âWer in den Wald hineingeht, kommt gesĂŒnder wieder herausâ
âDr. FOREST: WalddiversitĂ€t und Gesundheitâ ist ein europaweites Forschungsprojekt, an dem sich neben Ăsterreich auch Deutschland, Belgien, Polen und Frankreich beteiligen. Die zentrale Frage des Projekts lautet, wie sich artenreiche WĂ€lder im Unterschied zu Monokulturen auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Menschen auswirken. Anhand von Fallstudien im Wald untersuchen die Forschenden, welchen Einfluss Faktoren wie KlĂ€nge, Farben, die LuftqualitĂ€t oder der Pflanzenreichtum eines Mischwaldes auf die Erholung und Gesundheit von Menschen haben. Auch Interessenvertreter:innen aus Forstwirtschaft, Naturschutz, Tourismus und dem Gesundheitssektor sind eingebunden. Die Umweltmedizinerin Daniela Haluza ist stellvertretende Leiterin von âDr. FORESTâ (2020â2023). scilog hat anlĂ€sslich des Internationalen Tag des Waldes am 21. MĂ€rz mit der FachĂ€rztin und Forscherin ĂŒber Naturkontakt als Medizin gesprochen.
Was wir intuitiv spĂŒren, ist wissenschaftlich gut belegt: Bewegung im Freien und in der Natur wirken sich positiv auf unser Wohlbefinden aus. Welche neuen Erkenntnisse erwarten Sie sich aus dem Projekt âDr. FORESTâ?
Daniela Haluza: In diesem europaweiten Projekt sehen sich Forscher:innenteams an, wie die Vielfalt von Baumarten auf die Gesundheit des Menschen wirkt. Im Fokus stehen also artenreiche WĂ€lder als Marker fĂŒr BiodiversitĂ€t und Gesundheit. Ich denke, dass die BiodiversitĂ€tskrise in ihrer Wichtigkeit bald die Klimakrise ablösen wird, weil das eine das andere bedingt und wir als Menschheit unmittelbar vom unwiederbringlichen Verlust der Arten bedroht sind. Nun hat uns die Pandemie in dem Feld der Wald- und Naturforschung unerwartet vorangebracht. Plötzlich sind viele Leute ins Freie gegangen. Die Auswertung von Handytrackings zeigte zum Beispiel, dass die Menschen mehr und weitere Strecken gegangen sind als vor der Pandemie. Dieses PhĂ€nomen ist gekommen, um zu bleiben, da die Zeit gereicht hat, um das Verhalten zu verĂ€ndern.
Haben WÀlder bessere Erholungseffekte als zum Beispiel ein Park oder andere NaturrÀume?
Haluza: Aus der Waldforschung und aktuellen Fallstudien wissen wir, dass neben KlĂ€ngen wie etwa Vogelgezwitscher, neben GerĂŒchen und der LuftqualitĂ€t insbesondere Farben einen hohen Anteil am wahrgenommenen Wohlbefinden der Menschen haben. Die Farben GrĂŒn und Blau sind hier entscheidend, sie bewirken Entspannung und Entschleunigung. Diese Farbkombination ist ein uraltes evolutionĂ€res PhĂ€nomen. Unsere Vorfahren brauchten Wasser und Pflanzen zum Ăberleben, fĂŒr Nahrung und Schutz. Diese Entspannungseffekte treten im Wald besonders auf und lassen sich messen: Der Blutdruck sinkt, Stresshormone werden reduziert. Das Gute daran ist, wir mĂŒssen uns nicht bewusst darauf einstellen, die Wirkung setzt automatisch ein. Wir wissen inzwischen auch, dass MonokulturwĂ€lder einen niedrigeren Entspannungseffekt haben als artenreiche WĂ€lder.
âDie Natur geht nie freiwillig in Richtung Monokultur. â
Sie haben soeben ein Lehrbuch ĂŒber Waldtherapie veröffentlicht. Wie lĂ€sst sich die Ressource Wald neben der PrĂ€vention auch therapeutisch nĂŒtzen?
Haluza: Die Waldtherapie kann sehr gezielt und wirksam eingesetzt werden, insbesondere wenn sie von geschultem Personal begleitet wird. Der Wald selbst bietet ein therapeutisches Umfeld, und Studien haben gezeigt, dass die Annahme und Anerkennung der Natur eine groĂe Wirkung auf Depressionen haben kann. DarĂŒber hinaus gibt es vielversprechende Ergebnisse bei der Nutzung von Waldtherapie zur Rehabilitation von Krebserkrankungen. Wir können beobachten, dass sich bei Patient:innen sehr schnelle und signifikante emotionale VerĂ€nderungen zeigen â oft schneller als bei herkömmlichen Begleittherapien.
Obwohl manche Menschen es wohl belĂ€cheln, gibt es bei Krebspatient:innen mit schwerem Leidensweg enorme positive Erfahrungen durch AktivitĂ€ten wie Baumumarmen. Dieses ungenutzte Potenzial könnte nicht nur den Betroffenen zugutekommen, sondern auch eine Entlastung fĂŒr die Krankenkassen darstellen. Studien belegen darĂŒber hinaus, dass Waldbaden â die bewusste Wahrnehmung der Waldumgebung mit allen Sinnen â nachhaltig wirkt. Man kann die Entspannungseffekte im Alltag abrufen. Kurz gesagt, wer in den Wald hineingeht, kommt gesĂŒnder wieder heraus.
Die Wissenschaft spricht von einem Natur-Defizit-Syndrom, wenn sich Menschen von der Natur entfremden. Wie weit verbreitet ist das Syndrom?
Haluza: Gerade Kinder und Jugendliche im urbanen Raum haben vielfach den Kontakt zur Natur und zum Wechsel der Jahreszeiten verloren. Hier kommt ein weiterer Begriff ins Spiel, mit dem wir uns auch im Dr. FOREST-Projekt beschĂ€ftigen, das Shifting Baseline Syndrome. Das bedeutet, jede Generation geht davon aus, dass ihre gewohnte Umgebung die Norm ist. Ein kleines Beispiel: Als ich in den 1990er-Jahren den FĂŒhrerschein machte, waren nach einer Ăberlandfahrt in der warmen Jahreszeit massenhaft Insekten auf der Windschutzscheibe. Heute wundert sich niemand mehr darĂŒber, dass kaum noch Insekten da sind, weil man es nicht anders kennt. Oder denken wir an die leer gefischten Meere: PlastikmĂŒll statt Meeresbewohner. Das Problem dabei ist, dass man die Menschen schwer ĂŒberzeugen kann, etwas zu schĂŒtzen, das sie nicht kennen. Das wird noch sehr herausfordernd fĂŒr uns als Gesellschaft und fĂŒr die Politik.
âMan kann die Menschen schwer ĂŒberzeugen, etwas zu schĂŒtzen, das sie nicht kennen. â
Was können wir dagegen tun?
Haluza: In der Umweltmedizin setzen wir stark auf die Wirkung von Multiplikator:innen. Wir gehen an Schulen, in die Medien und sind beratend tĂ€tig. Die Zeit war ironischerweise nie besser fĂŒr umweltmedizinische Themen, denn die KlimaerwĂ€rmung verschĂ€rft die durch Hitzestress bedingten Gesundheitsrisiken fĂŒr den Menschen, und wir alle spĂŒren das. Lokale Initiativen wie Garten- und BegrĂŒnungsprojekte können dabei groĂe Effekte erzielen und als Best Practice fĂŒr die Politik dienen. Hier kommt wieder der Wald ins Spiel. Unsere aktuellen Forschungen zeigen, dass WĂ€lder bei sehr heiĂen Bedingungen (ĂŒber 35 Grad Celsius), die stĂ€rkste Wirkung haben und Hitzestress um ĂŒber 80 Prozent reduzieren können. Gesunde MischwĂ€lder kĂŒhlen das Mikroklima bei starker Hitze um bis zu 14 Grad ab. BĂ€ume haben also einen enormen KĂŒhlungseffekt, und dieses Potenzial kann noch verstĂ€rkt werden, wenn wir die Erkenntnisse zu BiodiversitĂ€t gezielt berĂŒcksichtigen.
Was empfehlen Sie Menschen im stĂ€dtischen Raum, die wenig GrĂŒn in ihrer Umgebung haben und ihr Wohlbefinden steigern wollen?
Haluza: Auf individueller Ebene lautet unser Credo: Aufstehen und losgehen! Das ist das Wichtigste, was Menschen fĂŒr ihre Gesundheit tun können, da wir alle zu viel sitzen. Ich könnte stundenlang darĂŒber reden, wie gut ZufuĂgehen fĂŒr das Wohlbefinden ist. Denn der Grund fĂŒr unsere vielen Zivilisationskrankheiten ist Bewegungsmangel. Aus klimapolitischer Perspektive sollte es das Ziel sein, mehr GrĂŒnflĂ€chen in die Stadt zu holen, wie zuvor angesprochen. Menschen sind nachweislich gesĂŒnder, wenn sie in der NĂ€he von einem qualitativ hochwertigen GrĂŒnareal leben.
âDer Mensch kann nur gesund sein, wenn seine Umwelt intakt ist.â
NaturrĂ€ume regen automatisch zu Bewegung an, sie sind aber auch wichtige BegegnungsrĂ€ume, die wir fĂŒr das soziale Klima brauchen. StĂ€dtische Parkanlagen haben ĂŒbrigens eine hohe Vielfalt an BĂ€umen, Pflanzen und Insekten â das nehmen wir oft nicht so wahr. Aber BiodiversitĂ€t kann man hier bewusst erleben. Es wĂ€re eine schöne Vorstellung, dass sich eine Stadt eher in einen Wald verwandeln möchte als umgekehrt.
Wie passt sich die Forschung an diese komplexen Herausforderungen an?
Haluza: In meinem Forschungsbereich betrachte ich verstĂ€rkt das groĂe Ganze. Wir konzentrieren uns auf das Sammeln und Auswerten hochwertiger Daten. DafĂŒr ist es erforderlich, das Fachwissen verschiedener Disziplinen zu nutzen. Aktuell arbeiten wir beispielsweise in dem vom FWF geförderten Projekt âTecEUS: Technologiekritische Elemente in urbanen SphĂ€renâ daran, den Ăkokreislauf von Stoffen wie seltenen Erden, die in Handys und vielen anderen neuen Technologien verwendet werden, im Raum Wien zu erheben. Gemeinsam mit der MontanuniversitĂ€t Leoben und der BOKU Wien wollen wir die potenziellen Belastungen fĂŒr die Umwelt und Gesundheit identifizieren. Ein anderes Feld sind die erwĂ€hnten Klimawandelanpassungsstrategien in der Stadt. Da bin ich wieder beim One-Health-Prinzip: Ein Mensch kann nur gesund sein, wenn seine Umwelt intakt ist.
Daniela Haluza ist Umweltmedizinerin und Professorin am Zentrum fĂŒr Public Health der Medizinischen UniversitĂ€t Wien und stellvertretende Leiterin des EU-Projekts âDr. FOREST: BaumdiversitĂ€t und Gesundheitâ. Sie forscht und lehrt zu Natur und Gesundheit und setzt sich fĂŒr Wissenschaftskommunikation ein. Haluza bringt ihre Expertise u. a. im Wissenschaftsbeirat des Innovationslabors âGrĂŒn statt Grauâ und des Klimarats Margareten ein. Seit 2022 ist sie zudem im Rat der SachverstĂ€ndigen fĂŒr Umweltfragen Wien aktiv. Ende MĂ€rz erscheint ihr neues Lehrbuch âWaldtherapie: Ein Basislehrbuch fĂŒr die Anwendung in Psychotherapie, Psychologie und Medizinâ im Kohlhammer Verlag.
Mehr Informationen
Projektwebsite: https://www.dr-forest.eu/