Illustration des Hörsaals im Josephinum in Wien von 1785
Am 7. November 1785 wurde in Wien das Josephinum, eine medizinisch-chirurgische Akademie zur Ausbildung von MilitĂ€rĂ€rzten in Wien eingeweiht; von Johann Hieronymus Löschenkohl (Verlag) © Wien Museum Inv.-Nr. 31672, CC0

Im 18. Jahrhundert fĂŒhrten die Habsburger in ihren Provinzen in SĂŒdosteuropa dreimal Krieg gegen die Osmanen. Welche Feldherren um welches Territorium kĂ€mpften und wie die Schlachten ausgingen, interessiert Sabine Jesner nicht so sehr wie der Geld- und Blutzoll, den die kriegerischen Handlungen forderten. Die Historikerin entlockt in ihrem Firnberg-Projekt dem Archivmaterial zur habsburgischen FeldsanitĂ€t, das sie erstmals bearbeitet hat, viel mehr als Sieg oder Niederlage: „Das MilitĂ€r war ubiquitĂ€r und betraf alle Gesellschaftsschichten. Neue MilitĂ€rgeschichte steht fĂŒr eine Geschichtsforschung von unten, aus der man auch viel ĂŒber die Zivilbevölkerung erfĂ€hrt.“ Auch wenn die Entwicklung im 18. Jahrhundert fĂŒr sie „keine Erfolgsstory ist, zeichnen sich hier Vorstufen zu dem ab, was wir heute als Public-Health-Gedanken kennen, also die staatliche FĂŒrsorge und Verantwortung fĂŒr die Gesundheit und Versorgung der Bevölkerung.“

Auf der Spur von Gesundheitspolitik

Bei der Recherche fĂŒr ihre Dissertation ĂŒber die MilitĂ€rgrenzbevölkerung in SiebenbĂŒrgen stieß die MilitĂ€rhistorikerin der UniversitĂ€t Graz auf den „Cordon sanitaire“. Nach dem ersten TĂŒrkenkrieg wurde 1718 im Zuge eines Friedensvertrages die habsburgische Außengrenze nach und nach von der Adria bis zu den Karpaten mit strengen Kontrollen und QuarantĂ€neanlagen gesichert, weil die Pest wĂŒtete. Eine ziemlich einzigartige Initiative auf europĂ€ischem Terrain, die militĂ€rische und gesundheitspolitische Maßnahmen kombinierte. Diese Spur verfolgt die Spezialistin fĂŒr die Region SĂŒdosteuropa, unterstĂŒtzt vom Wissenschaftsfonds FWF.

Das damalige „Management“ in Form von Generalkriegskommissariat, Hofkriegsrat und Hofkammer korrespondierte aus der Residenzstadt mit den Provinzen ĂŒber Tabellen, Anordnungen und Anleitungen. In diesen administrativen Belangen blitzt ĂŒberall die sozialgeschichtliche Perspektive durch, fĂŒr die sich die Historikerin interessiert – zunĂ€chst unter Karl VI., seiner Tochter Maria Theresia und deren Sohn Joseph II. Der zweite TĂŒrkenkrieg dauerte von 1736 bis 1739, der dritte von 1787 bis 1792.

Die Rahmenbedingungen

„Schlimmer als der Feind waren oft die mangelnde Versorgung, lange MĂ€rsche mit schlechtem Schuhwerk, je nach Region, in die die Truppen verlegt wurden, auch MangelernĂ€hrung und wenig Trinkwasser“, beschreibt Jesner. Die Grausamkeit der Schlachtfelder des 18. Jahrhunderts im heutigen Ungarn, RumĂ€nien, Kroatien, Serbien und Bosnien ergab sich aus der Summe von wenig zielsicheren Waffen, LĂ€rm, Ruß, schlechter Witterung und der Tatsache, dass die Verwundeten erst nach dem Ende der Kampfhandlungen geborgen wurden. Die antike Vier-SĂ€fte-Lehre war damals die verbreitete medizinische Schule. Von einem Söldnerheer wurde umgestellt auf ein stehendes Heer, das angeworben und ĂŒber konkrete FeldzĂŒge hinaus in Kasernen verpflegt wurde. Der PrĂ€ventionsgedanke setzte sich in Kasernenbau und Feldmedizin langsam durch. Und auch Invalide, die nicht mehr wehrdiensttauglich waren, wurden weiter versorgt.

FĂŒr die stĂ€ndige Versorgung der Truppen musste die Verwaltung in der Beschaffung mit der Zivilbevölkerung, MĂ€nnern wie Frauen, zusammenarbeiten und voraussauschauend planen (Betten, WĂ€sche, Lebensmittel, Kleidung, Transportmittel und mehr). Es wurde bald genau geregelt, wie viele Mediziner und Chirurgen beschĂ€ftigt, und welche Rationen ausgegeben werden: „Wie immer, wenn es um Geld geht, ist das gut dokumentiert. Und wer kĂ€mpft, kriegt weniger als der, der lenkt.“

Sprechende Statistiken und ein Cheflogistiker

Sabine Jesner hat gelernt, zwischen den Tabellen- und Briefzeilen zu lesen: „Ich wollte auch die EmotionalitĂ€t rund um das Kriegsgeschehen beleuchten, aber die Soldaten des 18. Jahrhunderts konnten eher nicht lesen und schreiben. In den FĂŒhrungsetagen gab es manchmal einen Satz dazu. Die Zahlen zu den Desertierten und den SelbstverstĂŒmmelungen in den Statistiken sprechen zu mir von der Angst und der Panik.“ Auf die Berichte aus dem Feld wurde vom Management durchaus reagiert. Um Skorbut vorzubeugen, wurde Vitamin C in Form von Krenwurzeln verschickt. Weil es in Kroatien kaum Holz gab, wurden in Wien Anleitungen fĂŒr FeldspitĂ€ler erdacht und man verschickte Material fĂŒr hölzerne HĂŒtten samt Anleitung, Ă€hnlich einem IKEA-Bausatz, ĂŒber die Donau.

Eine Art Cheflogistiker war in der zweiten HĂ€lfte des 18. Jahrhunderts Alessandro Brambilla, Leibarzt von Joseph II. Er setzte spĂ€ter das Josephinum als medizinisch-chirurgische Akademie durch und schickte den Stabschirurgen gerne aktuelle wissenschaftliche Literatur zu. Aus rationalem KalkĂŒl kĂŒmmerte sich das Regime um die Bevölkerung, stellte Leistungen wie SanitĂ€t, Hygiene und ErnĂ€hrung bereit und verbesserte sich laufend, um das Leid zu minimieren. Es wurde – wenn auch oft mit bescheidenem Erfolg – versucht, aus der Zentrale auf die Bedingungen vor Ort einzugehen.

Vorsorge, Versorgung & Nachsorge

Die MilitĂ€rhistorikerin leitet aus dem merkantilistischen Ansatz, der stets ökonomisch argumentiert, aber im Resultat menschlich handelt, Vorstufen des Public-Health-Prinzips ab. „Es kommt zu einer Medikalisierung ‚von oben‘. Denn man möchte eine gesunde Bevölkerung, die tĂŒchtig arbeitet. FĂŒr mich ist das der wichtigste Fund: das vorbeugende und vorausschauende Vorgehen des Staates, der Verantwortung und Kosten ĂŒbernimmt, und sich Gedanken drĂŒber macht, was man dafĂŒr brauchen wird“, so Jesner. Ganz pragmatisch werden im Laufe der Zeit KenngrĂ¶ĂŸen erstellt, mit dem Ziel, den militĂ€rischen Einsatz zu verbessern und zu optimieren.

Es werden neue „medikale RĂ€ume“ geschaffen, wie die MilitĂ€rinvalidenhĂ€user nach dem ersten TĂŒrkenkrieg oder die MilitĂ€rspitĂ€ler mit fixer Ausstattung. Wer nach den EinsĂ€tzen – aus psychischen oder physischen GrĂŒnden – nicht mehr felddiensttauglich war, wurde vom Staat versorgt. Invalide wurden etwa im Banater MilitĂ€rgrenzabschnitt (am SĂŒdostrand der ungarischen Tiefebene) angesiedelt, mit Land ausgestattet und, je nach Grad ihrer ArbeitsfĂ€higkeit, als freie Bauern zur Bewachung eingesetzt.

Zur Person

Die FrĂŒhneuzeithistorikerin Sabine Jesner promovierte mit einer Arbeit im Bereich der sĂŒdosteuropĂ€ischen Geschichte ĂŒber habsburgische Sicherheits- und PrĂ€ventionsstrategien an der siebenbĂŒrgischen MilitĂ€rgrenze an der UniversitĂ€t Graz. Ab 2015 untersuchte sie als FWF-Projektmitarbeiterin habsburgische Verwaltungstechniken im Banat. FĂŒr ihre Studien zum habsburgischen Cordon sanitaire wurde sie 2020 mit dem Johann Wilhelm Ritter von Mannagetta-Preis fĂŒr die Geschichte der Medizin (ÖAW) ausgezeichnet. Das Projekt „Habsburgische FeldsanitĂ€t und die TĂŒrkenkriege des 18. Jahrhunderts“ (2019–2023) wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit 239.000 Euro gefördert.

Publikationen

Beyond the Battlefield: Reconsidering Warfare in Early Modern Europe, London 2024 (in Druck)

Borders and Mobility Control in and between Empires and Nation-States, Brill 2022

Medicalising borders: Selection, containment and quarantine since 1800, Manchester University Press 2021