Der sogenannte „Donut“ von Altmetric.com

Wer hat am meisten publiziert, welcher Artikel wird wo und wie hĂ€ufig zitiert? – In der Wissenschaft dreht sich seit vielen Jahren alles um die sogenannten Impact-Faktoren, die bestimmen, wer erfolgreich ist und wer nicht. Im Bereich der Messung des Impacts verstehen sich Altmetrics als „alternative Metriken“ zu den klassischen wissenschaftlichen Zitierungen, indem sie die Aufmerksamkeit abbilden, die eine Veröffentlichung in online zugĂ€nglichen Medien erhĂ€lt – unter anderem auf Plattformen wie Facebook und Twitter, aber auch in anderen Quellen, wie zum Beispiel politischen Dokumenten. Altmetrics lassen sich als die Auswertung vielfĂ€ltiger ErwĂ€hnungs- und Nutzungsdaten von wissenschaftlichen BeitrĂ€gen verstehen, mit dem Ziel, ein facettenreiches Bild der öffentlichen Wahrnehmung und Relevanz von Forschungsleistungen zu zeichnen. Altmetrics wollen aber andere Impact-Messungen nicht ersetzen, sondern diese ergĂ€nzen.

Woher kommen Altmetrics-Daten?

Der Wissenschaftsfonds FWF bezieht Datenmaterial von dem britischen Unternehmen Altmetric.com, einem der zurzeit wichtigsten Anbieter. Altmetric.com durchsucht 19 Online-Datenquellen auf ErwĂ€hnungen oder Nutzungen von vorab festgelegten Publikationen. Diese können je nach Typus nur eine Quelle umfassen (zum Beispiel Twitter oder Wikipedia) oder aber aus vielen Einzelquellen bestehen –, so werden etwa rund 9.000 Blogs analysiert. Das Gesamtergebnis dieser Suche bezogen auf eine konkrete Publikation wird in Form eines so genannten „Donuts“ prĂ€sentiert (siehe Bild oben), dessen Farbenvielfalt die HeterogenitĂ€t der Quellen darstellt, in denen die Publikation vorkommt. Die Datengrundlage bei Altmetric.com ist also umfangreich und vielfĂ€ltig, aber nicht unumstritten: Es ist keine empirische oder konzeptuelle BegrĂŒndung der Quellenauswahl erkennbar, und trotz des Datenreichtums sind viele politisch national/regional relevante Quellen nicht erfasst. Im Vordergrund stehen englischsprachige Quellen, wenn auch einige deutschsprachige und österreichische Tages- oder Wochenzeitungen inkludiert sind, wie etwa die Online-Ausgaben von „Der Spiegel“, „Der Standard“ oder „Die Presse“.

Was sagen Altmetrics aus? Und was nicht?

Die Aussagekraft von Altmetrics ist derzeit noch in Diskussion. Aber offenbar lĂ€sst sich ein breiterer, ĂŒber das Wissenschaftssystem hinausgehender Impact von Forschung ermitteln, der nicht parallel zum rein wissenschaftlichen Erfolg verlĂ€uft. Dies wird als gesellschaftliche Auswirkung („Societal Impact“) gewertet, wobei aber noch nicht ganz klar ist, was genau gemessen wird. Nachvollziehbar ist, dass ErwĂ€hnungen von Publikationen in Patenten, in LehrbĂŒchern und medizinisch-klinischen Richtlinien sowie „Policy Documents“ als gute Möglichkeit gelten, gesellschaftlichen Impact von Forschung zu erfassen. ErwĂ€hnungen und Besprechungen auf Twitter oder Facebook hingegen weisen nicht notwendigerweise auf die Relevanz von ForschungsbeitrĂ€gen hin, sondern belegen zuvorderst das Interesse und die Neugier einer bestimmten Lesergruppe. Vor diesem Hintergrund ist die Ă€ußerst differenzierte Ergebnisdarstellung bei Altmetric.com durchaus zielfĂŒhrend, die Aggregation zu einem Gesamtwert aber fraglich. Die GrĂ¶ĂŸenordnung dieses Wertes ist inhaltlich kaum zu interpretieren, denn: Was bedeutet etwa der Wert 1.348 wie im Bild oben? Abgesehen von der Decodierung der komplizierten Berechnungsgrundlage wĂ€re eine Angabe erforderlich, ob 1.348 ein durchschnittlicher oder vielleicht herausragender Wert ist. Dies setzt die Normierung solcher Daten voraus. Die Schwierigkeit der inhaltlichen Interpretation wird durch UnzulĂ€nglichkeiten im empirischen Material verstĂ€rkt. Der Gesamt-Score scheint von Twitter-Daten dominiert, deren Brauchbarkeit in Zweifel steht. Auch die Manipulierbarkeit bestimmter Indikatoren (etwa Download- oder Read-HĂ€ufigkeiten) stellt ein Problem dar. Altmetric.com ist sich solcher SchwĂ€chen bewusst und diskutiert sie. Ein abschließendes Urteil sollte noch nicht gefĂ€llt werden, denn Altmetrics stehen noch am Anfang ihrer Entwicklung. Was sagen uns Altmetrics nun? Grundlegend zeigen sie die Resonanz auf ForschungsbeitrĂ€ge in Teilen der Gesellschaft auf. DarĂŒber hinaus haben bestimmte Indikatoren das Potenzial, „Societal Impact“ zu belegen, wĂ€hrend andere, durchaus prominente Altmetrics-Quellen wie Twitter oder Facebook sich dazu wohl nicht eignen. Und was leisten Altmetrics offensichtlich nicht? – Die Messung der QualitĂ€t von Forschung.

Warum testet der FWF Altmetrics?

Die Legitimierung einer Forschungsförderorganisation grĂŒndet sich unter anderem auf die wissenschaftliche QualitĂ€t und den Scientific Impact der geförderten Forschungen, was sich ĂŒber die Analyse von erhaltenen Zitierungen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften ermitteln lĂ€sst. – Der FWF hat solche Analysen bereits durchgefĂŒhrt. Eine gesellschaftliche Relevanz ist schwierig zu erfassen, es ist aber zunehmend von Bedeutung, eine solche demonstrieren zu können, anstelle lediglich zu postulieren. Aus diesem Grund testet der FWF Altmetrics mit der Fragestellung, ob ein direkter Impact von Grundlagenforschung abseits des Wissenschaftssektors belegbar ist. Von Interesse ist dabei auch, ob und wie die EinschĂ€tzung der Bedeutung von Grundlagenforschung durch alternative Kennwerte sinnvoll ergĂ€nzt werden kann. Altmetrics sind nicht frei von SchwĂ€chen, aber sie bieten Potenziale. Aufgrund ihrer Reichhaltigkeit und Möglichkeiten sind sie es wert, erprobt zu werden.

WofĂŒr der FWF Altmetrics nicht verwenden wird!

Die Erprobung des Instruments Altmetric.com bezieht sich auf die geförderte Forschung in ihrer Gesamtheit. Das verfĂŒgbare Datenmaterial wird nicht herangezogen, um Bewertungen einzelner Wissenschafterinnen und Wissenschafter vorzunehmen und in zukĂŒnftige Förderentscheidungen einfließen zu lassen.

Ralph Reimann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des FWF in der Abteilung „Strategie – Policy, Evaluation, Analyse“ mit Fokus auf Datenanalysen. Weitere Informationen unter: http://orcid.org/0000-0002-5151-4154

Mehr Informationen Altmetrics FWF-Ergebnisse

Dieser Beitrag stĂŒtzt sich auf folgende Veröffentlichungen:

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