Am Rande der Cloud
Vor zwanzig Jahren dachte kaum jemand, dass wir heute unseren Alltag nur mit kleinen Computern in unseren Taschen meistern wĂŒrden und sogar mit diesen GerĂ€ten sprechen könnten. Auch ist vielen heute noch nicht bewusst, dass das erst der Anfang war: âIn den nĂ€chsten Jahren werden wir die Entstehung von allgegenwĂ€rtigen Systemen sehen, die immer mehr in das Gewebe unserer Gesellschaft eingebettet sindâ, glaubt Christos Tsigkanos, der als Computerwissenschaftler an âzusammengesetzten RĂ€umenâ zwischen der real physischen und der digital errechneten Welt arbeitet.
Wir mĂŒssen in Zukunft einem Computer wohl nicht einmal mehr mitteilen, was wir wollen, meint er, weil die Rechenkraft Bewegungen und BedĂŒrfnisse vorhersehen wird â und das in Echtzeit. Seien das automatisierte AblĂ€ufe in Fabriken, einfache Alltagsdinge wie Lichter oder Heizungen, die nur angehen, wenn jemand sie braucht, oder Fahrzeuge, die sich mithilfe einer digitalen Dimension, die wir selbst gar nicht wahrnehmen, selbststĂ€ndig organisieren und durch die Stadt oder durch Katastrophengebiete bewegen. Es sind komplexe Systeme, die alle miteinander verzahnt sind.
VerÀnderung ist die einzige Konstante
Die spezielle Herausforderung an dieser Schnittstelle zwischen physischem und digitalem Raum ist stĂ€ndiger und nur teilweise vorhersagbarer Wandel, bedingt durch menschliche Handlungen, WettereinflĂŒsse, plötzliche Ausnahmeereignisse und vieles mehr â nur eines ist hier also sicher: die VerĂ€nderung. âIn der Computerwissenschaft nennen wir das Dynamik, und die mĂŒssen wir berĂŒcksichtigen, wenn wir ein solches System entwerfenâ, erklĂ€rt Tsigkanos.
âEdenspaceâ nennt er sein Forschungsprojekt dazu, das zwar nicht das Paradies Eden verspricht, aber immerhin eine Welt, in der hilfreiche Technologien vor allem zuverlĂ€ssig ihre Aufgaben erfĂŒllen. âWir verwenden einen auf Mathematik basierenden Ansatz und stĂŒtzen uns dabei auf die sogenannten formalen Methoden. Diese eignen sich hervorragend dafĂŒr zu ĂŒberprĂŒfen, ob Systeme korrekt funktionierenâ, so Tsigkanos. Sein Ziel ist, ein stabiles Modell fĂŒr solche verteilten Systeme (distributed systems) bereitzustellen, bei denen Daten, Verarbeitung und Nutzer:innen nicht am selben Ort und zudem oft in Bewegung sind.
Besseres Bikesharing
Ein einfaches Beispiel fĂŒr ein verteiltes System zwischen physischem und digitalem Raum ist Bikesharing. FahrrĂ€der haben ein paar Sensoren und Informationen ĂŒber Standort und Nutzer:innen, aber nicht viel Rechenleistung. Die Sensorinformationen mĂŒssen also irgendwie ĂŒbertragen werden. Man könne die Daten nicht direkt an einen zentralen Ort senden â selbst wenn dieser Ort die digitale Cloud wĂ€re â, denn das wĂ€re zu kostspielig und aufwendig, erklĂ€rt Tsigkanos. Stattdessen verwendet man sogenanntes Edge-Computing, das sind Rechensysteme, die zwischen der Cloud und den EndgerĂ€ten stehen und eine Recheninfrastruktur fĂŒr das Fahrrad bereitstellen. NĂ€hert sich das Rad einem Edge-GerĂ€t, teilt und erhĂ€lt es Informationen. Und zwar schneller, als wenn alles zu/von einem zentralen Punkt hin- und hergeschickt werden mĂŒsste.
Je mehr Anfragen aber an die Edge-GerĂ€te gestellt werden, desto schwieriger wird es, die Anforderungen an Rechenleistung, DatenĂŒbermittlung und Netzwerkkommunikation richtig zu koordinieren â und dabei sicherzustellen, dass alle Teile des Systems richtig funktionieren. Vor allem, um sich auf die Ergebnisse verlassen zu können â und das ist jener Teil, der im Zentrum von Tsigkanosâ Forschung steht. Wenn das System also bemerkt, dass beispielsweise manche Daten zeitverzögert kommen oder nicht mit anderen zusammenpassen, dann sollte es, statt falsche Vorhersagen zu treffen, lieber eine Warnung ausgeben, dass das System in diesem Moment nicht richtig funktioniert.
Denkt man die Möglichkeiten allein im Bikesharing weiter, könnte man Informationen ĂŒber Veranstaltungen oder Wetter mit einbeziehen, um zuverlĂ€ssige Vorhersagen darĂŒber zu treffen, wo als NĂ€chstes Fahrzeuge gebraucht werden. Man könnte Nutzer:innen mit Rabatten oder Bonuspunkten dazu anregen, die RĂ€der nĂ€her an solchen Orten abzustellen. Selbstfahrende Autos könnten sich selbst dorthin bringen. Wenig hilfreich wĂ€re es freilich, wĂŒrde das System Fehler miteinbeziehen â mit dem Ergebnis, dass die Fahrzeuge am falschen Ort landen.
ZuverlÀssige Zukunftswelt
Sind die verteilten Systeme jedoch verlĂ€sslich, dann könnten sie beispielsweise in Katastrophengebieten Hilfe in Echtzeit wesentlich effizienter koordinieren, ohne auf eine zentrale Datenverbindung angewiesen zu sein. Drohnen könnten Daten einsammeln und an KrankenwĂ€gen oder Nutzfahrzeuge vor Ort weitergeben, um HilfsgĂŒter und Einsatzteams schnellstmöglich dorthin zu bringen, wo sie am meisten gebraucht werden â oder um sie rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.
âWie solche DatenflĂŒsse koordiniert und abgeglichen werden können, muss man im Vorhinein planen â das geht nicht bei einem laufenden System. Dynamik muss sowohl beim Entwurf als auch beim Betrieb des Systems berĂŒcksichtigt werdenâ, sagt Tsigkanos. Ob der Einsatz nun Menschenleben retten oder die Nachfrage fĂŒr FahrrĂ€der richtig einschĂ€tzen soll, die Herausforderung, solche Systeme mit hoher ZuverlĂ€ssigkeit zu designen, bleibt Ă€hnlich. Und Tsigkanosâ Modell bietet eine Möglichkeit, Systeme zu bauen, die ihre Anforderungen entweder zuverlĂ€ssig erfĂŒllen oder sich sogar selbst anpassen, wenn sie das nicht tun.
Zur Person
Christos Tsigkanos studierte Computerwissenschaften in Athen und Amsterdam. Sein Doktorat schloss er 2017 in Mailand ab. Dann folgten Forschungsaufenthalte in Wien und Bern. DemnĂ€chst tritt Tsigkanos eine Professur in Athen an. In seiner Forschung interessiert er sich fĂŒr Kritische Systeme und Methoden fĂŒr die Entwicklung zuverlĂ€ssiger Softwaresysteme. Das Lise-Meitner-Projekt Edenspace: Engineering Dependable Cyber-Physical Spaces wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit rund 173.000 Euro gefördert und im JĂ€nner 2022 beendet.
Publikationen
Tsigkanos C., Bersani M., Frangoudis P., S. Dustdar S.: Edge-based Runtime Verification for the Internet of Things, in: IEEE Transactions on Services Computing, Vol. 15, 2022
Avasalcai C., Tsigkanos C., Dustdar S.: Resource Management for Latency-Sensitive IoT Applications with Satisfiability, in: IEEE Transactions on Services Computing Vol. 15, 2022
Tsigkanos C., Li N., Hu Z., Jin Z., Ghezzi C.: Scalable Multiple-View Analysis of Reactive Systems via Bidirectional Model Transformations, in: IEEE/ACM Automated Software Engineering (ASE), 2020 â ACM SIGSOFT Distinguished Paper Award