Publikum beieinem Open-Air Musik-Festival auf einer Wiese
Datenschutzsichere und smarte Tools auf Basis künstlicher Intelligenz können für Contact Tracing auch nach Covid-19 verwendet werden, etwa um Menschenansammlungen zu vermeiden. © Aranxa Esteve/unsplash

Schon lange haben die meisten Menschen Kulturbetriebe oder Fußballstadien nicht mehr von innen gesehen. Bevor Veranstalterinnen und Veranstalter ihre Türen schließen mussten, nutzten sie verschiedene Methoden des Contact-Tracing. Datenschutz war bei vielen dieser Angebote offenbar fehl am Platz. Sophie Grünbacher ist Doktorandin eines vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts am Institut für Logic and Computationder Technischen Universität Wien. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Philipp Neubauer gründete sie neben ihrer Forschungstätigkeit den Online-Ticketanbieter „Absolut Ticket“ – die Plattform hinter Vereinstix, einem sicheren Tool für Datenhinterlegung.  

Vereinstix funktioniert so: Will zum Beispiel ein Fußballverein ein Spiel abhalten, bekommt er ein Plakat mit einem eigenen QR-Code zugeschickt, das bei der Veranstaltung aufgehängt werden kann. Jeder Gast scannt den Code und gibt seine Mailadresse oder Telefonnummer bekannt. Erreicht einen Besucher nach der Veranstaltung ein positiver Covid-19-Bescheid, kümmert sich Vereinstix anonym um die Kontaktaufnahme der anderen Besucherinnen und Besucher. Die Daten werden auf einem österreichischen Server ohne fremde Cookies und getrennt voneinander gespeichert. Mit dem Sitz in Österreich greifen auch DSGVO-Regeln und entsprechende Kontrollen. Auch der Veranstalter selbst hat keinen Zugriff auf die Daten. Nach 28 Tagen werden diese automatisch gelöscht. Außerdem wird eine sogenannte asymmetrische Verschlüsselung verwendet. Man braucht also den einen, digitalen Schlüssel, um die Daten zu speichern, jedoch einen anderen, um diese Information wieder zu entschlüsseln – und diese Information liegt nur bei Vereinstix.

Kostenlose, datensichere Lösungen

Zu der Zeit, in der noch Veranstaltungen stattfanden, war das Tool von Grünbacher und ihrem Partner sehr gefragt. Rund 200 Vereine hatten es in Verwendung. Als pandemiebedingt Fußballspiele und Co abgesagt wurden, war es die Gastronomie, die eine Registrierpflicht und somit eine Lösung für Contact-Tracing benötigte. Viele Restaurants griffen zum Zettel, also zur analogen Variante. Die digitalen Lösungen, die verwendet wurden, stammten meist von großen Unternehmen wie Microsoft oder Google: „Bei solchen Formularen willigt man meist ein, dass die Daten auch für Marketingzwecke verwendet werden können. Deswegen haben wir dann aus Prinzip gesagt, wir machen unsere Lösung kostenlos für die Gastronomie.“

Rund 250 Unternehmen – darunter auch größere Supermarktketten und Kantinen in Betrieben – verwendeten die datensichere Vereinstix-Variante. Meldete jemand einen Verdacht auf Covid-19, wurden die Tischnummern rundherum oder Gäste im gleichen Zeitfenster kontaktiert. Sehr oft kam das schlussendlich jedoch nicht vor. „Wir glauben, dass sich viele Restaurants am Ende nicht gemeldet haben, weil sie vielleicht Angst hatten, dass der Fall dann in die Medien kommt.“ Grünbacher und Neubauer denken deshalb bereits über eine Verbesserung des Tools nach. Sie wollen eine End-to-End-Verschlüsselung integrieren, ähnlich der des beliebten Nachrichtendienstes Signal. Der Unterschied zur asymmetrischen Verschlüsselung? Meldet jemand einen Fall, erfährt niemand davon – auch nicht Vereinstix selbst. Ein extra Vertrauensschritt sozusagen. Ob die beiden die verbesserte Variante umsetzen können, hängt jedoch von der Finanzierung ab.

Neue Konkurrenz für Datenanalysten 

Kurz nach der Entwicklung von Vereinstix gründeten Grünbacher und Neubauer die Firma DatenVorsprung mit dem Slogan „Zukunft made in Austria“. Das Ziel ist nicht gerade niedrig gesteckt: Sie wollen der Macht amerikanischer Unternehmen entgegenwirken und vertrauenswürdige Datenanalysen anbieten, die noch dazu auf Servern in Österreich erfolgen. Ähnlich wie Google Analytics bieten sie so Visualisierungen, Besucherstromanalysen oder Besucherstromprognosen an – alles auf Basis künstlicher Intelligenz. „Wir wollen zeigen, dass man sehr viel Nutzen aus Daten ziehen kann, ohne dass man sie missbraucht“, sagt Grünbacher. Viele Unternehmen hätten schon dementsprechende Daten, wüssten jedoch nicht, was sie alles damit machen können.

Im Anschluss an ihr Studium der Technischen Mathematik landete Grünbacher in der Forschungsgruppe „Cyber-Physical Systems“der Technischen Universität Wien. Vertrauenswürdige Algorithmen, die auf künstlicher Intelligenz basieren, sind auch das Thema ihrer Doktorarbeit. Was genau vertrauenswürdig bedeutet, muss dabei definiert werden. „Stellen wir uns einen Wagen mit einem Pendel vor, das man austarieren möchte. Wir können manuell alle möglichen Winkel ausprobieren, oder man definiert in Modellierungen unsichere Bereiche, in denen das Pendel umfallen würde“, erklärt Grünbacher. Das gleiche könne man zum Beispiel auf das autonome Fahren umlegen: Der unsichere Bereich wäre hier, nicht zu nah an ein anderes Auto oder einen Menschen zu kommen.

Momentan sind die Hürden mathematischer Natur. „Diese Systeme sind meistens riesige neuronale Netze. Um das einzugrenzen, verwenden wir Differentialgleichungen“, erklärt die Mathematikerin. So könne die benötigte Rechenleistung des Computers verringert werden. Die Methode könnte wiederum beim Corona-Management von Bedeutung sein. Etwa wenn es um Tourismus und Besucherstromlenkung geht: „Wir modellieren einen Ort mit vielen sogenannten Points of Interest, also einem Freibad, Streichelzoo und so weiter. Dann schauen wir, wie sich die Besucher bewegen können – und zwar so, dass keiner der Orte überfüllt ist. Eine sichere künstliche Intelligenz hilft nicht nur bei Menschenansammlungen in Zeiten von Covid-19, sondern trägt zum Beispiel auch dazu bei, Umwelteinflüsse von Tourismus und Overtourism zu vermeiden.“ Nun heißt es nur noch warten, dass die Tools auch zum Einsatz kommen können.


Zur Person

Sophie Grünbacher ist Doktorandin in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt am Institut für Logic and Computation der Technischen Universität Wien. Sie studierte Technische Mathematik und interessiert sich für technische Lösungen im Bereich der künstlichen Intelligenz mit Fokus auf AI-Marketing. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Philipp Neubauer hat Grünbacher 2020 den Online-Ticketanbieter Absolut Ticket aufgebaut, die Plattform hinter Vereinstix.