Coronavirus: Vom MolekĂŒl zum Medikament

Er ist zurzeit einer der gefragtesten Interviewpartner wenn es um das Coronavirus geht: Der Virologe der Medizinischen UniversitĂ€t Wien Christoph Steininger. Angesichts der Verunsicherung, die ĂŒberall spĂŒrbar ist, sieht er sich und seine Kolleginnen und Kollegen klar in der Verantwortung, den Medien Rede und Antwort zu stehen, um Unsicherheiten und offenen Fragen mit Fakten zu begegnen.
Viren: Komplexes Forschungsfeld
Jene Fakten und Erkenntnisse, deren Basis die jahrelange Grundlagenforschung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Labors bildet. Es ist ein langer und mitunter steiniger Weg von der Erforschung einer Fragestellung bis zu einem nachweisbaren âWertâ fĂŒr die Gesellschaft - wie einem Medikament. âWir verstehen noch immer nicht ganz, was Viren ausmacht und welche Mechanismen zum Ausbruch einer Krankheit fĂŒhrenâ, sagt Steininger. So blieben manche AusbrĂŒche gar unbemerkt. Als Beispiel nennt der Spezialist fĂŒr Interne Medizin das Zika-Virus, das 2015 in Lateinamerika ausgebrochen und zu schweren SchĂ€digungen bei ungeborenen Kindern gefĂŒhrt hat. âVermutlich war es bereits ein Jahr davor unbemerkt in Brasilien angekommen. Wir kennen das Virus, aber niemand hĂ€tte in dieser geografischen Region damit gerechnetâ, erinnert er sich.
Forschung unter Hochdruck
Mit COVID-19 brach in China â wie schon vor rund zehn Jahren mit SARS â ein neuartiges Virus aus. Das Genom konnte von den chinesischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern rasch entschlĂŒsselt werden. Zurzeit arbeiten weltweit Dutzende Forschungsteams an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Virus, das sich global ausbreitet. Wann es wirksame Therapien und eine Schutzimpfung geben wird, ist noch schwer abzuschĂ€tzen, aber man kann sagen, dass es diesmal deutlich schneller gehen wird als unter gewöhnlichen UmstĂ€nden.
âDas Coronavirus ist bisher nicht mutiert.â
âGeschwindigkeit beispiellosâ
Das lassen auch Ausschreibungs- und Bewerbungsverfahren des letzten EU-Calls zur Corona-Forschung vermuten. Normalerweise haben die Forschenden mehrere Monate Zeit sich zu bewerben, diesmal waren es lediglich zehn Tage. Dennoch haben sich 91 Forschungskonsortien beworben. Der Virologe ist zuversichtlich, dass es in den nĂ€chsten Monaten eine Impfung geben wird. So hĂ€tten bereits zwei Forschungsgruppen â aus Australien und den USA â einen Impfstoff in HĂ€nden, der gerade evaluiert wird. âDie Geschwindigkeit ist beispiellosâ, sagt der Experte.
Gute Nachricht: Coronavirus bisher nicht mutiert
Die GrĂŒnde dafĂŒr sieht er nicht nur in der BĂŒndelung vieler Ressourcen in die aktuelle Fragestellung, sondern auch in dem Umstand, dass sich das Coronavirus â entgegen aller BefĂŒrchtungen â seit seinem Ausbruch Ende Dezember 2019 in der chinesischen Millionenstadt Wuhan nicht verĂ€ndert hat. Das ist eine gute Nachricht, denn es bedeutet, dass jemand, der einmal an dem Coronavirus erkrankt war, immun gegen den Erreger ist und sich kein zweites Mal infizieren kann. âWenn einmal ein kritischer Wert an immunen Menschen erreicht ist, kann das Virus sich nicht mehr vermehrenâ, sagt Steininger. Das unterscheidet Corona auch vom Grippevirus, das sich jĂ€hrlich verĂ€ndert. Deshalb hĂ€lt der Mediziner es auch fĂŒr unwahrscheinlich, dass sich das Coronavirus etablieren und jĂ€hrlich zur Grippesaison wieder auftauchen wird.
Impfstoff gegen HIV in Evaluierung
Wie man am Beispiel anderer Erkrankungen sehen kann, dauert es oft viele Jahre bis zur Entwicklung eines wirksamen Impfstoffs. So wurde 1986 das HIV-Virus als Auslöser fĂŒr die ImmunschwĂ€chekrankheit AIDS identifiziert und noch heute gibt es keine wirksame Impfung gegen den Erreger. Das liegt laut Steininger hauptsĂ€chlich daran, dass HIV rasch in den Patientinnen und Patienten mutiert und es schwierig ist, einen Impfstoff zu entwickeln, der gegen alle unterschiedlichen Varianten wirkt. Zurzeit sei allerdings ein vielversprechendes Produkt in Evaluierung.

Problem CMV-Virus
Im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Forschungsprojektes untersucht Steininger das sogenannte Cytomegalivirus, kurz CMV genannt, die hĂ€ufigste Ursache fĂŒr angeborene Fehlbildungen. Infektionen mit dem CMV-Virus wĂ€hrend der Schwangerschaft fĂŒhren zu gravierenden SchĂ€den bei Ungeborenen â von Hördefiziten ĂŒber neurologische Komplikationen wie GehirnentzĂŒndungen bis hin zu Fehlgeburten. CMV stellt auch ein groĂes Problem fĂŒr immungeschwĂ€chte Patientinnen und Patienten nach Organ- oder Knochenmarkstransplantationen dar und ist die hĂ€ufigste Ursache fĂŒr infektionsbedingte schwere Komplikationen.
Wissenschaftlicher Durchbruch
Vor kurzem gelang der Forschungsgruppe um Steininger hier ein bedeutender Durchbruch: Man wusste schon lĂ€nger, dass der Vitamin-D-Stoffwechsel wichtig fĂŒr die Erhaltung transplantierter Organe ist. Nun konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aber auch nachweisen, dass CMV den Vitamin-D-Stoffwechsel nach unten reguliert. Ein Umstand mit weitreichenden Folgen fĂŒr Patientinnen und Patienten nach Organ- und Knochenmarkstransplantationen, der bis zum Absterben des Organs fĂŒhren kann.
Wissenschaft und Medizin
Die EntschlĂŒsselung dieses Mechanismus ist einer jener Erfolgsmomente, die der gebĂŒrtige Oberösterreicher als Maturant wohl vor Augen hat, als er sich fĂŒr ein Studium der Humanmedizin entscheidet. Medizin, erzĂ€hlt Steininger, vereine fĂŒr ihn den Kontakt zu Menschen, der ihm sehr wichtig ist, mit der Möglichkeit, wissenschaftlich aktiv zu sein. âIch kenne wenige Berufsfelder, wo diese Aufgaben so gut vereinbar sindâ, sagt der Mediziner und Wissenschaftler aus Leidenschaft. Es sei natĂŒrlich eine groĂe Herausforderung, auf zwei groĂen Gebieten zu arbeiten, âaber genau diese Herausforderung liebe ichâ, schwĂ€rmt er.
âDas Schrödinger-Stipendium war ein Meilenstein in meiner wissenschaftlichen Karriere.â
Meilenstein Schrödinger-Stipendium
Nach seinem Medizinstudium an der UniversitĂ€t Innsbruck , habilitiert sich der heute 46-JĂ€hrige an der Medizinischen UniversitĂ€t Wien und verbringt 2008 ein Jahr mit einem vom FWF geförderten Erwin-Schrödinger-Stipendium an der University of California in San Diego. Ein Forschungsaufenthalt, den er als Meilenstein in seiner wissenschaftlichen Karriere bezeichnet. In den vierzehn Monaten gelingt ihm eine entscheidende Entdeckung: Er identifiziert ein Protein, das fĂŒr den Prozess verantwortlich ist, der chronische LeukĂ€mie immer wieder anheizt.
Amerikanischer Spirit
Noch bedeutender als dieser wissenschaftliche Erfolg erscheint Steininger der Einblick in ein anderes Forschungssystem, den er durch seinen Aufenthalt in San Diego gewinnt. âDas Umfeld war enorm motivierend und bereichernd. Man ist gezwungen, die finanziellen Mittel selbst aufzustellen und zu organisieren. Nichts wird als selbstverstĂ€ndlich angesehenâ, erinnert er sich. Dieser âSpiritâ helfe ihm bis heute, denn: âMit dieser Einstellung findet man immer interessante Partner und Investoren, die bereit sind, spannende Projekte gemeinsam umzusetzen.â

Keine âOne-Man-Showâ
Nach seinem Aufenthalt in den USA schlieĂt der junge Wissenschaftler zunĂ€chst seine Facharztausbildung fĂŒr Interne Medizin in Wien ab. Ein Schritt, den er als erheblichen Sprung bezeichnet: âVom Assistenz- zum Facharzt, das bedeutet auch ein anderes Umfeld, andere wissenschaftliche Möglichkeiten.â Die Forschungsgruppe, die er damals aufbaut, ist mittlerweile enorm gewachsen und behandelt zwei Dutzend unterschiedliche vielversprechende Projekte. Möglich ist dieser Spagat zwischen Klinik und Wissenschaft nur durch kompetente und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. âIch bin keine 'One-Man-Show'â, stellt Steininger klar.
Ein produktives Umfeld
In seinen momentan laufenden Forschungsprojekten gebe es keines, in dem nicht eine andere Arbeitsgruppe zumindest involviert sei. âDas ist ein riesiges Netzwerk. Wir tauschen uns aus, inspirieren und unterstĂŒtzen einanderâ, berichtet Steininger im Labor des Wiener AKH und hĂ€lt es fĂŒr enorm wichtig, in ein produktives Umfeld eingebettet zu sein. Er könne daher jeder jungen Kollegin und jedem jungen Kollegen nur empfehlen, in deren Karriereentwicklung nicht nur das Projekt, sondern auch das Arbeitsumfeld im Blick zu haben.
âIn Ăsterreich wird Mentoring zu wenig beachtet.â
Mentoring: Win-win-Situation
Besonders wichtig erachtet Steininger auch den Einfluss von Mentorinnen und Mentoren und vermisst hier in Ăsterreich das nötige Bewusstsein. âEinerseits können junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Netzwerken erfahrener Kolleginnen und Kollegen profitieren und andererseits tragen kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen guten Ruf in die Welt hinaus, was wiederum den Mentorinnen und Mentoren hilftâ, beschreibt der Experte diese Win-win-Situation und stellt fest: âDas ist in Ăsterreich leider noch nicht angekommen.â Steininger selbst hatte das GlĂŒck, Mentorinnen und Mentoren auf seinem Weg zu haben. So den Virologen Franz Allerberger, mit dem er seine erste wissenschaftliches Publikation veröffentlichte. Einer weiteren Mentorin â und dem Zufall â ist es zu verdanken, dass Steininger heute an der Medizinischen UniversitĂ€t Wien tĂ€tig ist. Clara Larcher vom Institut fĂŒr Hygiene der UniversitĂ€t Innsbruck traf bei einem Kongress die Virologin Heidemarie Holzmann, die damals einen Mitarbeiter suchte. So kam Steininger von Innsbruck in die Virologie nach Wien.
Leidenschaft und Offenheit
Und wie sieht er seine Rolle als Mentor? Bei der Auswahl seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schaut Steininger weniger auf deren Lebenslauf als mehr auf BegeisterungsfĂ€higkeit und Leidenschaft. âMir ist wichtig, dass sie fĂŒr etwas brennen!â Eine wichtige Eigenschaft sieht der Forscher auch in der Bereitschaft, bei Hindernissen Perspektiven zu wechseln und neue Wege einzuschlagen. âIch habe aus vielen Projekten gelernt, dass unerwartete Ergebnisse Hinweise darauf sind, dass man etwas Relevantes ĂŒbersehen hat. Hier braucht es die Offenheit, die positiven Seiten zu sehen und ungewohnte Wege zu gehen.â
âWir mĂŒssen klarer kommunizieren, welche Bedeutung unsere Arbeit fĂŒr die Gesellschaft hat.â
Wissenschaft und Klinik
Einen typischen Arbeitstag gibt es bei Steininger nicht, denn jeder Tag sieht anders aus: Er bewegt sich zwischen der Betreuung von Patientinnen und Patienten, Besprechungen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von laufenden Projekten, Arbeitstreffen mit Kolleginnen und Kollegen anderer Forschungsgruppen und â zurzeit verstĂ€rkt â Interviews mit Medien. âEs sind immer lange aber sehr abwechslungsreiche Tage, die nie langweilig werdenâ, resĂŒmiert Steininger. Die Herausforderung im klinischen Alltag sieht er darin, ein GespĂŒr dafĂŒr zu entwickeln, wo Diagnose und Therapie klar sind, und wo es wichtig ist, noch einmal genau nachzufragen, weil es Befunde gibt, die nicht zusammenpassen. Hier gibt es eine starke Parallele in der Grundeinstellung zwischen Wissenschaft und klinischer Arbeit: die Bereitschaft und Offenheit, Informationen, die nicht ins Bild passen, nachzugehen.
Mehr Bewusstsein fĂŒr die Grundlagenforschung
Was die Bedeutung der Grundlagenforschung anbelangt, wĂŒrde sich Steininger in Ăsterreich mehr Bewusstsein dafĂŒr wĂŒnschen, dass sie die Basis fĂŒr viele Produktentwicklungen bildet. Ohne die schiere Neugierde von Forschenden in der Vergangenheit hĂ€tten wir heute beispielsweise keine Batterien und keine Röntgenbestrahlung. In der Bewusstseinsbildung sieht Steininger auch die Forschenden selbst in der Verantwortung: âAuch wir mĂŒssen klarer kommunizieren, welche Bedeutung unsere Arbeit fĂŒr die Gesellschaft hat, warum etwa die Erforschung eines MolekĂŒls wichtig fĂŒr die Entwicklung eines Medikaments sein kannâ, sagt er. SpĂ€testens bei AusbrĂŒchen neuartiger Viren â wie zurzeit â sollte das deutlich werden.
Zur Person
Der Virologe Christoph Steininger ist assoziierter Professor an der Medizinischen UniversitĂ€t Wien und Facharzt fĂŒr Innere Medizin am Wiener AKH. Er studierte Humanmedizin an der UniversitĂ€t Innsbruck und habilitierte sich in Interner Medizin an der Medizinischen UniversitĂ€t Wien. Neben zahlreichen Forschungsaufenthalten, u.a. in Thailand, Israel, Peru und Deutschland war er von 2008 bis 2009 mit einem Erwin-Schrödinger-Stipendium des FWF an der University of California in San Diego, USA. Steininger ist Leiter des Institutes fĂŒr Mikrobiomforschung der Karl Landsteiner Gesellschaft. Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen erhielt er 2007 den Young Researcher Award der EuropĂ€ischen Gesellschaft fĂŒr klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten.