Verena Winiwarter
Verena Winiwarter plĂ€diert fĂŒr Forschung mit den Menschen und nicht ĂŒber sie. Deshalb setzt sie auf Nachwuchsförderung und den Dialog mit der Öffentlichkeit. © Heribert Corn

Quecksilber ist ein toxisches Schwermetall, das bereits bei Raumtemperatur giftige DĂ€mpfe abgibt. Über die Wirkung dieser QuecksilberdĂ€mpfe wurde schon im 16. Jahrhundert berichtet. „Die DĂ€mpfe des Quecksilbers und der Rauch der Lampen sind so dicht, dass die Indios fast keine Luft zum Atmen finden und beinahe bewusstlos werden“, so beschreibt der Priester Pedro MĂșniz im Jahr 1603 die ArbeitsverhĂ€ltnisse in den Stollen der Quecksilbermine von Huancavelica.

Vergiftungen in Kauf genommen

Im kolonialen Vizekönigtum Peru hatten die Spanier gerade 200 km sĂŒdöstlich von Lima in der NĂ€he der Stadt Huancavelica das grĂ¶ĂŸte Quecksilbervorkommen SĂŒdamerikas „entdeckt“. Das dort seit 1563 geschĂŒrfte und geschmolzene Quecksilber wurde zu Silberminen transportiert – hauptsĂ€chlich zur im heutigen Bolivien gelegenen Mine von PotosĂ­. Mit Quecksilber konnte man mittels der damals neu eingefĂŒhrten Technik der Amalgamation wesentlich rentabler und schneller Silber gewinnen. Die Silberproduktion verzeichnete dadurch ab 1573 einen sprunghaften Anstieg. Das Silber aus den Kolonien war Vorbote des atlantischen Dreieckshandels, in dem ab dem Ende des 17. Jahrhunderts Waffen, Sklaven und Kolonialprodukte zwischen Europa, Westafrika und den amerikanischen Kolonien gewinnbringend gehandelt wurden, was von immenser Bedeutung fĂŒr die wirtschaftliche und politische Entwicklung Europas war. FĂŒr diese rasante Produktionssteigerung wurden die Erkrankung und der Tod von hunderttausenden Indios, die mit QuecksilberdĂ€mpfen vergiftet wurden, in Kauf genommen. Die Symptome der chronischen Quecksilbervergiftung waren bekannt – sie wurden detailliert in Berichten an den spanischen Hof geschildert – aus Sorge ĂŒber das Schwinden der billigen ArbeitskrĂ€fte.

Wie lange das dauert!

„Wenn man sich ĂŒberlegt“, spannt Verena Winiwarter den Bogen vom Beginn der europĂ€ischen Neuzeit zur Gegenwart, „wie lange die akute ToxizitĂ€t von Quecksilber bereits bekannt ist – und trotzdem hat die Weltgemeinschaft sich erst im Jahr 2013 in der ‚Minamata-Konvention‘ entschlossen, aus dem Quecksilber auszusteigen. So sieht die Umwelthistorikerin auch in der Zeit das knappste Gut, das wir im Moment haben, denn Prozesse demokratischer Willensbildung, in der ein gemeinsames Handeln, gemeinsame Maßnahmen entwickelt werden, brauchen eben Zeit – wie man auch am Beispiel des Kyoto-Protokolls sieht.

Grundlagen- und angewandte Forschung

Verena Winiwarter ist erste und einzige Professorin in Österreich fĂŒr Umweltgeschichte, beheimatet an der Alpen-Adria-UniversitĂ€t Klagenfurt an deren Standort in Wien. Sie untersucht Wirkungen und unerwĂŒnschte Nebenwirkungen menschlichen Handelns auf die Natur. Dabei sind fĂŒr sie politische und soziale Logiken untrennbar damit verbunden, wie wir Menschen mit der Natur umgehen. „Deswegen können wir ĂŒber das VerhĂ€ltnis vom Menschen zur Natur einen ganz wichtigen Beitrag zur Erforschung der Menschheitsgeschichte liefern.“ Genau hier sieht die Wissenschafterin die Umweltgeschichte in ihrer ureigensten ZustĂ€ndigkeit: in der Analyse der Nebenwirkungen menschlichen Handelns. „Mein Fachgebiet ist ebenso Grundlagenforschung wie auch ein wichtiger Beitrag zur angewandten Nachhaltigkeitsforschung“, so Winiwarter. Welche sind die grĂ¶ĂŸten Umweltprobleme? Die Wissenschafterin nennt einige Kriterien zur EinschĂ€tzung. „Die grĂ¶ĂŸten Probleme sind jene, die uns langfristig festlegen, die global auftreten und von niemandem einzeln beseitigt werden können.“ Als Beispiel nennt sie die Nukleartechnologie. „Plutonium hat eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren, das heißt, nach dieser Zeit ist immer noch die HĂ€lfte des gefĂ€hrlichen Materials da. Sie mĂŒssen sich also ein Kommunikationssystem ĂŒberlegen, das 250.000 Jahre hĂ€lt. Vor 100.000 Jahren haben die Menschen ihre ersten Bögen geschĂ€rft und ihre ersten Pfeilspitzen produziert. Wie können wir uns die Gesellschaft in 250.000 Jahren vorstellen und wie sagen wir es ihnen? Die Entscheidung zur

„Es ist noch nie gelungen, ein Problem an seinem Ende zu reparieren. Man muss an seine Ursachen gehen. “ Verena Winiwarter

Nukleartechnologie schrĂ€nkt den Spielraum kĂŒnftiger Generationen dramatisch ein“, sagt Winiwarter. Eine Frage, die die Forscherin bei der Analyse der Nebenwirkungen menschlichen Handelns beschĂ€ftigt, ist: Wie viele Freiheitsgrade bleiben der Gesellschaft noch? Geraten wir nicht in eine vollkommen neue Selbstbindung? Als Beispiel nennt sie die automobile Gesellschaft. „Wenn wir immer mehr Straßen bauen, erzeugen wir nicht nur andauernd neuen Verkehr, wir mĂŒssen die gebaute Infrastruktur stĂ€ndig reparieren. Alleine mit der Erhaltung dieser Strukturen könnte man in Österreich die Bauwirtschaft auf ihrem jetzigen Niveau halten. “Was die Wissenschafterin aus 3.000 Jahren Menschheitsgeschichte eindeutig ableiten kann: „Es ist noch nie gelungen, ein Problem an seinem Ende zu reparieren. Man muss an seine Ursachen gehen.“ Und die liegen in der Wachstumslogik des kapitalistischen Systems. Deshalb erscheint es ihr auch irrelevant, ob es noch Ölschiefervorkommen gibt oder nicht: „Wir dĂŒrfen sie nicht verwenden, denn wir ĂŒberfordern damit die AbbaukapazitĂ€t der AtmosphĂ€re“, mahnt sie.

Umweltgeschichte versus Zukunftsforschung

Bei all dem Wissen ĂŒber die Fehler der Vergangenheit drĂ€ngt sich die Frage nach der Zukunft auf. Was mĂŒssen wir anders machen? Die Umwelthistorikerin betont: „Ich bin keine Zukunftsforscherin! Ich kann nur sagen, woher wir kommen, nicht, wohin wir gehen. Die meisten Prognosen in der Vergangenheit haben eines gemeinsam: sie waren falsch. Die PrognosefĂ€higkeit des Menschen ist sehr beschrĂ€nkt.“ Deshalb schlĂ€gt sie eine Änderung der Taktik vor. „Unsere neue Maxime sollte sein: Lieber auf der sicheren als auf der

„Lieber auf der sicheren als auf der optimistischen Seite irren.“ Verena Winiwarter

optimistischen Seite irren.“ Ihre klare, zentrale Aussage aus der Umweltgeschichte: Vorsicht lohnt sich! Vorsicht hat zu tun mit Voraussicht und Umsicht. „Limnologen können uns“, nennt Winiwarter ein Beispiel, „erzĂ€hlen, wie ein See von einem Tag auf den anderen kippt. Ganz lange rinnen Phosphat und tickstoff hinein und nichts passiert. Und plötzlich ist der See voller Algen, es geht kein Licht mehr durch, die Fische sterben. An solche Kipppunkte sollte man nicht rankommen.“ Denn eine vorsichtige Umgangsweise mit der – fragilen – Natur sei das KlĂŒgste. Drei Dinge, so die Wissenschafterin, die man aus der Umweltforschung weiß: Nebenwirkungen sind normal, Unumkehrbarkeiten ĂŒblich und kurzfristig erfolgreiche Strategien haben schnell langfristig katastrophale Folgen. Trotzdem betont sie: „Ich bin keine Pessimistin!“ Denn noch eine Sicht brĂ€uchten wir: die Zuversicht. „Weil wir sonst unsere Handlungsmöglichkeiten nicht ernst nehmen. Wir brauchen die Zuversicht, dass wir gescheiter werden können. Ich glaube nur“, lĂ€chelt sie, „dass wir dramatisch gescheiter werden mĂŒssen.“

Gesellschaftlich wirksame Wissenschaft

Und noch eines ist der Wissenschafterin wichtig. „Ich setze darauf, dass wir möglichst viele verschiedene Wege finden mĂŒssen, um das, was wir Wissenschafterinnen und Wissenschafter wissen, in die Gesellschaft hinauszubringen.“ Dementsprechend wichtig ist der Wissenschafterin die verstĂ€ndliche ErklĂ€rung ihrer Forschung. Als Garant dafĂŒr sieht sie den interdisziplinĂ€ren Charakter ihres Forschungsbereichs. Die eigentliche produktive Innovationskraft innerhalb des Forschungssystems liege jedenfalls bei interdisziplinĂ€ren Gruppen. „Unsere Aufgabe als Forschende ist es, Wissen zu produzieren, das funktioniert am besten interdisziplinĂ€r und wirkt am besten transdisziplinĂ€r!“, fasst sie zusammen. „Forschung mit den Menschen und nicht ĂŒber sie. Unsere eigenen wissenschaftlichen Fragen denken wir uns schon so aus, dass sie auch beantwortet werden können. Die Irritation durch das Arbeiten mit Menschen außerhalb des Wissenschaftssystems, die ist produktiv.“ In ihrer Disziplin hat Winiwarter die langfristige Perspektive im Auge. Umso mehr frustriert sie die Kurzfristigkeit der Forschungsförderungspolitik: „Auf Einzelprojektebene ist die Perspektive zwei, drei Jahre. Wir brauchen Langzeitmonitoring“, fordert sie, „denn manche Fragestellungen lassen sich nicht so zusammenkĂŒrzen, dass sie in dieser Zeit erforschbar sind.” Und nicht zuletzt brauche es Konzepte fĂŒr die Postwachstumsgesellschaft, die den Umweltmarkt als den Investitionsmarkt begreift. Denn, und da bringt die Historikerin wieder ihre Zuversicht ins Spiel. „Wir mĂŒssen Entscheidungen unter Unsicherheit treffen. Aber: Eine andere Welt ist möglich!“


Verena Winiwarter ist Professorin fĂŒr Umweltgeschichte und Leiterin des Zentrums fĂŒr Umweltgeschichte der Alpen-Adria-UniversitĂ€t Klagenfurt am Standort Wien. Nach ihrer Ausbildung zur Ingenieurin der technischen Chemie studierte sie Geschichte und Publizistik. Im Rahmen einer FWF-Förderung aus dem Hertha-Firnberg-Programm habilitierte sie sich 2003. Winiwarter ist korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. 2013 wurde die Mutter zweier erwachsener Kinder zur „Wissenschafterin des Jahres“ gewĂ€hlt.


Buchtipp

Verena Winiwarter, Hans-Rudolf Bork: Geschichte unserer Umwelt. Sechzig Reisen durch die Zeit, Primus Verlag 2014