Die Wissenschaft sollte mehr kritischen Dialog über ihre Errungenschaften führen, sagt der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar. © Heike Huslage-Koch

FWF: Nachdem die Wissenschaft allmählich eine größere Sichtbarkeit und Akzeptanz erlangt hat, erfährt sie nun einen herben Rückschlag, indem ihre Leistungen infrage gestellt werden. Was ist passiert? Ranga Yogeshwar: Einige Bevölkerungsteile sind tatsächlich gerade dabei, sich von der Aufklärung zu verabschieden, also von der Dialogfähigkeit auf Basis einer gemeinsamen Grammatik. Zu dieser Grammatik zählen Kategorien wie Fakten oder Verifizierung. Diese Entwicklung mag durch einzelne Politiker oder Medien befördert worden sein. Meiner Meinung nach liegt dahinter aber ein globales Phänomen. Wir erleben, dass ein Teil der Bevölkerung das Vertrauen in diese Grundwerte der Aufklärung verloren hat. Es wird nicht mehr mit Fakten, sondern mit gefühlten Wahrheiten argumentiert. FWF: Wie konnte es soweit kommen? Yogeshwar: Das tiefere Narrativ versteckt sich in der Frage, wie wir mit Komplexität umgehen. Wir leben in einer Welt, die komplex ist, und das ist gut so. Die Kehrseite davon ist, dass wir im Kern Expertise brauchen, denn es gibt eine Vielzahl von Bereichen in unserem Leben, die wir nicht mehr durchschauen. Daher müssen wir Experten vertrauen. Doch dieses Vertrauen wird an einigen Stellen missbraucht, weil Spezialisten ihr Know-how für eigene Zwecke nutzen oder die Konsequenzen ihrer Entwicklungen nicht hinterfragen, man denke an die Finanzwirtschaft, wo mathematische Erkenntnisse in Algorithmen einfließen, die die Finanzwelt zunehmend destabilisieren. Ein anderes Beispiel ist der heftige Patentstreit, der rund um die Entdeckung der Genschere CRISPR ausgebrochen ist, getrieben durch ökonomische Argumente, die zu einer negativen Außenwahrnehmung führen. Stattdessen wäre es notwendig, einen gesellschaftlichen Dialog über solche Errungenschaften zu führen, an die eine Reihe von Fragen gekoppelt ist. FWF: Können die Wissenschafterinnen und Wissenschafter für diese Entwicklungen verantwortlich gemacht werden?

„Die Wissenschaft braucht einen hippokratischen Eid. “ Ranga Yogeshwar

Yogeshwar: Ich finde, ja. Die Wissenschaft braucht meiner Meinung nach einen hippokratischen Eid. Wir müssen uns bewusst sein, dass der Impact von Wissenschaft auf die Gesellschaft so groß geworden ist, dass der Wissenschafter nicht mehr nur souveräne Meister seiner Disziplin ist, sondern sich auch über daraus resultierende Konsequenzen Gedanken machen muss. Das haben zuletzt etwa der Dieselskandal oder der Fall Cambridge Analytica gezeigt. Bei Letzterem wurden Erkenntnisse aus der Psychologie für das manipulative Targeting von Wählern missbraucht. Hier braucht es eine klare Haltung und eine „Verantwortungskultur“ in der Forschung, die bereits während des Studiums vermittelt werden sollte.

50 Jahre FWF - 50 Jahre Spitzenforschung Aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums des FWF ist Ranga Yogeshwar am 10. September 2018 in Wien Gast beim ORF-Dialogforum "Wissenschaft auf dem Weg aus dem Elfenbeinturm“ im Rahmen des BE OPEN Science & Society Festival. Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Uni.PR-Netzwerk statt.

FWF: Muss an dieser Stelle nicht mehr noch die Politik in die Pflicht genommen werden? Yogeshwar: Auch der Wissenschafter ist in der Verantwortung, weil er erstens der Kompetenteste ist und zweitens eben die Konsequenzen seines Handelns bedenken muss. Da bin ich sehr streng. Der Wissenschafter braucht einen geschärften Blick, weil er die Erkenntnis und die Intelligenz hat, zu wissen, wie weit etwas gehen könnte,  und er daher auch für sich entscheiden muss, wo seine persönliche Grenze liegt. Google-Mitarbeiter haben unlängst öffentlich gegen eine Beteiligung an einem Militär-Projekt protestiert. Hier geht es nicht um das Einschränken der Wissenschaft, sondern das Ausweiten der Verantwortung. FWF: Da kommen die Medien ins Spiel. Wie können diese den von Ihnen eingeforderten kritischen Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit unterstützen? Yogeshwar: Medien spielen eine immens wichtige Rolle im Kontext einer Demokratie und haben folglich eine große Verantwortung, aber ein ähnliches Problem wie die auf Nutzen orientierte Wissenschaft. Wir haben in den vergangenen Jahren

„Das Ergebnis ist, dass die Medien selber unglaubwürdig werden.“ Ranga Yogeshwar

eine völlige Kommerzialisierung der Medien erlebt, mit dem Ziel, Geschäfte durch Erregtheit zu machen. Diese Logik der Medien hat zu einer Verstärkung von Fake News, Echokammern und ähnlichen Dingen geführt. Mit dem Ergebnis bedenklicher Konsequenzen für die Demokratie. Wir erleben einen dramatischen Rückgang an unabhängigem Journalismus, weil den klassischen Medien das Business-Modell fehlt. Damit wandert alles ins Netz ab. Das Ergebnis ist, dass die Medien selber unglaubwürdig werden. Und das ist in dem Moment gefährlich, wo eine Gesellschaft über vieles sachlich diskutieren müsste –, sie aber kein Forum mehr dafür hat. FWF: Citizen Science, also Forschung von und mit Bürgerinnen und Bürgern, erlebt im deutschsprachigen Raum gerade einen Boom. Was halten Sie davon? Yogeshwar: Citizen Science hat großes Potenzial. Ich selber war vor Jahren bei einem Projekt in Fukushima beteiligt, bei dem wir mit der Organisation „Safecast“ Daten zur Radioaktivität in der Umgebung erhoben, indem wir kleine Geigerzähler mit GPS und einer Flashcard versahen. Daraus entstand die genaueste geografische Datenkarte über Umweltstrahlung, die es je gab. Auch hier gab es das Problem des Vertrauens. Die große Leistung dieses Citizen-Science-Projekts war, dass wir es schafften, an unabhängige Werte zu kommen, die die Bürgerinnen und Bürger selber überprüfen können. FWF: Können Laienforscher also zu einem besseren Austausch von Wissenschaft und Öffentlichkeit beitragen? Yogeshwar: Zum Teil sicherlich, aber auch hier muss man sich klarmachen, dass das nur eine kleine Minderheit ist, die das anspricht. Was wir dringender brauchen, sind die genannten Bühnen, auf denen wir den gesellschaftlichen Dialog führen können. Die dürfen nicht in Echokammern stattfinden.


Ranga Yogeshwar ist Physiker, Wissenschaftsvermittler und Autor zahlreicher Bestseller. Er hat mehrere Jahrzehnte Wissenschaftsshows im deutschen Fernsehen moderiert und mitgestaltet, unter anderem „Quarks“ und „Kopfball“ im WDR, das Forschungs- und Umweltmagazin „Globus“ in der ARD und die daraus hervorgegangene Sendung „W wie Wissen“ sowie „Die große Show der Naturwunder“. Seit 2008 arbeitet Yogeshwar als unabhängiger Wissenschaftsjournalist und Moderator. Er hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten.