START-Preisträger Marcus Sperling
Der START-Preis holt Marcus Sperling von China zurück nach Wien, wo er seine Forschungen an der Schnittstelle von Physik und Mathematik vorantreiben wird, um reale physikalische Phänomene besser zu verstehen. © FWF

Welche Wissenslücken sollen mit Ihrem Projekt geschlossen werden?

Marcus Sperling: Wir arbeiten mit einer physikalischen Theorie namens Quantenfeldtheorie, die meist als QFT abgekürzt wird. Sie beschreibt physikalische Phänomene vom ganz Kleinen im subatomaren Bereich bis hin zu manchen Aspekten, die das ganze Universum betreffen. Eine Vielzahl an Voraussagen der QFT konnten in Experimenten wie zum Beispiel am Large Hadron Collider am CERN auch schon genau bestätigt werden.

Jedoch sind viele der Berechnungen, die aus der QFT hervorgehen, so kompliziert, dass sie einfach noch nicht durchgeführt werden können, denn selbst manche der mathematischen Grundlagen dieser Theorie sind noch nicht ganz verstanden. Das ist besonders ein Problem, wenn man versucht, die QFT auf komplexe und realistischere Systeme mit vielen Teilchen anzuwenden.

In der Physik untersucht man oft zuerst einfache Spezialfälle, um dann daraus nach und nach eine allgemeingültige Theorie zu bauen. Ich schaue mir in meiner Forschung daher eine besondere Art der Quantenfeldtheorien an, die supersymmetrischen QFTs. Diese haben bestimmte mathematische Eigenschaften, die es uns einfacher machen, mit ihnen exakte Berechnungen durchzuführen. Wir benutzen diese „vereinfachten“ QFTs als eine Art Laborumfeld, das uns erlaubt, die ganze Theorie besser zu verstehen.

Was sind nun die ersten Schritte?

Sperling: Wir nutzen supersymmetrische Quantenfeldtheorien, die realen physikalischen Systemen aus subatomaren Teilchen ähnlich sind. Da es sich dabei erst einmal nur um Gedankenkonstrukte handelt, können wir sogar Theorien in mehr Dimensionen als unseren drei Raum- und einer Zeitdimension untersuchen.

Marcus Sperling forscht derzeit am Shing-Tung Yau Center an der Southeast University in Nanjing in China an supersymmetrischen Quantenfeldtheorien an der Schnittstelle von Physik und Mathematik. Nach einem PhD an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität in Hannover arbeitete er als Postdoc an der Universität Wien und danach am Yau Mathematical Sciences Center an der Tsinghua University in Beijing, China.

„Unsere Forschung beschäftigt sich mit den Grundlagen unseres Verständnisses der Physik. “ Marcus Sperling

Die Mathematik gibt uns eine Liste an supersymmetrischen QFTs in verschiedenen Dimensionen, die wir uns als Erstes eine nach der anderen ansehen werden. Dabei starten wir von der Theorie in sechs Dimensionen. Das klingt sehr abstrakt, aber die Mathematik erlaubt uns damit zu arbeiten und dann zu QFTs in niedrigeren Dimensionen auf unserer Liste fortzuschreiten. So wie eine Biologin oder ein Biologe neue Spezies entdeckt, möchten wir auch alle Arten dieser speziellen QFTs beschreiben.

Wo kann Ihre Forschung Anwendung finden?

Sperling: Unsere Forschung beschäftigt sich mit den Grundlagen unseres Verständnisses der Physik. Nachdem wir die Quantenfeldtheorien in unserem Laborumfeld verstanden haben, können wir diese Einsichten auf realistischere QFT-Modelle anwenden. Außerdem kann einem die Physik auch neue Ideen und Intuition für mathematische Konstruktionen liefern, welche dann oft für die Mathematiker:innen interessant sind. Physik und Mathematik befruchten sich hier immer wieder gegenseitig mit Ideen.

„Der START-Preis ist ein Gütesiegel für Forschung. “ Marcus Sperling

Was bedeutet der START-Preis für Ihre Forschungstätigkeit?

Sperling: Der START-Preis ist ein Gütesiegel für Forschung. Es ist etwas Besonderes, ihn zu erhalten und sich nun mehrere Jahre einem Forschungsthema widmen zu können. Neu ist, dass ich nun ein eigenes Team aufbauen werde. Ich freue mich auch darüber, an der Universität Wien und am Erwin-Schrödinger-Institut für Mathematische Physik zu arbeiten. Dort gibt es ein kreatives und gut vernetztes Forschungsumfeld.

Was motiviert Sie im Forschungsalltag?

Sperling: Das Zusammenspiel von Physik und Mathematik finde ich sehr ansprechend. Man kann abstrakte Mathematik dazu nutzen, um reale physikalische Systeme zu beschreiben. Es ist auch immer eine Freude, mit meinen sehr talentierten Kolleg:innen zusammenzuarbeiten. Bei diesem neuen Projekt kommt hinzu, dass ich nun junge Wissenschaftler:innen bei ihrer Arbeit und in ihrer Karriere unterstützen und anleiten kann. Das ist eine schöne Herausforderung.

Haben Sie Vorbilder in der Forschung?

Sperling: Es gibt viele Forscher:innen, die mich geprägt haben, wie zum Beispiel mein Diplombetreuer Dominik Stöckinger an der TU Dresden, der mich in die Forschung eingeführt hat, und meine PhD-Betreuer Olaf Lechtenfeld und Alexander Popov, die mich zum selbstständigen Forschen angeleitet haben. Amihay Hanany vom Imperial College London, mit dem ich schon während meines Doktorats zusammengearbeitet habe, war und ist mit seinem großen Engagement und seiner Leidenschaft für Forschung, gepaart mit seinem immensen Wissen und seiner Intuition, ein großes Vorbild für mich.

Zum Projekt

Das Projekt „Phases of Quantum Field Theories: Symmetries and Vacua“ untersucht eine große, repräsentative Unterklasse von supersymmetrischen Quantenfeldtheorien und nutzt sie als Laboratorium, um die Grundlagen für eine allgemeinere Quantenfeldtheorie zu finden. Dabei nutzen die Forschenden neuartige mathematische Methoden, um die Grundzustände und Symmetrien in supersymmetrischen Quantenfeldtheorien in verschiedenen Dimensionen systematisch zu beschreiben.

Der FWF-START-Preis

Das Karriereprogramm des Wissenschaftsfonds FWF richtet sich an junge Spitzenforschende, denen die Möglichkeit gegeben wird, auf längere Sicht und finanziell weitgehend abgesichert ihre Forschungen zu planen. Der FWF-START-Preis ist mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert und zählt neben dem FWF-Wittgenstein-Preis zur prestigeträchtigsten und höchstdotierten wissenschaftlichen Auszeichnung Österreichs.