Materialforscher arbeiten daran, Verbrennungsmotoren sauberer zu machen. © Shutterstock

Dieselfahrzeuge stehen derzeit wegen ihres Abgases unter heftiger Kritik. Stickoxide und Ruß trĂŒben das verbreitete Bild des „sauberen“ Dieselmotors. WĂ€hrend der Anteil an Stickoxiden nur durch Zusatz von Chemikalien oder durch niedrigere Verbrennungstemperaturen und damit einhergehendem Verlust an Drehmoment reduziert werden kann, hĂ€ngt die Ruß-Entwicklung von der QualitĂ€t des Verbrennungsvorgangs ab. DafĂŒr genĂŒgt es schon lange nicht mehr, einfach zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas Kraftstoff einzuspritzen: Meist gibt die EinspritzdĂŒse zuerst kleinere Mengen Diesel ab. Erst wenn diese sich entzĂŒndet haben, folgt der Rest des Treibstoffs. All das muss in Sekundenbruchteilen passieren, bei Common-Rail-Dieselmotoren sind dafĂŒr hochprĂ€zise steuerbare EinspritzdĂŒsen notwendig. Magnetische Ventile sind hier oft zu trĂ€ge, zum Einsatz kommen in diesem Fall Piezo-Kristalle, eine Technologie, die wegen ihrer hohen Genauigkeit bisher in Uhren oder in der Elektronenmikroskopie eingesetzt wurde, wo es auf millionstel Millimeter ankommt. Eine Forschergruppe vom Materials Center Leoben (MCL) um den Werkstoffwissenschaftler Marco Deluca hat es nun geschafft, Grundlagen zu entwickeln, um die in der Autoindustrie verwendeten Piezo-Bauteile effektiver und verlĂ€sslicher zu machen. In einem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt warf man dafĂŒr einen Blick tief ins Innere dieser Kristalle.

Besser als Quarz

Die wesentliche Eigenschaft von Piezo-Kristallen ist, dass sie sich ausdehnen, wenn eine elektrische Spannung angelegt wird. Umgekehrt entsteht Spannung, wenn man sie unter Druck setzt. Ein Piezo-Kristall kann also ein Ventil öffnen, wenn er elektrisch angeregt wird. Das bekannteste Material, das diese Eigenschaft besitzt, ist Quarz, der als Taktgeber in Uhren eingesetzt wurde. In der Autoindustrie verwendet man keramische Materialien, die „ferroelektrisch“ genannt werden und etwas andere Eigenschaften haben, erklĂ€rt Marco Deluca im Interview mit scilog: „Es gibt einen Unterschied zum Quarz. Wenn man Druck ausĂŒbt, erzeugt man elektrische Spannung. Beim Quarz lĂ€sst sich diese Eigenschaft allerdings nicht verĂ€ndern. In ferroelektrischen Materialien hingegen kann auch die Richtung der Ausdehnung des Materials beeinflusst werden.“ WĂ€hrend die Atome in einem Quarz-Kristall sehr geordnet sind, bestehen ferroelektrische Keramiken aus winzigen sogenannten „DomĂ€nen“, die kleiner als ein Millionstel Millimeter sind. Wird eine genĂŒgend hohe Spannung angelegt, so „klappen“ diese DomĂ€nen um und richten sich aus. „Durch dieses Klappen der DomĂ€nen erreicht man bei gleicher Spannung eine höhere Ausdehnung als bei Materialien wie Quarz, die nur piezoelektrisch sind“, erklĂ€rt Deluca. Diese stĂ€rkere Ausdehnung ist fĂŒr EinspritzdĂŒsen wesentlich.

Untersuchung mit Laser- und Röntgenstrahlung

Common-Rail-EinspritzdĂŒsen mit Piezo-Injektoren sind in der Autoindustrie seit einigen Jahren ĂŒblich, doch es gibt einige technische Probleme. Man kĂ€mpft mit Rissen in den Keramik-Elementen, weshalb diese unter einer gewissen Druck-Vorspannung verbaut werden. „Man hat außerdem beobachtet, dass die Performance besser wird, wenn man die Aktoren mit etwa 50 Megapascal Druck im Motor einbaut. Die Hersteller wussten aber nicht, warum“, sagt Deluca. Eine der Aufgaben des Projekts war, diesen Effekt besser zu verstehen. „Dazu haben wir kommerziell verfĂŒgbare Piezo-Aktoren in Aktion mit Laser-Raman-Spektroskopie und Röntgenmethoden untersucht.“ FĂŒr derartige Untersuchungen braucht es sehr genau fokussierbare hochenergetische Röntgenstrahlung, wie sie nur bei Teilchenbeschleunigern Ă€hnlich jenen im Kernforschungszentrum CERN entsteht. Damit ließe sich das Material durchleuchten und die Positionen der Atome genau abbilden.

Ein Common-Rail-Einspritzsystem eines modernen Dieselmotors. Die vier lĂ€nglichen Objekte sind die EinspritzdĂŒsen. © Robert Bosch GmbH

Deluca nutzte hierfĂŒr eine Zusammenarbeit mit der North Carolina State University, bei deren Teilchenbeschleuniger (Advanced Photon Source) die Messungen durchgefĂŒhrt wurden. „Die Raman-Spektroskopie hingegen liefert die durchschnittliche Gitterorientierung, also die Orientierung der DomĂ€nen, im Mikrometer-Bereich und ergĂ€nzt deshalb die Röntgen-Experimente auf einer unterschiedlichen LĂ€ngenskala. Ein derartiges Raman-Equipment gibt es bereits in Leoben“, erklĂ€rt Deluca. Bei den Untersuchungen zeigte sich, dass die mechanische Vorspannung die Orientierung der DomĂ€nen verĂ€ndert: Die Vorspannung ordnet die DomĂ€nen in eine bestimmte Richtung senkrecht zur elektrischen Feldachse. Wenn sie nun elektrisch angeregt werden, können mehr DomĂ€nen umklappen als ohne vorgelegte mechanische Spannung. „Dadurch erzeugt man eine grĂ¶ĂŸere VerĂ€nderung in der LĂ€nge des Materials“, so Deluca. Mit diesem Wissen habe man nun die optimale Vorspannung fĂŒr die technische Anwendung bestimmen können.

Risse vermeiden

Ein weiteres Ziel des Projekts war es, die Rissbildung zu verhindern. „Die Rissbildung lĂ€sst sich stoppen, wenn man die ursprĂŒngliche Orientierung der ferroelektrischen DomĂ€nen steuern kann.“ DafĂŒr ist es nötig, abzubilden, in welche Richtung die DomĂ€nen orientiert sind. „Eines der Ziele unseres Projekts war, Methoden zu finden und zu verfeinern, die die Orientierung von ferroelektrischen DomĂ€nen messen können.“

Viele Anwendungen möglich

Dieses Wissen werde bereits industriell verwendet, berichtet Deluca. Nicht nur die Automobilindustrie ist an dieser Entwicklung interessiert, auch andere Technologiezweige setzen auf PiezoelektrizitĂ€t. „Das Problem ist letztlich immer: Welche Orientierung ist die beste fĂŒr die Anwendung? Wie lĂ€sst sich die Orientierung von DomĂ€nen verĂ€ndern? Welche Belastung ist möglich, ohne sie zu zerstören? Das wird vor allem fĂŒr Energy Harvesting oder fĂŒr energieautarke Sensoren interessant sein.“ Auch in der Medizin gibt es Anwendungsmöglichkeiten. „In allen diesen Bereichen wird aus Verformung Energie gewonnen. Das Material, das wir analysiert haben, kann dafĂŒr verwendet werden“, sagt Deluca.


Zur Person Marco Deluca ist Materialforscher in der Mikroelektronik-Gruppe am Materials Center Leoben (MCL). Er leitet die Forschungsgruppe fĂŒr funktionale Materialien, die sich besonders fĂŒr die strukturellen Eigenschaften von Halbleitern und Keramiken sowie fĂŒr die Abscheidung dĂŒnner Oxidschichten mittels kostengĂŒnstiger SprĂŒhverfahren interessiert. Deluca leitet aktuell ein weiteres FWF-Projekt ĂŒber Relaxor-Materialien, welche eine ungeordnete Art von ferroelektrischen Keramiken sind. Im Projekt, das bis Ende 2019 lĂ€uft, wird eine Kombination von Raman-Spektroskopie und atomistischer Modellierung angewendet, um Struktur-Eigenschaft-Beziehungen in Relaxoren zu ermitteln, letztlich mit dem Ziel, den atomistischen Grund von Relaxor-Eigenschaften zu enthĂŒllen. Marco Deluca ist auch Privatdozent an der MontanuniversitĂ€t Leoben.


Publikationen

Kaufmann, S. Röhrig, P. Supancic, and M. Deluca: „Influence of ferroelectric domain texture on the performance of multilayer piezoelectric actuators“, Journal of the European Ceramic Society 37, 2017
Esteves, C. Fancher, S. Röhrig, G. Maier, J. Jones, M. Deluca: „Electric-field-induced structural changes in multilayer piezoelectric actuators during electrical and mechanical loading“, Acta Materialia 132, 2017
Röhrig, C. Krautgasser, R. Bermejo, J. L. Jones, P. Supancic, and M. Deluca: „Quantification of crystalline texture in ferroelectric materials by polarized Raman spectroscopy using Reverse Monte Carlo modelling“, Journal of the European Ceramic Society 35, 2015