Ein Ensemble, das perfekt kommuniziert, ist ein einmaliges Hörerlebnis. Jeder Einsatz sitzt und Bläser, Streicher, Schlagwerker verschmelzen zu einem Klangkörper. © Markus Sepperer/Wien Modern

Das Ganze ist oft mehr als die Summe der einzelnen Teile, besonders in der klassischen Musik. Ensembles und Orchester sind auf komplexe Kommunikationsfähigkeiten einzelner Musikerinnen und Musiker angewiesen und werden so erst zu einem organischen Ganzen. Dabei bildet eine durch Kreativität und Originalität bedingte Unvorhersagbarkeit in der Aufführung einen scheinbaren Widerspruch zu der Anforderung eines harmonischen, fehlerfreien Zusammenspielens der Ensemblemitglieder. Wie dieser Widerspruch in der musikalischen Praxis aufgelöst wird, ist bisher nicht genau verstanden. Die Psychologin und ausgebildete Pianistin Laura Bishop vom Austrian Research Institute for Artificial Intelligence (OFAI) nähert sich dem Thema nun in einem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt. Sie hat empirische Methoden entwickelt, um die Kommunikationswege beim Aufführen klassischer Musik zu analysieren.

Die Bewegungen von Duetten aufzeichnen

„Wir begannen mit der Untersuchung von Paaren, die Duette spielen“, sagt Bishop. „Wir nutzten Methoden zur Bewegungsanalyse und verfolgten die Bewegungen der Augen.“ Dazu wurde ein Raum des Forschungspartners an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien quasi zum Labor umgebaut und mit Infrarotkameras ausgestattet. Die Musikerinnen und Musiker tragen Westen, auf denen reflektierende Knöpfe angebracht sind, und spezielle Brillen, um die Augenbewegungen aufzuzeichnen. „Wir gaben ihnen dann ein Musikstück, das speziell für diesen Zweck geschrieben wurde, und baten sie, es einzuüben“, so Bishop. „Das Stück war nicht besonders schwierig zu spielen, hatte aber einen Zwischenteil ohne bestimmten Rhythmus, wo das Timing unregelmäßig wird.“ Das wurde mit 21 Duos durchgeführt. Man habe sich besonders dafür interessiert, wie sich die Bewegungen in diesem Teil des Stücks verändern. Es zeigte sich unter anderem, dass die Bewegungen der Musizierenden einander ähnlicher werden, je länger das Stück eingeübt wurde.

Computermethoden, wie die Analyse der Augenbewegungen, sollen Aufschluss darüber geben, wie Musikerinnen und Musiker miteinander kommunizieren. © Werner Goebl

Ein Computer, der Menschen imitiert

Ausgehend von diesem experimentellen Aufbau wollen Bishop und ihr Team nun betrachten, wie sich das Verhalten verändert, wenn eine einzelne Person mit einem Computer zusammenspielt. Dazu wird, in Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen ihres Forschungsinstituts, ein Computersystem entwickelt, das in der Lage ist, zuzuhören und auf Tempowechsel sowie Fehler einzugehen. Das sei nach wie vor eine Herausforderung, erklärt Bishop: „Unser derzeitiges System ist in der Lage, lauter oder leiser zu spielen, die Artikulation zu verändern und einige Zusatzinformationen vom Notenblatt zu übernehmen, etwa ein Crescendo – eine Steigerung. Das System verhält sich also wie jemand, der ein bestimmtes Wissen über die Konventionen in der klassischen Musik hat.“ Die Herausforderung liege nun einerseits in der Variabilität: Menschen machen beim Spielen kleine Fehler, aber eben typisch menschliche Fehler. „Das zu imitieren ist schwierig. Daran arbeiten wir“, so die Forscherin. Eine andere Herausforderung ist, dass beim Spielen eines Stücks meist eine Person der anderen folgt. „Diejenige Person, die die Melodie spielt, übernimmt meist die Führung, die begleitende Person folgt.“ Das vorläufige System sei derzeit in der Lage, zu folgen, aber nicht die Führung zu übernehmen. All diese Dinge sind aber nur Vorarbeiten. „Unser Ziel ist es, herauszufinden, was nötig ist, damit eine Person das Gefühl hat, mit einem Menschen zu spielen und nicht mit einem Computer“, so die Forscherin. Das erinnert stark an ein berühmtes Gedankenexperiment aus der Forschung über Künstliche Intelligenz, den „Turing-Test“, wie Bishop bestätigt: Darin unterhält sich ein Mensch mit einem Computer. Kann die Testperson den Computer nicht von einem echten Menschen unterschieden, gilt der Test als bestanden.

Genaueres Verständnis von Menschen als Ziel

In Laura Bishops Forschung geht es aber nicht darum, Menschen bei der Aufführung von klassischer Musik durch Computer zu ersetzen. Die Computermethoden dienen in erster Linie zur genaueren Analyse der menschlichen Verhaltensweisen, und diese will die Forscherin besser verstehen. „Menschen sind nicht perfekt, sie unterscheiden sich. Das erzeugt eine gewisse Unsicherheit darüber, was genau passieren wird. Ein klassisches Musikstück kann bei jeder Aufführung anders klingen.“ Das sei Teil der Spannung, so Bishop. Ein Computersystem, das gemeinsam mit einem Menschen klassische Musik spielen kann, könne das nicht ersetzen, sei aber dennoch aus praktischen Gründen interessant. „Die wichtigsten Nutznießer eines solchen Begleitsystems wären Studierende, die ein Stück einüben wollen. Die Übungszeit mit Partnern ist immer limitiert, ein Computersystem wäre hier eine große Hilfe.“ Bishop, die aus Kanada stammt und dort am Konservatorium Klavier studierte, betont den hohen Stellenwert des Standorts Wien für ihre Arbeit. Sie arbeitet eng mit dem Institut für musikalische Akustik der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien zusammen. „Kaum ein anderes Institut auf der Welt hat Zugang zu so vielen Menschen, die professionell Musik machen. Das ist eine große Chance für uns.“


Zur Person Laura Bishop forscht am Austrian Research Institute for Artificial Intelligence (OFAI) im Rahmen einer Postdoc-Anstellung. Sie interessiert sich für die Kommunikation in musikalischen Ensembles, Koordination zwischen Personen und wissenschaftliche Zugänge zu Kreativität.


Publikationen

Bishop, L.: Collaborative musical creativity: How ensembles coordinate spontaneity, in: Frontiers in Performance Science, 2018
Bishop, L. & Goebl, W.: Communication for coordination: Gesture kinematics affect coordination success in piano duos, in: Psychological Research, 2018
Bishop, L. & Goebl, W.: Beating time: How ensemble musicians' cueing gestures communicate beat position and tempo, in: Psychology of Music, 2018