Mathematikerin Erika Hausenblas entwickelt Methoden zur FehlerabschĂ€tzung mithilfe von Differenzialgleichungen. © Shutterstock

Differenzialgleichungen sind die wichtigsten Werkzeuge der Physik. Von Newtons Gravitationsgesetz bis zu den Gleichungen der Quantenphysik – es gibt kaum ein Naturgesetz, das nicht in Form von Differenzialgleichungen formuliert ist. Sie beschreiben die Änderung einer bestimmten Eigenschaft eines Systems im Lauf der Zeit. Wer das Änderungsverhalten einer GrĂ¶ĂŸe kennt, kann damit ihren Wert in der Zukunft exakt bestimmen – in der Theorie.

Den Zufall integrieren

In jeder realen Anwendung gibt es hingegen zufĂ€llige Störungen, die das Ergebnis verfĂ€lschen. In manchen Situationen, etwa bei strömenden FlĂŒssigkeiten, können selbst kleine Störungen das Verhalten so stark verĂ€ndern, dass es sinnvoll ist, ein Zufallselement in die Gleichungen selbst zu integrieren. Die dabei entstehenden „Stochastischen partiellen Differenzialgleichungen“ sind das Arbeitsgebiet von Erika Hausenblas, die als Professorin an der MontanuniversitĂ€t Leoben forscht. In einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt untersucht sie die stochastische Version der sogenannten „Navier-Stokes-Gleichungen“, die das Strömungsverhalten von FlĂŒssigkeiten und Gasen beschreiben. Die Gleichungen wurden in der ersten HĂ€lfte des 19. Jahrhunderts erstmals formuliert und sind aus der Technik nicht wegzudenken, egal, ob es um die Aerodynamik von Flugzeug-TragflĂ€chen geht, das Fließen von Wasser in Leitungen oder um den Blutfluss in Adern. Bei ihrer stochastischen Version gibt es allerdings einige LĂŒcken im VerstĂ€ndnis. „Es handelt sich um ein relativ junges Gebiet“, sagt Erika Hausenblas. „Das erste Buch zu stochastischen partiellen Differenzialgleichungen erschien in den 1990er-Jahren. Man versucht hier, die ZufĂ€lligkeit nicht zu eliminieren, sondern mit ihr zu rechnen und sie zu beschreiben.“ Bei diesen Gleichungen gebe es also keine exakte Lösung, als Ergebnis erhalte man eine Wahrscheinlichkeitsverteilung. Es gelte vor allem, die Unsicherheit abzuschĂ€tzen. „In der Finanzmathematik werden solche Gleichungen bereits intensiv verwendet“, sagt Hausenblas.

Fehlende Werkzeuge fĂŒr den Druck

Das von ihr geleitete FWF-Projekt dreht sich konkret um einen Teil der Navier-Stokes-Gleichungen, der den Druck beschreibt. Der Druck strömender FlĂŒssigkeiten ist etwa wichtig fĂŒr das VerstĂ€ndnis der „Kavitation“, bei der in FlĂŒssigkeiten durch Unterdruck kurzzeitig Gasblasen entstehen und wieder kollabieren. Dabei kommt es zu heftigen Schockwellen, dieser Effekt ist die hĂ€ufigste Ursache fĂŒr SchĂ€den in Wasserrohren oder bei Turbinen. „FĂŒr den Druck fehlt es aber sowohl an Simulationsmethoden, als auch an Methoden zur FehlerabschĂ€tzung“, so Hausenblas. Diese Fragen wurden zuvor noch nie betrachtet. Hausenblas betont die praktische Relevanz dieser Arbeit. In der Meteorologie etwa werden die Navier-Stokes-Gleichungen hĂ€ufig verwendet, DruckverĂ€nderungen haben hier eine entscheidende Bedeutung. Allerdings sei der Einsatz der stochastischen Navier-Stokes-Gleichungen hier nicht ĂŒblich, obwohl damit eventuell genauere Wettervorhersagen möglich wĂ€ren.

Forschernachwuchs aus Kamerun

Als Dissertant forschte der junge Mathematiker Tsiry Randrianasolo in dem Projekt mit. Er ist Absolvent des Afrikanischen Instituts fĂŒr Mathematik (AIMS), das an sechs Standorten auf dem afrikanischen Kontinent ein Master-Programm anbietet. Das Projekt lĂ€uft noch bis November, erste Ergebnisse wurden bereits zur Publikation eingereicht, weitere Publikationen sind in Vorbereitung.

Unsicherheit bringt Vorteile

Hausenblas erwartet, dass es noch einige Jahre dauern kann, bis die neuen Methoden sich im Ingenieurwesen durchsetzen. Das brauche auch ein Umdenken. Stochastische Differenzialgleichungen seien nicht ĂŒberall beliebt, weil sie als weniger anschaulich gelten. Vielfach werde versucht, Fehlerwahrscheinlichkeiten auf null zu reduzieren. „Manchmal wĂ€re es aber sinnvoller, ein Element der Unsicherheit in der Berechnung zu berĂŒcksichtigen.“ In diesem Zusammenhang verweist die Mathematikerin auf die Wichtigkeit der Finanzierung solcher Grundlagenprojekte durch den FWF. Diese hat ihr ermöglicht, eine eigene Forschungsgruppe zu diesen speziellen wissenschaftlichen Fragestellungen aufzubauen.


Zur Person Erika Hausenblas ist Professorin an der MontanuniversitĂ€t Leoben und Inhaberin des Lehrstuhls fĂŒr Angewandte Mathematik. Ihr besonderes Interesse gilt Stochastischen Partiellen Differenzialgleichungen. Sie erhielt den Christian-Doppler-Preis und den Preis der APART-Gesellschaft der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.


Publikationen

Fernando, Pani W.; Hausenblas, Erika; Razafimandimby, Paul: Analytic Properties of Markov Semigroup Generated by Stochastic Differential Equations Driven by LĂ©vy Processes. Potential Anal. 46, 2017, no. 1, 1–21
Hausenblas, Erika; Razafimandimby, Paul AndrĂ©: Controllability and qualitative properties of the solutions to SPDEs driven by boundary LĂ©vy noise. Stoch. Partial Differ. Equ. Anal. Comput. 3, 2015, no. 2, 221–271
Carelli, Erich; Hausenblas, Erika; Prohl, Andreas: Time-splitting methods to solve the stochastic incompressible Stokes equation. SIAM J. Numer. Anal. 50, 2012, no. 6, 2917–2939
BrzeĆșniak, ZdzisƂaw; Hausenblas, Erika: Maximal regularity for stochastic convolutions driven by LĂ©vy processes. Probab. Theory Related Fields 145, 2009, no. 3-4, 615–637