Virusinfektionen ziehen hĂ€ufig schwere bakterielle EntzĂŒndungen nach sich. Das Risiko fĂŒr Komplikationen durch solche SekundĂ€rinfektionen lĂ€sst sich durch Grippeimpfungen deutlich senken, wie aktuelle Studien belegen. © Ivan Diaz/unsplash.com

SchĂ€tzungen zufolge starben ca. 50 Millionen Menschen an der 1918 ausgebrochenen Spanischen Grippe. Auslöser der Pandemie war ein hochinfektiöser Abkömmling des Influenzavirus. Heute belegen historische und klinische Daten, dass in einem Großteil der FĂ€lle die Todesursache nicht die Viruserkrankung selbst war, sondern eine LungenentzĂŒndung durch bakterielle Infektion. Solche SekundĂ€r- oder Superinfektionen entstehen auf dem NĂ€hrboden einer vorangegangenen Virusinfektion und sind auch in Zeiten von Antibiotika noch besorgniserregend. So schĂ€tzen Wissenschaftler:innen, dass bei der Influenzapandemie von 2009 (umgangssprachlich „Schweinegrippe“) etwa ein Viertel der Verstorbenen mit Bakterien co-infiziert war. Forschende der Wiener UniversitĂ€t fĂŒr Bodenkultur (BOKU) konnten nun feststellen, dass eine Influenzaimpfung auch als Schutzschild gegen bakterielle SekundĂ€rinfektionen wirkt. Unter dem Projektnamen „VLPs zur PrĂ€vention bakterieller Post-Influenza-Infektionen“ widmete sich eine Forschungsgruppe um Reingard Grabherr und Projektleiterin Miriam Klausberger dem Thema. Die Wissenschaftler:innen setzten dabei eine aussichtsreiche moderne Impfstoffform ein.

Viren erleichtern den Einstieg

„Eine Grippeinfektion schafft Rahmenbedingungen im Körper, unter denen sich Bakterien leichter etablieren“, erklĂ€rt Klausberger. Besonders stark ist der Effekt in den ersten drei bis sieben Tagen nach der Virusinfektion. In diesem Zeitfenster können schon niedrige Bakteriendosen, die anderenfalls harmlos wĂ€ren, eine schwere Infektion auslösen. Allerdings lĂ€sst sich dieser Umstand nicht allein durch ein geschwĂ€chtes Immunsystem erklĂ€ren. „In der Immunantwort fehlen nach einer Virusinfektion wichtige Bestandteile. Aber darĂŒber hinaus aktiviert das Immunsystem Komponenten gegen das Virus, die bei einer bakteriellen Infektion kontraproduktiv sind“, sagt Klausberger. Dazu zĂ€hlen zum Beispiel Botenstoffe des Immunsystems, wie das Typ-I- (IFN-α/ÎČ) und Typ-II-Interferon (IFN-Îł). Sie schĂŒtzen gegen virale Infektionen, aber beeintrĂ€chtigen die Rekrutierung und Funktion von bestimmten Immunzellen, die fĂŒr eine effektive antibakterielle Immunantwort notwendig sind.

Bakterielle SekundĂ€rinfektionen kennt man neben Influenza auch von Rhinoviren, dem respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) oder SARS-CoV-2. „Wenn sich Viren in den Atemwegen vermehren, dann knabbern sie die OberflĂ€che der Ă€ußeren Zellschicht an“, schildert Klausberger. „Dadurch können Bakterien leichter an der Schleimhaut anhaften und sich vermehren.“ In den eingangs erwĂ€hnten Influenzapandemien nutzten besonders die Bakterienarten Staphylococcus aureus und Streptococcus pneumoniae den viralen SteigbĂŒgel. Beide Bakterienarten besiedeln unsere Atemwege hĂ€ufig auch unter normalen UmstĂ€nden, ohne Erkrankungen auszulösen. S. pneumoniae zum Beispiel lĂ€sst sich bei jedem zweiten Kind im Alter bis zu zwei Jahren nachweisen. „Mit dem Wissen, dass sich solche Bakterien bereits vor Ort bereithalten, bedeutet eine Influenzainfektion eine noch grĂ¶ĂŸere Gefahrenquelle“, warnt Klausberger.

Wie gut schĂŒtzt die Impfung?

Der Grundgedanke ihres Projekts ist simpel: „Wir wissen, dass eine Influenzainfektion den Boden fĂŒr bakterielle Komplikationen bereitet. Im Umkehrschluss kann es also vorteilhaft sein, die virale Infektion mit einer Impfung zu verhindern“, betont Klausberger. Um dieser These nachzugehen, kooperierten die Forschenden der BOKU mit dem Moskauer Mechnikov Forschungsinstitut fĂŒr Impfstoffe und Seren. Die österreichischen Forschenden stellten einen Influenzaimpfstoff her, der auf virusĂ€hnlichen Partikeln (virus-like particles, VLPs) basierte. Dieser wurde am russischen Institut zur Immunisierung von MĂ€usen fĂŒr die geplante Versuchsreihe genutzt. „VLPs sind ein PhĂ€nomen, das bei vielen Viren natĂŒrlicherweise vorkommt“, erlĂ€utert Klausberger. „Es handelt sich um defekte Partikeln, die bei der Virusvermehrung entstehen.“ Äußerlich sind sie von ihrem infektiösen GegenstĂŒck nicht zu unterscheiden. Aber da ihnen das genetische Material im Inneren fehlt, können sie sich nicht weiter vermehren. „Das macht VLPs zu einem relativ sicheren und sehr effektiven Impfstoffformat“, erklĂ€rt Klausberger.

Das Projekt „VLPs zur PrĂ€vention bakterieller Post-Influenza-Infektionen“ wurde in Kooperation mit dem Moskauer Mechnikov Forschungsinstitut von 2018 bis 2022 durchgefĂŒhrt und vom FWF mit 358.081 Euro gefördert.

Mittels Kryoelektronenmikroskopie können Forschende virusĂ€hnliche Partikel (virus-like particles, VLPs) sichtbar machen. Die leeren VirushĂŒllen sind ein Nebenprodukt im Vermehrungszyklus vieler Virenarten und haben großes Zukunftspotenzial fĂŒr die Impfstoffentwicklung. (Maßstab: schwarzer Balken = 100nm) © M. Klausberger

ZusĂ€tzlich zu den geimpften Tieren wurde in den Experimenten eine Gruppe ungeimpfter MĂ€use zur Kontrolle inkludiert. Bei allen Tieren erfolgte im ersten Schritt eine primĂ€re Infektion mit einem Influenzavirus. FĂŒnf Tage spĂ€ter wurden die MĂ€use zusĂ€tzlich mit S. aureus bzw. S. pneumoniae infiziert. Im Zuge des Versuchs ĂŒberprĂŒften die Forschenden den Impferfolg sowie den Krankheitsverlauf anhand diverser Parameter, zum Beispiel der im Blut nachweisbaren Antikörpertiter, der Verbreitung der Viren und Bakterien im Lungengewebe und der Anzahl an TodesfĂ€llen.

100 Prozent Überlebensrate

Nach insgesamt 18 Tagen hatten nur zehn Prozent der ungeimpften Kontrolltiere die SekundĂ€rinfektion mit S. aureus ĂŒberlebt. Im Gegensatz dazu lag die Überlebensrate bei denjenigen Tieren, die eine an die Influenzavariante angepasste Impfung erhalten hatten, bei 100 Prozent. Im Fall von S. pneumoniae ĂŒberlebte keines der ungeimpften Versuchstiere beide Infektionen, wohingegen es bei den geimpften Tieren 60 bis 70 Prozent waren.

„Wir konnten mit unseren Ergebnissen bestĂ€tigen, dass eine gute ImmunitĂ€t gegen Influenzaviren auch das Risiko fĂŒr Komplikationen durch SekundĂ€rinfektionen herabsenken kann“, fasst Klausberger zusammen. Außerdem profitierten die Forschenden vom Erfahrungsgewinn hinsichtlich der Herstellung und Aufreinigung von VLP-basierten Impfstoffen. „VLPs haben fĂŒr die Impfstoffentwicklung großes Zukunftspotenzial, da sie bereits bei geringen Impfstoffdosen sehr effektiv sind. Wir forschen gemeinsam mit anderen Gruppen der BOKU daran, die Produktion solcher Impfstoffe zu optimieren“, so Klausberger. VLP-basierte Impfstoffe existieren bereits fĂŒr Humane Papillomaviren (HPV) und das Hepatitis-B-Virus. PrĂ€parate gegen Influenzaviren durchlaufen aktuell klinische Studien.

Zur Person

Miriam Klausberger studierte Biotechnologie in Wien und war als Gastforscherin in Singapur, New York und Stockholm tĂ€tig. An der UniversitĂ€t fĂŒr Bodenkultur Wien ist sie Senior Scientist in der Forschungsgruppe um Reingard Grabherr, der Leiterin des Instituts fĂŒr Molekulare Biotechnologie. Das Projekt „VLPs zur PrĂ€vention bakterieller Post-Influenza-Infektionen“ wurde in Kooperation mit dem Moskauer Mechnikov Forschungsinstitut von 2018 bis 2022 durchgefĂŒhrt und vom Wissenschaftsfonds FWF mit 358.081 Euro gefördert.

Publikationen

Klausberger M., Leneva I.A., Egorov A., Strobl F. et al.: Off-target effects of an insect cell-expressed influenza HA-pseudotyped Gag-VLP preparation in limiting postinfluenza Staphylococcus aureus infections, in: Vaccine 38(4), Jan. 2020

Klausberger M., Leneva I.A., Falynskova I.N., Vasiliev K. et al.: The Potential of Influenza HA-Specific Immunity in Mitigating Lethality of Postinfluenza Pneumococcal Infections, in: Vaccines (Basel) 7(4), Nov. 2019