Anton Kuh: Publizist und Performer
„Wer schreibt, der bleibt”, besagt die Redensart. Erinnert wird nur, wer schriftliche Zeugnisse hinterlässt. Über einen Mangel an Texten von Anton Kuh kann sich Biograf Walter Schübler nicht beklagen. In einem Vorgängerprojekt, gefördert vom FWF, hat der Publizist sieben Bände mit Werken des 1941 in New York verstorbenen österreichischen Publizisten herausgebracht. Um sein flüchtiges Hauptwerk, seine Stegreif-Reden, zu dokumentieren, begab sich Walter Schübler, wieder unterstützt vom Wissenschaftsfonds, auf eine wissenschaftliche Schnitzeljagd. „Ich konnte 75 Stegreifreden eruieren und anhand von Besprechungen zumindest inhaltlich rekonstruieren. Sie bilden die chronologischen Wegmarken der Biografie“, sagt Walter Schübler. So untermauert er weiter, dass Anton Kuh kein belangloser Kaffeehausliterat war.
Schreiber & Sprecher sprengt Grenzen und Genres
Als Stegreifsprecher war Kuh „eine singuläre Erscheinung. Kurt Tucholsky nannte ihn einen ‚Sprechsteller’. Man rühmte sein Feuerwerk an Witz, blendende Beobachtungen, brillante Verve, überwältigenden rhetorischen Elan, erschöpfende Sachkenntnis, funkelnde Aphoristik, mitreißendes Temperament undsofort.” Sein Debüt als Redner gab Anton Kuh 1917 in Prag. Er füllte die Hallen mit Themen der Zeit unter Titeln wie: „Die Tragik des Judentums“, „Shakespeare und Dada“, „Die Erotik des Bürgers“, „Warum haben wir kein Geld?“, „Nietzsches Spazierstock oder das Pimperltheater der Rasse“ oder „Die Kunst, Hitler zu überleben“. 1938 musste der Jude Österreich verlassen, wobei den rastlosen Nomaden die Emigration nicht so hart ankam wie anderen. Seine Werke standen im NS-Regime auf der Liste des „schädlichen und unerwünschten Schrifttums“.
Live fast, die young
Walter Schübler hat schon einige Biografien verfasst und verweigert sich dezidiert dem Genre des Bildungsromans mit seinem „allwissenden Erzähler“, der ein fremdes Leben von der Wiege bis zur Bahre zu erklären versucht. Auch diese Biografie „schmeckt nach den Quellen“, liefert Hintergrundinformation zu der Zeit, in der Kuh lebte. Sie beginnt mit einer „Personsbeschreibung“. Wo es möglich ist, spricht Anton Kuh selbst. „Er lebt exzessiv, nach dem Motto: In jede Minute des Daseins möglichst viele Pulsschläge zusammendrängen! Er lebt nach dem Wahlspruch ,Quod licet bovi, non licet Jovi!‘, also ,Was der Kuh darf, ist kaum dem lieben Gott erlaubt’”, erzählt der Wissenschafter. Walter Schübler zeigt mit der soeben im Wallstein Verlag erschienenen Biografie, dass Anton Kuh keine unbedeutende Lokalgröße oder ein politisches Leichtgewicht war: Er war ein eminent politischer Kopf, der sich bereits in jungen Jahren „publizistisch in die politischen Tagesdebatten eingemischt und als bekennender ‚Linksler’ in der Auseinandersetzung mit den Nazis Kopf und Kragen riskiert hat“, sagt Schübler im Gespräch mit scilog.
Ein Reibebaum für Karl Kraus
Schüblers Einstieg in die Kuh-Lektüre war die Mitschrift einer Stegreif-Rede mit dem Titel „Der Affe Zarathustras” vom 25. Oktober 1925, in der Kuh mit Kraus abrechnete: „Dazu muss man wissen, dass zu der Zeit gesellschaftlich erledigt war, mit wem Karl Kraus in der Fackel ins Gericht ging. Anton Kuh hat das sichtlich nicht gekümmert.” Der „Gegenteils-Fex“ hat sich einen Spaß daraus gemacht, Karl Kraus über Jahre zu frotzeln. Der Biograf hat sich noch nicht satt gelesen: „Kuhs Texte geben die Eindrücke eines geistesgegenwärtigen Flaneurs wider, eines hellwachen Zeitgenossen. Das sind scharf konturierte Beobachtungen, programmatisch respekt- und taktlos und nicht eben zimperlich. Sein Spott verweist unauflösbar auf das Argument, ist also durchwegs analytisch.“ Einmal mehr macht er den Autor der Habsburgermonarchie, Weimarer Republik und österreichischen Zwischenkriegszeit der breiten Öffentlichkeit in Buchform zugänglich.
Lebenslauf Walter Schübler hat ein Übersetzerstudium in Wien absolviert und über Rabelais dissertiert. Der Publizist mit Schwerpunkt Biografik lebt in Wien. Seit 2005 arbeitet Walter Schübler vorwiegend im Rahmen von FWF-Projekten über Werk und Vita Anton Kuhs.
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