Aus der Geschichte lernen
Nach mehreren Jahren als Ökonom in der Hauptabteilung Volkswirtschaft der Österreichischen Nationalbank (OeNB) beschloss ich im Frühjahr 2023, mich für ein Schrödinger-Stipendium des FWF zu bewerben. Denn ich hatte den großen Wunsch, wieder Vollzeit in ein akademisches Umfeld eintauchen zu können: einerseits, um innerhalb der Stipendienzeit die notwendigen Publikationen abzuschließen, die für eine Habilitation in meinem Bereich notwendig sind; andererseits um einige neue Forschungsideen auszuloten, die teilweise über die Themengebiete, die normalerweise an Zentralbanken beforscht werden, hinausgehen.
Ein 100 Jahre altes Experiment
Die Wahl meiner Forschungsstelle während der Auslandsphase fiel aus mehreren Gründen auf das Department of Economics an der Northwestern University (NU). Erstens beruht das Hauptprojekt, an dem ich während meines Schrödinger-Stipendiums forsche, auf einem natürlichen Experiment, das sich vor mehr als 100 Jahren in den Vereinigten Staaten ereignete. Kurz gesagt interessiere ich mich in diesem Projekt für die Frage, wie wirtschaftspolitische Entscheidungsträger:innen am effektivsten „ungesunde“ Kreditbooms, mit all ihren negativen Konsequenzen – wie etwa Finanzkrisen –, bekämpfen sollten. Anfang der 1920er-Jahre setzten regionale wirtschaftspolitische Verantwortliche in den USA gleichzeitig verschiedene Maßnahmen, um die lokale Finanzmarktstabilität zu bewahren. Ich ziehe dieses Setting heran, um die relativen Auswirkungen und die Effektivität der getroffenen Maßnahmen zu analysieren.
Kilian Rieder ist Schrödinger-Stipendiat am Department für Ökonomie an der Northwestern University, USA, und an der Paris School of Economics. Er interessiert sich besonders für angewandte Makroökonomie und Wirtschaftsgeschichte.
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Zweitens nehmen meine beiden Hauptforschungsfelder, Makroökonomie und Wirtschaftsgeschichte, innerhalb des Department of Economics an der NU einen bedeutenden Platz ein. Dieser besondere Forschungsfokus erleichterte es mir, mich rasch in den Alltag des Departments zu integrieren. Im Wintersemester 2023 erhielt ich zum Beispiel die Möglichkeit, einen eigenen Kurs (American Economic History after 1865) zu unterrichten, und konnte dadurch als vollwertiges Mitglied in das administrative, aber auch gesellschaftliche Leben der Fakultät eintauchen. Dass ich bereits einige an der NU arbeitende VWL-Professor:innen vorab von Konferenzen kannte, erleichterte mir die Organisation des Auslandsaufenthalts erheblich, da die vorbereitenden administrativen Schritte (wie etwa Einladungsschreiben und Visa) bereits auf einem gegenseitigen Grundvertrauen aufbauen konnten.
Heimliches Heimweh?
Abseits des beruflichen Lebens nutzte ich die Gelegenheit, das kulturelle Leben in und rund um Chicago auszukosten. Heimweh kenne ich seit jeher kaum, aber vielleicht war es dennoch eine unterbewusste Sehnsucht, die mich im Herbst in ein Konzert der österreichischen DJs Kruder und Dorfmeister in der Concord Music Hall und später im Jahr zum alljährlichen Krampuslauf in Milwaukee, Wisconsin, führte.
Nach letzterem Ausflug entstand übrigens auch eine neue Forschungsidee zum Schicksal von deutsch-amerikanischen Banken während des Ersten Weltkriegs – aber dazu ein anderes Mal mehr … Meine Forschungsarbeiten und -präsentationen ermöglichten auch Kurzaufenthalte in New York und Kalifornien, die ich unter anderem mit einer Gravelbike-Tour an der Pazifikküste abrundete.
Für zukünftige Stipendiat:innen ist es vielleicht nützlich zu wissen, dass ich nach einem vollen akademischen Jahr an der Northwestern University meine Host-Institution gewechselt habe, um noch ein zweites akademisches Umfeld genauer kennenzulernen. Seit Juli 2024 bin ich nunmehr an der Paris School of Economics tätig.