Kunst, Kosmetik und Medizin gingen im 16. Jahrhundert Hand in Hand wie es u.a. im berühmten Manuskript des Mediziners Théodore de Mayerne (hier von Rubens porträtiert) überliefert wird. © Public Domain

Eine Urinprobe abzugeben, zählt heute zum Standard von Vorsorgeuntersuchungen: Auf deren Farbe wurde bei der „Harnschau“, einem diagnostischen Mittel seit der Antike, immer schon geachtet. Die Begriffe für die vielen Schattierungen wurden hingegen erst viel später definiert. Dem bei Genf geborenen promovierten Leibarzt des englischen Königs Jakob I, Théodore Turquet de Mayerne (1573-1655), kommt diesbezüglich eine Schlüsselrolle zu. „De Mayerne war zwar Arzt, malte daneben aber auch. Er arbeitete mit Pigmenten und kreierte Farbrezepte, worüber er sich mit bekannten Malern seiner Zeit wie Peter Paul Rubens oder Anthonis van Dyck austauschte“, erklärt die Kunsthistorikerin Romana Sammern. Diese Farbrezepte sind neben seiner Dokumentation handschriftlicher Rezepte für die königliche Familie – etwa für Kosmetika wie Cremes oder Lippenpflege – in einer umfangreichen Sammlung, dem „De Mayerne-Manuskript“, überliefert. Dieser fachliche Austausch zwischen Kunst und Medizin, wovon nachweislich beide profitierten, fand in England zu einer Zeit statt, als sich beide Bereiche professionalisierten. In einem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt erforschte Sammern den Zusammenhang von Bild und Körper in der frühen Neuzeit Englands und Italiens. Farben und Substanzen spielen hier eine zentrale Rolle und beziehen Kosmetik mit ein. „Die Schnittmenge von Kunst, Körperpflege und Medizin zu beleuchten, fand ich dabei besonders spannend“, sagt Romana Sammern, die zuletzt an der Abteilung für Kunstgeschichte der Paris-Lodron-Universität Salzburg eine Hertha-Firnberg-Stelle innehatte.

Praxis und Theorie gehen Hand in Hand

Der interdisziplinäre Austausch hatte zweierlei Effekte: Er zeigte auf, ob die Farbrezepte von de Mayerne in der künstlerischen Praxis funktionieren und schuf zudem theoretische Grundlagen, etwa Begriffe für Farbschattierungen. Interessant dabei ist auch, dass etliche Substanzen in allen drei Bereichen – Kunst, Kosmetik und Medizin – eingesetzt wurden. Ein Beispiel ist „Bleiweiß“: In der Kosmetik wurde es schon seit dem Mittelalter verwendet, um den Teint aufzuhellen und war bis zur Erfindung einer bleifreien Alternative als Theaterschminke in Verwendung. In der Malerei stellten Künstler damit etwa Lichtreflexe her, und in der Medizin wurde es zur Behandlung von Syphilis angewandt. Obwohl die Substanz überall dieselbe war, wurden die Anwendungsbereiche sehr gegensätzlich bewertet. Medizinische Kosmetik bzw. kosmetische Dermatologie (cosmetica medicamenta) wurde von Ärzten, damals nur Männern, durchgeführt und genoss ein professionelles, sprich „gutes“ Image. Im Gegensatz dazu war Kosmetik zur Verschönerung (ars decoratoria) eine weibliche Domäne: Besonders in theologischen Schriften, etwa jenen des englischen Geistlichen Thomas Tuke (1580-1657), sei sie laut Sammern als Verfälschung der natürlichen Erscheinung als „schlecht“ verurteilt worden; auch weil die Frau als Geschöpf Gottes durch den Akt des Schminkens gleichzeitig Schöpferin ihres eigenen Bildes wird.

Dem Körperbild entsprechen

Hinter der Analyse der Quellenliteratur zum Verhältnis von Körper und Bild in England und Italien zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert stand für die Kunsthistorikerin etwa die Frage, was körperliche Schönheit zu verschiedenen Zeiten an unterschiedlichen Orten eigentlich meint. Im Rahmen des Forschungsprojekts studierte sie dazu hunderte Quellen. Besonders faszinierend fand sie, was neben Farben und Substanzen sonst noch empfohlen wurde, um den menschlichen Körper an ein Körperbild anzupassen. Eine aufschlussreiche Quelle ist das Buch „Gli ornamenti delle donne“ (1562) des Arztes Giovanni Marinello. Es zählt zu den vielen „Büchern der Geheimnisse“, die seit dem Mittelalter und bis zur Etablierung der Naturwissenschaften für die Verbreitung von naturkundlichem Wissen zentral waren. Die Herstellung von Cremes, Hauptpflege bis zu Anleitungen zum Färben oder Entfernen von Haaren – sprich Kosmetik – war Teil davon. Marinellos Körperideal beruht auf Idealen aus der Kunst, so Sammern: „Er erläutert etwa, warum und mit welchen Techniken der menschliche Körper bearbeitet werden kann, um ein ideales Körperbild zu erreichen.“ Konkretes Beispiel ist das Abbinden von Körperteilen. Auf der antiken Säftelehre basierend, ging auch Marinello davon aus, dass dies das Fließen der Säfte so beeinflusst, dass Körperteile ihre Form ändern.

Körperbilder verschiedentlich beeinflusst

Der Körper sei wie eine Skulptur betrachtet und bearbeitet worden, so Sammern, wobei „die Kunst die Natur, also den menschlichen Körper, und der Mensch die Kunst zum Ideal genommen hat.“ Wie Körperbilder aussahen, war ihrer Forschung zufolge stark durch den Austausch zwischen Ärzten und Künstlern beeinflusst. Im Werk von Marinello ist der Zusammenhang zwischen Kunsttheorie, Kosmetik und Medizin besonders deutlich. Die Behauptung, dass die Tätigkeit des Schminkens rein oberflächliche Verschönerung sei, ist für die Kunsthistorikerin unzureichend. Vielmehr steckt für sie ein spannender Dualismus aus Natürlichkeit und Künstlichkeit dahinter, der bis zur „Erschaffung“ einer Person und der Konstruktion eines Körperbildes reicht.


Zur Person Romana Sammern ist Kunsthistorikerin und promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Vor ihrer Hertha-Firnberg-Stelle des FWF an der Paris-Lodron-Universität Salzburg am Fachbereich Kunst-, Musik- und Tanzwissenschaft war sie lange am Kunsthistorischen Institut in Florenz (MPI), einem Forschungsinstitut zur Kunst- und Architekturgeschichte der Max-Planck-Gesellschaft tätig.


Publikationen

R. Sammern, J. Saviello (Hg.): Schönheit – Der Körper als Kunstprodukt. Kommentierte Quellentexte von Cicero bis Goya, Reimer, Berlin 2019
W.-D. Löhr, R. Sammern, J. Saviello (Hg.): Gemachte Menschen, in: Kritische Berichte, Ausg. 45, 2017
R. Sammern: Red, White and Black: Colors of Beauty, Tints of Health and Cosmetic Materials in Early Modern English Art Writing, in: Early Science and Medicine, Vol. 20, No.4/6, Special Issue, 2015