Wie hängen Essen und Emotionen zusammen? Welche Gefühle führen zu Überessen? Internationale Forschergruppen untersuchen das Essverhalten von gesunden und bulimischen Personen. © Stokkete/Shutterstock Inc.

Wir kennen die Vorfreude auf das Lieblingsgericht, Kummerspeck, Trostschokolade und Schmetterlinge statt Hunger im Bauch. Bei Essstörungen wie Anorexie, Bulimie oder Binge Eating (Überessen) verquicken sich Nahrungsaufnahme und Emotionen auf krankmachende Weise. Neben Problemen für den Einzelnen – vom ungesunden Diätverhalten bis zu Übergewicht und sozialer Isolation –, belasten Essstörungen auch das Gesundheitssystem massiv.

Würstelstand statt Mammutjagd

An das Leben als Jäger und Sammler in der kargen Steinzeit war der menschliche Körper perfekt angepasst. Heute leben wir mit dem gleichen Körper in einer Gesellschaft, die hochkalorisches Essen in Griffweite bietet. Dank Kühlschrank, Konditorei, Vorratslade und Würstelstand sind Snacks permanent verfügbar. Das fordert unsere Selbstbeherrschung heraus. Bereits bekannt ist, dass emotionsgesteuertes Essen bei Adipositas stärker ausgeprägt ist. Nur wenig ist darüber bekannt, wie Regulationsprozesse in Bezug auf die Nahrungsaufnahme funktionieren. Das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Projekt „Emo-Eat“ am Department für Psychologie der Universität Salzburg will den Zusammenhängen von Stimmungslage und ungesundem Essverhalten auf die Spur kommen. In Kooperation mit der Universität Luxemburg werden aktuell gesunde und bulimische Probandinnen verglichen. Es werden nur Frauen untersucht, da sie zum Großteil von Essstörungen betroffen sind. Um die Gemeinsamkeiten von gezügeltem und emotional gesteuertem Essen herauszuarbeiten, nähert sich das Projektteam methodisch mit einer Kombination von Lerntheorien, Laborexperimenten und einer Ernährungstagebuch-App. „Wir konzentrieren uns auf Nahrungsaufnahme, die nicht durch Hunger bedingt ist. Wir wollen den Zusammenhang von Emotionen und Essen herausarbeiten, der sich als Gusto auf schnell verfügbare comfort foods äußert“, erklärt Projektleiter Jens Blechert im Gespräch mit scilog.

Affektregulierung durch Essen

Im FWF-Projekt werden Ergebnisse einer vorangegangenen Online-Befragung am Eating Behaviour Laboratory der Universität Salzburg weiter verfolgt. Darin gab die Mehrheit der befragten Frauen an, dass sie mehr essen als üblich, wenn sie traurig sind. In der Untersuchung kam auch heraus: Die Befragten essen weniger als üblich, wenn sie ängstlich oder wütend sind. Und wenn sie glücklich sind, essen sie genauso viel wie immer. Das Zusammenspiel von Angst beziehungsweise Aggression und Appetit ist physiologisch gut untersucht. Die Ausschüttung des Stresshormons Kortisol bereitet den Menschen auf die Abwehrstrategien Flucht oder Angriff vor. In beiden Situationen wird das Hungergefühl unterdrückt. Was aber passiert beim Trost- und Frustessen? Trauer ist keine Bedrohungssituation. Für Jens Blechert ein Hinweis darauf, dass eher psychologische Mechanismen und erlernte Verhaltensweisen im Spiel sind. Essanfälle werden fast immer von Emotionen begleitet und eingeleitet. Eine bewährte Behandlungsform bei Essstörungen ist daher die Analyse von Situationen, die Überessen auslösen und eine Suche nach alternativen, gesünderen Selbstbelohnungen (zum Beispiel soziale Kontakte). Durch das Herausarbeiten der Gemeinsamkeiten von gesunden und bulimischen Esserinnen erhofft sich der Wissenschafter letztlich verfeinerte Interventionen.

Der Balken ganz links aus einer Online-Fragebogenuntersuchung mit 287 TeilnehmerInnen machte das Forscherteam neugierig: Wie hängen Traurigkeit und Überessen zusammen? © Jens Blechert

App für Alltagsberichte – EEG im Labor

 Mit einer zweistufigen Untersuchung will das internationale Team in Salzburg und Luxemburg dem Frust-Gusto auf die Spur kommen. Vorab werden gesunde Probandinnen in Subtypen eingeordnet: in hoch-emotionale Esser, niedrig-emotional motivierte Esser und ein Mittelfeld. 30 Studierende wurden bereits rekrutiert, aber die Stichprobe soll um noch einmal 30 Frauen aus anderen Alters-, Bildungs- und Gesellschaftsschichten ergänzt werden. Erster Schritt ist die zehntägige Erhebung mit einem digitalen Ernährungs- und Stimmungstagebuch. „Mit der Psy-Diary App geben wir unseren Probandinnen ein alltagstaugliches Tool mit für Angaben zu emotional anstrengenden Situationen und Abweichungen im Essverhalten“, erklärt Jens Blechert.

Die Applikation für Smartphones wurde an der Uni Salzburg gemeinsam mit der FH Salzburg entwickelt. Ein Alarm am Mobiltelefon soll zum Ausfüllen motivieren: „Das dauert nur zwei Minuten, weshalb 90 Prozent der Anfragen unmittelbar und sorgfältig beantwortet werden“, beschreibt der Leiter des Eating Behaviour Laboratory seine Erfahrungen. Aufgrund der Daten der App werden die Teilnehmerinnen in emotionale Esser bzw. nicht-emotionale Esser eingeteilt. Diese Gruppen werden dann im Labor mittels Hirnstrommessungen verglichen: die Probandinnen werden unter kontrollierten Bedingungen gebeten, sich eine negativ belastende Situation der vergangenen Woche in Erinnerung zu rufen. Als solche werden übrigens häufig soziale Situationen genannt, etwa der Streit mit dem Freund auf Skype. Die negative Belastung geht sehr oft mit Traurigkeit einher. Nach dem Stimmungsreiz wird mittels Elektro-Enzephalogramm gemessen, welche Hirnareale aktiv werden als Reaktion auf Bilder von g’schmackigen Snacks. Daraus kann man dann Rückschlüsse auf die Mechanismen von emotionalem Essen ziehen.

Welches Gehirnareal springt auf Bildreize an?

Unter kontrollierten Bedingungen im Labor wird so untersucht, wie die Essensbilder unter dem traurigen Eindruck verarbeitet werden. Bekommen die Snacks mehr Aufmerksamkeit oder weniger? Wird die Aufmerksamkeit unterdrückt aus Angst vor Kontrollverlust und wo im Gehirn sind Reaktionspotenziale auf die Bilder messbar? „Wir wissen, dass Emotionsregulation im Frontallappen stattfindet. Beim reinen Betrachten von Essensbildern würden wir Hirnströme im visuellen Kortex oder im Belohnungszentrum erwarten. Wenn wir es mit Emotionsregulation durch Essen zu tun haben, müsste bei negativer Stimmung der Frontallappen Aufmerksamkeit auf die Bilder steuern“, beschreibt Jens Blechert. Dies wäre auch ein therapeutischer Ansatzpunkt: eine Umlenkung der Aufmerksamkeit auf Alternativen.

Zur Person

Jens Blechert studierte Psychologie an der Universität Tübingen. Er promovierte in Basel zum Thema Angststörungen. Während Aufenthalten in Freiburg, Deutschland und Stanford, USA, erforschte er Essstörungen und Emotionsregulation bevor er 2011 nach Salzburg wechselte. Seit 2015 ist er Professor für Neurogesundheitspsychologie und leitet das Eating Behaviour Laboratory.

Publikationen

Bongers, P.; Jansen, A.: Emotional Eating Is Not What You Think It Is and Emotional Eating Scales Do Not Measure What You Think They Measure, in: Frontiers in Psychology 2016

Blechert, J.; Goltschea, J.E.; Herbert, B.M.; Wilhelm, F.A.: Eat your troubles away: Electrocortical and experiential correlates of food image processing are related to emotional eating style and emotional state, in: Biological Psychology, Vol. 96, February 2014

Reichenberger, J., Kuppens, P., Liedlgruber, M. et al..: No haste, more taste: An EMA study of the effects of stress, negative and positive emotions on eating behavior, in: Biological Psychology 2018