Psychologinnen und Psychologen haben Faktoren identifiziert, die Wohlbefinden und Gesundheit in der medizinischen Ausbildung und im Arztberuf fördern. © Shutterstock

Ärztinnen und Ärzte sind extrem hohen Belastungen ausgesetzt, besonders dann, wenn sie in Krankenhäusern tätig sind. Hoher Arbeitsdruck, enorme Verantwortung und noch dazu viel Bürokratie gefährden die Gesundheit des medizinischen Personals. Das bestätigen empirische Untersuchungen, die belegen, dass Medizinerinnen und Mediziner häufiger von Burn-out und Depressionen betroffen sind als andere Berufsgruppen. Und dennoch ist der Berufswunsch Arzt ungebrochen attraktiv. Mehr als 12.000 Personen haben sich heuer in Österreich für 1.680 Studienplätze in Medizin beworben. Die zentralen Fragen auf dem Weg in den Arztberuf sind daher, wie sich diese hohe Motivation erstens durch das Studium halten lässt und wie für die heranwachsende Ärztegeneration zweitens ein Arbeitsumfeld geschaffen werden kann, in dem sie trotz aller Anforderungen gesund bleibt und sich wohlfühlt.

Analyse gesundheitsfördernder Faktoren

Der Gesundheitspsychologe Stefan Höfer von der Medizinischen Universität Innsbruck hat diese Fragen mit Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF nun erstmals in einer Längsschnittstudie untersucht. In dem Projekt „Wohlbefinden und Gesundheit von MedizinerInnen“ haben Höfer und sein Team in Kooperation mit dem Arbeits- und Organisationspsychologen Thomas Höge von der Universität Innsbruck unter anderem mehr als 400 Medizinstudentinnen und -studenten über 4 Jahre sowie 275 Jungärztinnen und -ärzte über eineinhalb Jahre begleitet. In Interviews, Befragungen und Beobachtungen im Spital hat die Forschergruppe erhoben, welche individuellen und organisatorischen Voraussetzungen für ein erfülltes Arztleben gegeben sein müssen. Basierend auf Konzepten der „Positiven Psychologie“, die unter anderem den Aspekt des Charakters, das heißt individuelle Kompetenzen, in den Mittelpunkt rückt, konnte das Team um Höfer vier Charakterstärken identifizieren, die laut Selbsteinschätzung der Befragten positive Effekte auf ihr Berufsleben haben. Diese sind Freundlichkeit, Authentizität, Urteilsvermögen und Beziehungsfähigkeit. Klar ist, wer seine Stärken im Beruf anwenden kann, erlebt mehr Sinn in seiner Tätigkeit, ist dadurch zufriedener und schließlich langfristig gesünder.

Konzept „Charakterstärken“

„Entgegen der Annahme, dass vorhandene Charakterstärken konstant angewendet werden, hat sich bei den Medizinstudenten, die wir über Jahre begleitet haben, gezeigt, dass es zu großen Schwankungen kommt“, berichtet Höfer erste Ergebnisse des Projekts, dessen Endbericht Ende 2018 vorliegen wird. Das bedeutet, die Studierenden durchleben unterschiedliche Phasen im Studium, die es erfordern, in unterschiedlichem Ausmaß ihre persönlichen Stärken einzubringen. „Während die Stärken konstant bleiben, ist deren Anwendung also situationsbedingt“, erklärt Stefan Höfer. Ob und wie vorhandene Stärken eingesetzt werden können, hängt jedoch stark vom persönlichen und institutionellen Umfeld ab. „Die gängige Meinung, dass das Wohlbefinden gesteigert wird, wenn bestimmte Stärken hoch ausgeprägt sind, scheint so nicht zu stimmen. Wir haben festgestellt, dass Stärken erst dann angewendet werden können, wenn es den Personen gut geht und sie sich wohlfühlen“, erklärt der Projektleiter. Das war bei den befragten Studierenden vermutlich der Fall. Über den gesamten Beobachtungszeitraum von vier Jahren waren sie in einer stabil guten Verfassung. „Das ist überraschend, da es in der Literatur Hinweise darauf gibt, dass bis zu 30 Prozent der Studierenden depressive Symptome entwickeln“, berichtet Höfer.

Soft Skills gut fürs Klima

Es klingt banal und doch ist es also zentral, wie die Untersuchungen der Forscherinnen und Forscher in Innsbruck zeigen: Wer sich in einer bestimmten Umgebung wohlfühlt und gute Beziehungen aufbauen kann, der kann sich und seine Stärken entfalten. Auf die institutionelle Ebene umgelegt heißt das: Im Fokus der Organisation sollten Aspekte wie Wertschätzung von Vorgesetzten und Kolleginnen und Kollegen, transparente Kommunikation, Fehlerkultur und Entwicklungsmöglichkeiten stehen. Eben diese Faktoren wurden in dem Forschungsprojekt von den Befragten als wünschenswert genannt. „Wenn ein gutes sozio-moralisches Klima im Arbeitsumfeld herrscht, bildet sich das auch in der Kommunikation ab und wirkt sich positiv auf Leistung und Zufriedenheit aus“, sagt Höfer. Auch flexible, ihren Bedürfnissen entgegenkommende Arbeitszeiten, werden von den heranwachsenden Ärztinnen und Ärzten als wichtig eingestuft. „Das kann gerade in einem Krankenhaus eine Herausforderung sein, aber es ist wichtig den Fördergedanken und das Wohlwollen des Personals institutionell zu verankern“, betont Höfer. Es dürfe nicht von einzelnen Personen abhängen, wie sich Arbeitsklima und Wohlbefinden gestalten, so der Psychologe.

Grundlagenforschung für die Praxis

Dementsprechend sollen die empirischen Befunde der vorliegenden Studie eine wichtige Grundlage für die Entwicklung von praxistauglichen Instrumenten sowohl zur Studien- und Berufsberatung liefern als auch zu einem gesundheitsförderlichen Arbeitsklima im Krankenhaus beitragen. Und nicht zuletzt geht es auf der persönlichen Ebene darum, für den Beruf wichtige Charakterstärken zu aktivieren. Im Rahmen des Projekts haben Höfer und sein Team auch Ausbildungsverantwortliche befragt, die Ergebnisse werden aktuell ausgewertet. Und eine nachfolgende Studie ist bereits beantragt. „Wir haben riesige Mengen an Daten erhoben und eine Liste an Fragen, die wir noch weiter erforschen wollen“, berichtet Höfer über seine nächsten Forschungsvorhaben.


Zur Person Stefan Höfer lehrt und forscht am Department für Medizinische Psychologie der Medizinischen Universität Innsbruck. Der Gesundheitspsychologe beschäftigt sich mit Fragen zur Lebensqualität, u.a. von Patientinnen und Patienten mit Herz-Kreislauferkrankungen. Seit 2015 ist Höfer u.a. Leiter des Standing Comitee Psychology and Health der European Federation of Psychologists‘ Associations EFPA.


Projektwebsite: http://wellmed.i-med.ac.at


Publikationen

Hausler, M., Strecker, C., Huber, A., Brenner, M., Höge, T. & Höfer, S.: Distinguishing Relational Aspects of Character Strengths with Subjective and Psychological Well-being. Frontiers in Psychology, 2017
Hausler, M., Strecker, C., Huber, A., Brenner, M., Höge, T. & Höfer, S.: Associations between the application of signature character strengths, health and well-being of health professionals. Frontiers in Psychology, 2017
Hausler, M., Huber, A., Strecker, C., Brenner, M., Höge, T. & Höfer, S.: Validierung eines Fragebogens zur umfassenden Operationalisierung von Wohlbefinden – Die deutsche Version des Comprehensive Inventory of Thriving (CIT) und die Kurzversion Brief Inventory of Thriving (BIT). Diagnostica, 2017