlern („Austrian Flavors Vol. 1“) und die erste EP, auf der komplett auf Deutsch gerappt wurde („Broj Jedan“ von Schönheitsfehler). Danach geht es immer wieder auf und ab: Musiker:innen tauchen auf und verschwinden wieder, das Zentrum des Geschehens wandert zwischen Wien, Linz und gelegentlich Salzburg hin und her. Um das Jahr 2000 herum gibt es einen Umbruch, eine neue Generation arbeitet sich nach oben. Nach einzelnen Gruppen wie die Untergrund Poeten oder EMC etabliert sich ab 2005 „Straßenrap“ mit seinen harten Themen als eigenständiges Subgenre in Österreich. Zur selben Zeit setzt sich der Mundart-Rap, also das Rappen im eigenen Dialekt, durch. In den 2010er-Jahren sind es Artists wie Money Boy oder das Kollektiv Hanuschplatzflow, die die globalen Trends Cloudrap und Trap nach Österreich bringen.

Das Buch endet mit dem Jahr 2018. Irgendwo muss man ein Ende setzen, aber in diesem Fall würde es sich auch anbieten, sagt Dörfler-Trummer. „Cloudrap war da schon wieder am Abklingen. Wir stehen im Moment wieder an einer Schwelle zum Umbruch.“ Aktuell würden Themen wie Feminismus oder „Me too“ eine immer größere Bedeutung gewinnen. „Hip-Hop ist in Bewegung“, sagt der Musikwissenschaftler. „Es gibt immer etwas Neues zu entdecken.“

Frederik Dörfler-Trummer ist freier Musikwissenschaftler und forscht zu Hip-Hop-Musik und verwandten Populärmusikstilen. Er promovierte an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit gibt er Hip-Hop-Workshops an Schulen und ist als DJ und Produzent tätig. Seine Buchpublikation wurde durch eine Förderung des Wissenschaftsfonds FWF ermöglicht und ist auch als Open-Access-E-Book erhältlich.