Portrait Dan Batovici
FWF-START-Preisträger und Altphilologe Dan Batovici geht der Frage nach, warum einzelne zweitrangige frühchristliche Figuren einen hohen Stellenwert in spätantiken und mittelalterlichen Schriften erlangen konnten. Im Projekt „Generative Authority“ erforscht er deren Bedeutung in griechischen, koptischen, armenischen und syrischen Handschriften. © FWF/Daniel Novotny

Sie beschäftigen sich mit Texten, die mit bedeutenden frühchristlichen Figuren in Verbindung gebracht werden. Können Sie das Forschungsfeld kurz umreißen?

Dan Batovici: Wir alle kennen die Apostel: zwölf Jünger, die Jesus nachfolgten. Es sind enorm viele Texte außerhalb des Bibelkanons überliefert, die mit ihnen in Verbindung stehen – die sogenannte apokryphe Literatur. Hinter den Aposteln mit ihrer besonders hohen Bedeutung steht aber noch eine weitere Gruppe frühchristlicher Figuren. Sie sind zwar zweitrangig, aber dennoch in der einen oder anderen Weise eng mit der neutestamentlichen Erzählung assoziiert – meist weil sie eine Verbindung zu den Aposteln hatten. Diese Figuren sind Teil einer zweiten Generation von Christen und die ersten, die von einem „Christentum“ sprechen. Zu ihnen gehören Ignatius von Antiochien, Clemens von Rom, aber auch Thekla von Ikonium, die eine Schülerin des Apostels Paulus gewesen sein soll. Über diese zweitrangigen Figuren – oder auch in ihrem Namen – wurden über zwölf Jahrhunderte hinweg Texte verfasst. Diese Schriften sind Gegenstand meines Projekts.

Wie untersuchen Sie diesen Textkorpus?

Batovici: Bisher wurden diese Texte lediglich als Teil unterschiedlicher Sammlungen untersucht. Ich betrachte diese Schriften und ihre Entwicklung über die Jahrhunderte hinweg erstmals als eigenständiges Ganzes. Die meisten Schriften wurden auf Griechisch verfasst, später aber in viele andere antike Sprachen übersetzt. Davon wähle ich drei aus: Koptisch, Syrisch und Armenisch. Ich betrachte die Schriften über die verschiedenen Sprachen hinweg als Netzwerk und versuche Entwicklungen zu erkennen, die bisher verborgen blieben.

Zur Person

Dan Batovici studierte Klassische Philologie in Bukarest sowie Theologie und Religionswissenschaften in Cambridge und St. Andrews. Er ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Theologie und Religionswissenschaft der Katholieke Universiteit Leuven tätig, wo er 2015 auch promovierte. In der Vergangenheit war Batovici, dessen Forschungsschwerpunkt auf frühchristlichen Schriften liegt, bereits Gastwissenschaftler an der University of Cambridge und am Wolfson College in Oxford. Aktuell forscht er als Gastwissenschaftler an der Universität Wien. Das START-Projekt wird er an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften durchführen.

„Ich möchte verstehen, wie sich um diese Nebenfiguren eine derart produktive Literaturtraditon etablieren konnte.“ Dan Batovici

Welche konkreten Fragen möchten Sie beantworten?

Batovici: Ich versuche zu verstehen, wie sich um diese Nebenfiguren eine derart produktive Literaturtradition etablieren konnte, die mit jenen der Apostel vergleichbar ist. Gleichzeitig möchte ich herausfinden, warum einzelne dieser Figuren innerhalb von lokalen Traditionen eine besonders hohe Bedeutung erlangen konnten. Beispielsweise werden einige Schriften, die Clemens von Rom zugeschrieben werden, im syrischen Mittelalter in das Manuskript des Neuen Testaments aufgenommen. Die beiden Briefe des Clemens wurden im 12. Jahrhundert in die Liturgie des westsyrischen Raums aufgenommen. Ihm wird dort eine ähnlich hohe Autorität zugestanden wie den Aposteln, obwohl er in der frühchristlichen Rangordnung eigentlich weit hinter ihnen firmiert. Diese Entwicklungen gibt es in keinen anderen Traditionen und Sprachräumen. Ich möchte beantworten, wie es zu derartigen Phänomenen in der Rezeptionsgeschichte der sekundären frühchristlichen Figuren kommen konnte.

Was werden nun Ihre ersten Schritte sein?

Batovici: Ich werde meine Forschungsgruppe aufbauen und so bald wie möglich mit der Arbeit beginnen. Ich betreibe mit Kolleg:innen ein Online-Forschungsseminar für Manuskriptstudien. Das bedeutet, dass wir über ein großes Netzwerk an Nachwuchsforschenden in diesem Bereich verfügen. Schon beim Verfassen des Projektantrags hatte ich bestimmte Kandidat:innen im Kopf, die Teil der Gruppe werden sollen.

Was bedeutet der START-Preis für Ihre Forschungstätigkeit?

Batovici: Die größte Veränderung ist, dass ich nun erstmals ein Team leiten werde. Damit ergibt sich eine neue Dynamik, die entscheidenden Einfluss auf meine Karriere haben und sie stabiler machen wird.

Zum Projekt

Das Projekt „Generative Authority“ untersucht die komplexe Rezeption der Literatur, die im Zusammenhang mit bekannten sekundären frühchristlichen Figuren steht. Ihnen wird in verschiedenen spätantiken und mittelalterlichen Manuskriptkulturen zum Teil sehr unterschiedliche Bedeutung zugestanden. Im Projekt wird die „generative Autorität“ dieser Figuren erstmals in einer Gesamtheit von griechischen, koptischen, armenischen und syrischen Handschriften erforscht.

„Das eigentlich Interessante ist die Alltagsarbeit, in der ich Schritt für Schritt tiefer in diese Handschriften eintauche.“ Dan Batovici

Ihre Forschungen verlangen viel langwieriges Textstudium. Wie bleiben Sie motiviert?

Batovici: Man könnte glauben, dass es bei meiner Arbeit nur hin und wieder interessante Entdeckungen gibt, die dann veröffentlicht werden. Aber in Wahrheit sammle ich jeden Tag Daten, die für mich wichtig sind. Irgendwann systematisiert man dann alle diese angesammelten Erkenntnisse in einer Publikation. Aber das eigentlich Interessante ist die Alltagsarbeit, die mich Schritt für Schritt tiefer in die Welt dieser Handschriften eintauchen lässt.

Der FWF-START-Preis

Das Karriereprogramm des Wissenschaftsfonds FWF richtet sich an junge Spitzenforschende, denen die Möglichkeit gegeben wird, auf längere Sicht und finanziell weitgehend abgesichert ihre Forschungen zu planen. Der FWF-START-Preis ist mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert und zählt neben dem FWF-Wittgenstein-Preis zur prestigeträchtigsten und höchstdotierten wissenschaftlichen Auszeichnung Österreichs.